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Außerordentlich wohlwollend reagierten die Unternehmer auf die Ergebnisse des vergangenen EU-
Beschäftigungsgipfels in Lissabon. "Wir sind glücklich über den neuen Schwung, die hohe Arbeitslosigkeit in der EU
durch wirtschaftliche und strukturelle Reformen zu bekämpfen", sagte Georges Jacobs, der Präsident des größten
europäischen Unternehmerverbands UNICE, einer Vereinigung der Industriellen- und Arbeitgeberverbände in Europa.
Der Verband will die vollständigen Öffnung aller
Märkte in Europa, die "exzessiven" Steuern und Abgaben in den Mitgliedsländern senken und die Schaffung
"effizienterer" Arbeitsmärkte statt "übertriebenem Schutz" der Arbeitskräfte. Außerdem spricht
sich UNICE für eine stärkere Rolle der EU-Kommission bei der Koordinierung der Beschäftigungspolitik aus, auf die auch
die multinationalen Konzerne ihre Lobbyarbeit konzentrieren.
Angesichts der offiziell 15 Millionen Erwerbslosen in Europa hatte der
portugiesische Ministerpräsident Antonio Guterres, der zur Zeit den Vorsitz des Europäischen Rates inne hat, schon zu Beginn des
Gipfels angemahnt, dass dies "kein Gipfel über Österreich, sondern zur Beschäftigung" sei. Schnell gingen die
Teilnehmer der 15 Mitgliedstaaten zur Tagesordnung über.
"Die EU begreift sich als Veranstaltung, die Ökonomie
modernisieren, aber den sozialen Zusammenhalt nicht kleinschreiben will", erklärte Bundeskanzler Schröder auf dem
Sondergipfel. Folglich diskutierten die Regierungschefs das Thema "Beschäftigung" vor allem im Kontext der Konkurrenz zu
den USA und Japan. Dort liegt die Beschäftigungsquote bei über 75%, während sie in Europa geringfügig die 60%-
Marke überschreitet. Das sind schlechte Vorraussetzungen im Wettlauf um die Spitze, denn es geht um die optimale Ausnutzung des
"Rohstoffs Arbeit", erklärt der Fahrplan des EU-Vorsitzes. Bis zum Jahr 2010 soll deshalb die Quote an die 70%
herangeführt werden. Der britische Premier Tony Blair rechnet mit 20 Millionen Arbeitsplätzen, die in nächster Zeit vor
allem im Dienstleistungs- und Informationssektor entstehen sollen.
Die Qualität der Arbeitsbedingungen spielt dabei kaum eine Rolle.
Im Gegenteil: Sie sollen weiter verschlechtert werden. Das steht so zwar nicht in der Schlusserklärung des Sondergipfels, aber in den
Nationalen Aktionsplänen der EU-Kommission, die nach dem Willen der Regierungschefs künftig weiter aufgewertet werden
sollen.
Die Pläne sind das Herzstück der europäischen
Beschäftigungspolitik und ihre Erfüllung sollen die Regierungschefs der einzelnen Mitgliedstaaten nun jährlich im Rahmen
eines EU-Ratstreffens überprüfen. Heraufsetzung des Rentenalters, Flexibilisierung der Arbeitszeit und Abbau der sozialen
Leistungssysteme sind nur wenige Beispiele für die Stoßrichtung der Nationalen Aktionsplänen.
Um diese durchzusetzen, setzt die EU-Kommission auf bilaterale Seminare,
in denen sie Funktionsträgern der Ministerien, aber auch denen regionaler Behörden und den "Sozialpartnern" ihre
Aktionspläne nachdrücklich erläutert.
Die EU-Kommission übernimmt dabei die Rolle einer Art rating
agency für Unternehmen. Ihre detaillierten Analysen, die den nationalen Aktionsplänen zugrunde liegen, umfassen sowohl das
Qualifikations- als auch das Lohnniveau der Bevölkerung sowie gesetzliche Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten.
Die Sozialsysteme werden ebenfalls einer eingehenden Prüfung
unterzogen. Besonders gute Noten erhalten die Mitgliedstaaten, die statt "passiver" Hilfen "aktive" Maßnahmen
bevorzugen. Statt Arbeitslosenhilfe sollen vermehrt Fortbildungs- oder Arbeitsprogramme für Beschäftigte und Erwerbslose
eingerichtet werden, deren Kosten bei ersteren zum Teil selbst getragen werden sollen und bei Erwerbslosen im Falle einer Ablehnung zum
Entzug staatlicher Hilfen führen können.
In diesem Zusammenhang sprach die französische Präsidentin
des EU-Parlaments, Nicole Fontaine, in ihrer Eröffnungsrede zum Sondergipfel vom "ungezähmten Kapitalismus, der
über Standortverlagerungen Sozialdumping durch Ausnutzung von Unterschieden in unserer jeweiligen Sozial- und Steuergesetzgebung
praktiziert". Nicht nur die politische Bedeutungslosigkeit des EU-Parlaments macht diese treffliche Analyse zum sozialen Feigenblatt.
Die Rede dürfte auch ein Zugeständniss an die innenpolitische
Situation in Frankreich sein, wo es seit Mitte der 90er Jahre zahlreiche Mobilisierungen gegen Sozialabbau und Privatisierungen gab und die
politischen Ereignisse auf europäischer Ebene von Gewerkschaften und Erwerbslosenorganisationen weitaus genauer und kritischer
betrachtet werden als in den deutschsprachigen Mitgliedsländern der EU.
Der Rat der EU und auch die Kommission werden nicht müde, die
Rolle der "Sozialpartner" im europäischen Einigungsprozess, gerade auf nationaler und regionaler Ebene, zu betonen und
fordern sie gleichzeitig zur "Lohnmäßigung" auf. Während die Kommission diesbezüglich vor allem
für die Gewerkschaften in Österreich und Dänemark voll des Lobes ist, ist ein gemeinsamer Vorstoß des britischen
Premiers und des italienischen Ministerpräsidenten DAlema zur Arbeitsmarktpolitik, in dem beide die Vorgaben der Kommission
aufgriffen, beim größten italienischen Gewerkschaftsverband CGIL nicht nur auf heftigten Widerspruch gestoßen. Der Chef
der CGIL drohte sogar den Bruch mit der Regierung in Rom an, sollte dieser Vorstoß in Rom zum offiziellen Kurs deklariert werden.
Während der Europäische Gewerkschaftsbund bereits wenige
Tage vor dem Sondergipfel mit einer Erklärung seine willfährige Rolle als Sozialpartner signalisierte, demonstrierten in Lissabon
mehr als 60000 Menschen gegen die europäische Arbeitsmarktpolitik. Zu der Demonstration hatte der portugiesische Gewerkschaftsbund
CGTP und die "Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung, Ausgrenzung und
Rassismus" aufgerufen. Am 10.Juni mobilisieren die EuroMärsche nach Brüssel, denn am selben Wochenende hat dort
UNICE zu einer Konferenz geladen. Obwohl die arbeitsmarktpolitischen Vorgaben des Unternehmerverbands den EU-Gremien seit langem
bekannt sind, will UNICE seinen Forderungskatalog diesmal in einer medienwirksamen Show der Öffentlichkeit in Europa
unterbreiten.
Gerhard Klas