Sozialistische Zeitung |
Bis in die 80er Jahre hinein galt in der Wirtschaftstheorie die Losung" Small is
beautiful.Größe brachte es nicht allein; General Motors galt als ein schwerfälliger und wenig profitabler Riese.
Elephants dont gallop, hieß das im Wirtschaftsenglisch: Großkonzerne wären unflexibel. Das
ließ sich auch wissenschaftlich belegen. In Großbritannien betrug das Wachstum der Dividendenzahlungen im Sektor der kleinen
Kapitalgesellschaften im Zeitraum 1955 bis 1988 jährlich 3,3% gegenüber 1,5% im Bereich der großen Konzerne. Das habe
sich, so die britische Ausgabe der Financial Times, "radikal verändert". Denn: "Seit 1989 beträgt die reale
Wachstumsrate der Dividendenzahlungen kleiner Gesellschaften 0,9% vergleichen mit 4,2% Wachstum, die diesbezüglich von den
großen Kapitalgruppen erzielt werden."1
Im großen und ganzen dürfte das auch für die
westdeutsche Ökonomie zugetroffen haben. BMW war profitabler als Daimler - wobei BMW derzeit als Übernahmekandidat gilt.
Nixdorf galt als shooting star im Vergleich zur lahmen Ente Siemens - bis das letztgenannte Unternehmen das erstere übernahm. Grundig
erschien lange Zeit wesentlich flexibler als ein Koloss wie Philips zu sein - bis Philips sich Grundig einverleibte.
Spätestens seit den 90er Jahren hat sich weltweit erneut - wie dies
auch vor dem Zweiten Weltkrieg der Fall war - Größe als der entscheidende Maßstab für Wirtschaftsmacht und
zunehmend auch für Profitabilität herausgestellt. Die Gründe für diese Veränderung - besser: für diese
Rückkehr zur kapitalistischen Normalität - sind im Wesentlichen die folgenden:
(1) Die Nachkriegszeit war in vieler Hinsicht eine Sonderperiode. Es gab
überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten. Die Konkurrenz war noch nicht wieder allzu heftig entwickelt. Große Unternehmen -
aber auch die weltgrößte Nationalökonomie der USA - dümpelten gewissermaßen in Selbstgenügsamkeit
vor sich hin. Dies brachte gute Chancen für Neugründungen, für junges Kapital und für eine hohe Profitabilität
desselben mit sich.
(2) Ab den 80er Jahren verschärfte sich die Konkurrenz. Unter
anderem bedeutete der Aufstieg des japanischen Kapitals eine enorme Herausforderung für die Konkurrenz in den USA und in
Westeuropa. Es kam in den "traditionellen" großen Konzernen zu einem massiven Rationalisierungs- und
Umstrukturierungsprozess - u.a. indem die Produktionsmethoden des aggressiven jungen japanischen Kapitals ("lean production",
"just in time", "team work") aufgegriffen und adaptiert wurden. Bald waren die alten Industriegiganten völlig neu
strukturiert oder sie wurden übernommen und zerschlagen (AEG). Während Ford in den 70er Jahren noch als "lame
duck" - als lahme Ente - galt, mauserte sich der Autoriese über die Verjüngungskur von Joint Ventures mit einem japanischen
Hersteller und neuen Werken mit japanischen Ausbeutungsmethoden zu dem profitabelsten Großunternehmen.2
(3) Auf der stofflichen - "gebrauchswertmäßigen" -
Seite der Produktion gab es ebenfalls wichtige Veränderungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zum Niedergang einiger alter
Industrien (Kohle, Stahl), in denen oft auch die großen Industriegiganten engagiert waren. Die entscheidende neue Industrie der Elektronik
war noch eine junge. Der Niedergang traf also vor allem große traditionelle Konzerne (z.B. Krupp; US Steel), sofern diese sich nicht
rechtzeitig eine andere Basis verschafften (z.B. Mannesmann). Umgekehrt bot die Sparte Elektronik jungem Kapital große Chancen, da es
hier zunächst vor allem auf Kreativität und Risikobereitschaft und weniger auf preiswerte Massenfertigung ankam. Doch auch hier
zeichnete sich seit den 80er Jahren und mit dem Aufstieg dieser Banche zur viertgrößten eine Wende ab. Ein großer Teil der
Elektronik-Industrie ist auf eine "economy of scale" angewiesen: Eine Massenfertigung von PCs, von Halbleiterplatten, von Handys
usw. bringt gewaltige Kostenvorteile; für Sonderfertigungen in "Nischen" bietet sich kaum mehr Raum. Dies gilt erst recht
für die weltweit immer noch mächtigste Industriebranche, die Autoindustie, bei der frühere "Spezialisten", die
z.B. vor allem teure Autos herstellten (z.B. Daimler-Benz) ihr Programm längst "nach unten" ausbauten.
