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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.7 vom 30.03.2000, Seite 12

El Salvador

Erfolg der Linken?

"Die ehemalige Guerilla FMLN verwandelt sich in die erste politische Kraft El Salvadors" - so lautete am 14.März die Überschrift eines großen Artikels in El País. Ähnlich ist der Artikel im Neuen Deutschland vom selben Tag überschrieben: "Linke liegt bei Wahlen vorn". Gibt es einen neuen politischen Zyklus? Wie sieht es mit dem Wahlsieg der Linken aus?

Am 12.März haben in El Salvador Parlaments- und Kommunalwahlen sowie Wahlen zu dem (unbedeutenden) Zentralamerikanischen Parlament stattgefunden. Im März vergangenen Jahres hatten Präsidentschaftswahlen stattgefunden, die der Kandidat von ARENA, Francisco Flores, bereits im ersten Wahlgang gewonnen hatte; die neoliberal-rechtsextreme Partei wird daher bis 2004, zum dritten Mal hintereinander den Präsidenten stellen. Der Kandidat der FMLN, Facundo Guardado, hatte nur 29% der Stimmen erhalten.
Nun erhielt die FMLN 31 von 84 Mandaten; sie stellt damit die größte Fraktion. Bei den ersten Parlamentswahlen nach den Friedensvereinbarungen 1994 hatte sie 21 Sitze gewonnen, drei Jahre darauf 27 (trotz der Abspaltung von größeren Teilen der Führung von zwei der fünf politisch-militärischen Organisationen, aus denen sie entstanden war).
ARENA gewann sogar einen Abgeordneten mehr als in der vorigen Legislaturperiode, statt vorher 29 statt 28. Allerdings: ARENA erhielt etwas mehr als 380000 Stimmen, die FMLN 375000.
Drittgrößte Partei bleibt die PCN (Partei der Nationalen Aussöhnung), vor 1979 die Partei der Militärdiktatoren. In absoluten Zahlen büßte sie im Vergleich zu den letzten Parlamentswahlen im März 1997 sogar Stimmen ein, in Bezug auf die Zahl der Mandate konnte sie sich jedoch von 4 Mandaten (1994) und 11 (1997) auf 14 verbessern. Dass sie mit etwa 8% der Stimmen etwa 16% der Abgeordneten stellt, liegt an der Besonderheit des Wahlsystems (einer Mischung von Direkt- und Listenwahl), ihr reichten 6600 Stimmen für einen Sitz, während die übrigen Parteien zwischen 12000 und 19000 benötigten.
Bislang war ARENA, seit 1989 Regierungspartei, im Parlament schon auf die Stimmen von kleineren Rechtsparteien - vor allem der PCN - angewiesen. Es wird allgemein erwartet, dass es für ARENA teuer wird, dass sie aber einmal wegen des präsidentiellen Verfassungssystems, zum anderen dank einer parlamentarische Mehrheit im Bündnis mit der PCN weiter die Politik El Salvadors bestimmen wird.
Zusammen stellen ARENA und PCN 43 Abgeordnete, also ganz knapp die Mehrheit. Die PCN soll bereits zwei Kabinettsposten verlangt haben, gegen die Unterstützung eines ARENA-Kandidaten für den Parlamentsvorsitz (La Prensa Gráfica, 22.3.), den die FMLN als größte Fraktion für sich beansprucht.
Dadurch dass die FMLN nun im Parlament über mehr als ein Drittel der Stimmen (deutlich mehr als die Sperrminderheit von 28) verfügt, sind für bestimmte Ernennungen (oberste Richter, Staatsanwalt, Wahlleiter, Ombudsperson für Menschenrechte) Einigungen mit ihr erforderlich. Und sie kann anstehende Auslandskredite für die Privatisierung der Wasserversorgung und des Gesundheitswesens verhindern.