(4) Schließlich veränderte sich die Weltwirtschaft mit dem
Datum 1989/90 insofern dramatisch, als ein gewaltiger Sektor, der sich bisher dem privatkapitalistischen Zugriff entzogen hatte, implodierte
und Teil der "one world", des Kapitalismus wurde. Im Westen erscheint jetzt jeder Gedanke an eine Abmilderung der rohen
Wirkungsweise der kapitalistischen Kräfte als Luxus. Die innerkapitalistische Konkurrenz verschärfte sich enorm; kartellrechtliche
Bedenken wurden weggefegt. Noch vor einem Jahrzehnt wurde die Übernahme des Rüstungunternehmens MBB durch die Daimler-
Benz AG vom bundesdeutschen Kartellamt abgelehnt und diese erst durch eine "Ministergenehmigung" ermöglicht. 1999
hingegen ging die weit größere Fusion zwischen der Daimler-Rüstungstochter Dasa mit der französischen Gruppe
Aerospatiale-Matra glatt über die Bühne; weder die deutsche, noch die EU-Kartellbehörde beanstandete die Bildung dieses
Rüstungskolosses.
Mit dem Jahr 1990 ist nicht ein "Ende der Geschichte"
eingetreten. Wir erleben vielmehr die Wiederkehr des ordinären, nicht mehr kaschierten Kapitalismus. Dies trifft gerade auch in Bezug
auf die Konzentationsprozesse des Kapitals und die Vorherrschaft der Größten zu.
Kein Ende der
Geschichte
"Dreihundert Männer, von denen jeder jeden kennt, leiten die wirtschaftlichen Geschicke des
(europäischen) Kontinents. Es handelt sich … um die zweite Generation der Erwerbenden und Leitenden." Das waren die Worte
des deutschen Industriellen Walther Rathenau im Jahr 1909.3
Inzwischen lässt sich vergleichbares für die Weltwirtschaft
feststellen. 200 große "transnationale" Konzerne kontrollieren heute rund ein Drittel des Welthandels. Sie haben ihr Gewicht
auf dem Weltmarkt seit Mitte der 60er Jahre schlicht verdoppelt. Geografisch konzentieren sich diese 200 Größten auf nur neun
Länder: 62 haben ihren Sitz in Japan, 53 in den USA, 23 in der BRD, 19 in Frankreich, 11 in Großbritannien, 8 in der Schweiz, 6 in
Südkorea, 5 in Italien und 4 in den Niederlanden. Diese Struktur besagt: Die 200 mächtigsten Konzerne repräsentieren die
alten Kolonialmächte bzw. die heute wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. In diesen Ländern leben jedoch nur 10%
der Weltbevölkerung.
F.F.Clairmont betonte dazu in Le Monde Diplomatique: "Die
Kapitalkonzentration ist in Wirklichkeit noch viel extremer … denn nicht alle der 200 Größten sind autonome Unternehmen, wie
die Beispiele Mitsubishi, Sumitomo oder Mitsui zeigen. Unter den 200 Größten befinden sich fünf Mitsubishi-Unternehmen,
deren Gesamtumsatz 320 Milliarden Dollar übersteigt. Diese fünf Firmen besitzen zwar ein hohes Maß an Autonomie, sind
aber … eng verzahnt. Das gleiche gilt für ihre Vernetzung in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Industriespionage. Ihr politischer Arm
ist die Liberaldemokatische Partei, deren Organisationskosten zu 37% vom Mitsubishi-Imperium finanziert werden."4
Im Zeitraum 1985 bis 1995 wuchs die Zahl der
Firmenzusammenschlüsse jährlich um 15%. Seit Mitte der 90er Jahre wurde er nochmals beschleunigt. Im Jahr 1999 lag der
Börsenwert der in Europa fusionierten und aufgekauften Gesellschaften erstmals über demjenigen in den USA. Dazu kam es nicht,
weil die Fusionitis in den USA wesentlich nachgelassen hätte. Vielmehr explodiert inzwischen der Prozess der Kapitalzentralisation vor
allem in Europa.5 Während es hier 1994 "nur" 103 Großfusionen gab, waren es 1997 152 und 1998 248.6
Inzwischen werden einzelne internationale Branchen von wenigen
Konzernen dominiert. Im Bereich der Autoindustrie kontrollieren derzeit zehn Konzerne 95% der Weltproduktion. Es handelt sich um die
Unternehmen General Motors (u.a. mit Opel und Saab), Ford (u.a. mit Volvo und Mazda), DaimlerChrysler (u.a. mit Mercedes, Chrysler und
einem Kontrollanteil bei Mitsubishi), Toyota (u.a. mi Daihatsu), VW (u.a. mit Seat, Skoda, Audi, Renault (u.a. mit Nissan und Fuji
Heavy/Subaru), Honda, PSA (Citroen und Peugeot), BMW (bis vor kurzem mit Rover), Fiat (u.a. mit Lancia und Alfa) und Hyundai (u.a. mit
Kia und Ssamsung).
Alles ist käuflich
Dabei zeichnet sich mit dem Einstieg von General Motors bei Fiat und mit den
Übernahmegerüchten um BMW bereits die nächste Konzentrationswelle ab, an deren Ende sich sechs Konzerne den Kuchen
auffteilen werden.
Im Bereich der Ölförderung und -verarbeitung nimmt ein
halbes dutzend Unternehmen dieselbe Position ein. Es handelt sich um Exxon/Mobil, Royal Dutch Shell, British Petroleum/Amoco mit Atlantic
Richfield , Elf Aquitaine, Total mit Petrofina und Texaco.
Im Bereich der Flugzeugindustrie sind es bereits nur noch zwei
Unternehmen, die 95% des Weltmarkts unter sich aufteilten: Boeing (mit McDonald Douglas) und Airbus. Und im Bereich der entscheidenden
Computersoftware kontrolliert Microsoft (verbunden mit Apple) bis zu 90% dieser Branche.
Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass das Unternehmen von
Bill Gates das an der Börse am höchsten dotierte ist, obwohl Microsoft nach dem Umsatz nicht einmal zu den 100
größten Unternehmen der Welt zählt.
Die vorläufige Bilanz der Fusionitis lautet: Alles ist käuflich -
jedes Unternehmen kann übernommen werden. Spätestens nach der erfolgreichen Übernahme von Mannesmann durch
Vodafone-Airtouch gilt die Erkenntnis, dass es nur eine Frage des Preises, des eingesetzten Kapitals ist, ob ein Unternehmen
"unabhängig" bleibt oder zur Beute wird.
1998 betrug in Europa das Gesamtvolumen der feindlichen
Übernahme-"Angebote" "nur" 13,6 Milliarden US-Dollar. 1999 lag dieser Wert bei 803 Mrd. US-Dollar. Rund
40% der versuchten feindlichen Übernahmen erwiesen sich als erfolgreich.
Kapitalistische Tendenz ohne
Rationalität
Im Trend des Kapitals zu immer größeren Einheiten kommt eine innerkapitalistische Tendenz, aber
keinerlei volkswirtschaftliche oder gesamtgesellschaftliche Rationalität zum Ausdruck. Die Übernahmeschlachten erweisen sich in
einem dreifachem Sinn als zerstörerische Unternehmungen.
Erstens werden für sie riesige Summen an Provisionen, Makler- und
Bankgebühren aufgebracht - im Fall der Übernahme von Mannesmann/Vodafone lag allein der Betrag, der für die
Werbekampagne und die "Beratung" ausgegeben wurde, bei mehr als 2 Milliarden Mark. Der Mannesmann Vorstandsvorsitzende
Esser erhält nach dem Deal 60 Millionen Mark. Wofür? Weil "sein" Unternehmen vom dem gegnerischen
übernommen wurde.
All das sind "faux frais", tote Kosten, wie die Gebühren,
die eine Bank beim Umtausch von einer Währung in eine andere verlangt. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie beim
Währungsumtausch vom umtauschenden Konsumenten bezahlt werden. Im Fall der Fusionitis werden diese Kosten auf die Belegschaft
bzw. auf die Gesellschaft - über höhere Preise oder niedrigere Löhne und Gehälter - "umgelegt".
Zweitens zahlt die übernehmende Gesellschaft fast immer einen weit
größeren Preis als den marktüblichen. Im Fall der Mannesmann-Übernahme bspw. zahlte Vodafone eine Prämie
von durchschnittlich 123% auf den Aktienkurs: Sie bot den Aktionären mehr als das Doppelte des gegebenen Aktienkurses, womit der
Erfolg von Vodafonenicht mehr so überraschend erscheint.
Drittens sinkt mit der Übernahme der Aktienkurs des
übernehmenden Unternehmens - in der Regel um 20%.