Bei den 262 "municipios" (Gemeindebezirken) sieht die Verteilung laut amtlichem Endergebnis so aus: ARENA 127, FMLN 67 plus 10 in unterschiedlichen Bündnissen mit anderen Oppositionsparteien, PCN 33, Christdemokraten 16, Zentrumsunion (CDU) 4 (La Prensa Gráfica, 19.3.). Die Bedeutung liegt jedoch in dem Trend: ARENA verlor über 20 Gemeinden; die FMLN hatte 1997 in 54 Gemeinden gewonnen (darunter San Salvador), 1994 in 11; vorher hatte sie sechs Hauptorte der 14 Departamentos inne, nun sind es acht, zum Teil im Bündnis mit kleineren Parteien. (In El Salvador stellt die größte Partei jeweils den gesamten Gemeinderat.) Und: etwa zwei Drittel der Bevölkerung leben in Gemeinden, in denen die FMLN die Verantwortung hat. Von den bevölkerungsreichen 19 Gemeinden rund um die Hauptstadt hat die FMLN 12 gewonnen.
Deutlich fiel die Entscheidung in der Hauptstadt San Salvador aus: Bürgermeister Héctor Silva erhielt 56% der abgegebenen Stimmen und wurde mit einem deutlichen Vorsprung von 17% gegenüber dem Kandidaten von ARENA, einem jungen Unternehmer, wiedergewählt (15% mehr als 1997).
Héctor Silva, ein Arzt aus einer wohlhabenden Familie, wurde von der Presse schon als der kommende Präsidentschaftskandidat der FMLN ausgemacht. Sein Diskurs unmittelbar nach den Wahlen ist typisch für die Orientierung des gemäßigten Flügels der
FMLN: "Unser Triumph öffnet die Türen für eine Zusammenarbeit meiner Partei mit dem Präsidenten Francisco Flores und der Unternehmerschaft, damit wir die Entwicklung unserer Stadt weiter fördern können. Der eigentliche Gewinner der Wahl ist die Nation." (El País, 14.3.)
Andere sehen als die heimliche Wahlgewinnerin die Mehrheit der NichtwählerInnen: nach offiziellen Angaben 62% der Wahlberechtigten (bei der Altersgruppe zwischen 18 und 35 Jahren soll die Zahl noch höher liegen). Einer Umfrage zufolge sind 54% der Auffassung, die Wahlen seien eine Zeitverschwendung; die Politiker, die Parteien und deren Angebote seien wenig glaubwürdig. Eine enorme Herausforderung für alle, die sich zur Linken zählen…
Die Schwächung von ARENA geht nicht zuletzt auf einen Kampf im Gesundheitssektor zurück, der zu einer großen Kraftprobe mit der Regierung wurde. Er dauerte vier Monate und ging erst zwei Tage vor dem Wahltag vorläufig zu Ende. Dabei ging es um die Wiederöffnung von zwei modernen Krankenhäusern in der Hauptstadt und die geplante Privatisierung der Krankenhäuser der öffentlichen Sozialversicherung. Mitte November 1999 begannen Krankenschwestern und nichtmedizinisches Personal gemeinsam mit Ärzten und Ärztinnen einen Streik. Die Regierung antwortete auf große Demonstrationen und Solidaritätsstreiks anderer Gewerkschaften mit Entlassungen und Lohnkürzungen, verweigerte Verhandlungen, rief schließlich im Februar den "nationalen Notstand" aus, die Polizei ging bei zwei Krankenhäusern mit Tränengas vor.
Dieter Drüssel, Mitarbeiter des Zentralamerika-Sekretariats in Zürich, kommentiert: Die "Spezialeinheiten wurden jedoch von den GewerkschafterInnen und den BewohnerInnen eines benachbarten Slums zum Abhauen gezwungen. Der Streik stieß … in der Bevölkerung trotz einer seit den Kriegsjahren nicht mehr gesehenen Desinformationskampagne auf Sympathie. - Die sozialen Kämpfe erklären das Wahlresultat. ÄrztInnen, Inbegriff traditionellen Mittelstandes, kämpften zusammen mit Menschen aus den Slums gegen den neoliberalen Angriff." (Woz, 21.3.)
Viel wird darauf ankommen, ob es der FMLN, in der zwei recht unterschiedliche Strömungen miteinander streiten und es (noch?) miteinander aushalten, gelingt, sowohl mit ihrer gestärkten institutionellen Vertretung auf die politischen und sozialen Verhältnisse Einfluss zu nehmen wie an der Basis als Kraft des Kampfs und des Widerstands zu agieren, nicht als machtorientierter Bestandteil des politischen Spiels derer oben.

Federico Espina


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