Viertens schließlich werden nach den Übernahmen oder
Fusionen zwischen 10 und 30% der Arbeitsplätze vernichtet, was nur teilweise ein "natürlicher"
Rationalisierungseffekt ist, teilweise den bereits beschriebenen Kosten der Fusionitis zuzuschreiben ist. Denn irgendwer muss diese
gigantischen Summen wieder "hereinarbeiten". Geld arbeitet nicht. Aber es lässt arbeiten - real existierende Menschen, die
nach den Übernahmen und Fusionen meist mehr und oft für weniger Lohn und Gehalt zu malochen haben.9
Dass die neu entstandenen Kolosse und Giganten "produktiver"
wären als die zuvor "unabhängigen" Einzelunternehmen, kann mit Fug und Recht bestritten werden. Zum einen bewegen
sich diese inzwischen meist in einem fast monopolisierten oder kartellierten Raum. Zum anderen ist natürlich auch etwas dran an der
Aussage aus den 70er Jahren: Elephants dont gallop.
Diese schwerfälligen Unternehmen mit ihrem selbstgefälligen
Management leisteten sich mitunter Fehlentscheidungen von einer Qualität, wie sie in den bürokratisierten Planwirtschaften des
Warschauer Pakts selten waren. Und tatsächlich ähneln manche Strukturen im aktuellen Kapitalismus der Fusionitis und des
CasinoCapitals denen dieser bürokratisierten Planwirtschaften: Sie sind extrem hierarchisch. Meist sind sie auf eine einzelne Person - im
Fall Mannesmann auf Esser, im Fall Vodafone auf Gent, im Fall DaimlerChrysler auf Schrempp - zugeschnitten und es ist dann meist diese
Person allein, die letzten Endes Entscheidungen trifft - über das Wohl und Wehe des Konzerns und oft über hunderttausend
Arbeitsplätze.
Dies widerspricht nicht nur einer allgemeinen menschlichen Erkenntnis,
wonach im gesellschaftlichen Leben auf Dauer nur kollektive und demokratische Debatten brauchbare Entschlüsse zeitigen können.
Das widerspricht nicht nur dem eigenen Credo dieser Konzerne und der modernen kapitalistischen Gesellschaft, wonach es auf "team
work" und auf "Gruppenarbeit" ankommen würde. Dies widerspricht vor allem dem selbsterklärten
demokratischen Anspruch der bürgerlichen Gesellschaft.
Offensichtlich gilt nicht nur der banale Satz des ehemaligen
Wirtschaftsministers Rexrodt, wonach "Wirtschaft in der Wirtschaft stattfindet", das heißt, die Demokratie vor den Toren der
Unternehmen ausgeschlossen ist. Im Unternehmen und im Management selbst herrscht eine Autokratie und existiert eine Hierarchie wie zu
Zeiten des unaufgeklärten Absolutismus.
Winfried Wolf
Anmerkungen
1. Financial Times, 17.1.1998.
2. Ford hatte 1998 einen Umsatz von 144 Mrd. US-Dollar; nur unwesentlich weniger als General Motors und DaimlerChrysler (beide
154). Während GM jedoch nur 2,8 Mrd. Dollar Gewinn nach Steuern (Umsatzrendite: 1,8%) und DaimlerChrysler 3,8 Mrd. Dollar
(3,8%) auswies, fuhr Ford 21,6 Mrd. Dollar Gewinn ein und brachte es auf eine Uumsatzrenditee von 15%. (FAZ, 6.7.1999.)
3. Neue Freie Presse, Dezember 1909, zitiert in Le Monde Diplomatique, April 1997 (deutsche Ausgabe).
4. Le Monde Diplomatique, April 1997, deutsche Ausgabe.
5. Nach der klassischen Unterscheidung, wie sie z.B. Karl Marx im Kapital, Bd.III, vornimmt, wird unter
"Kapitalkonzentration" der Prozess verstanden, wenn einzelne Kapitale durch das eigene Wachstum - die Akkumulation -
größer werden. Der Zusammenschluss von Unternehmen bzw. die Übernahme eines schwächeren durch ein
stärkeres Unternehmen wird als Kapitalzentralisation bezeichnet.
6. Financial Times, deutsche Ausgabe, 8.3.00.
7. Süddeutsche Zeitung, 27.12.2000.
8. Zusammenstellung vor allem nach: Le Monde, 30.3.1999; Los Angeles Times, 8.8.1999, und Süddeutsche Zeitung, 27.12.1999.
9. Financial Times, deutsche Ausgabe, 6.3.00.
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50, Kontonummer 603 95 04