Sozialistische Zeitung |
Ich bin nichts, ich kann nichts, gebt mir eine Uniform." Des deutschen Polizisten Berufsethos führt
immer wieder zu Erschütterungen. In der Süddeutschen Zeitung, natürlich in der Wochenendbeilage, durfte Professor Hans
Alberts (das "t" im Namen ist wichtig) von der Polizeihochschule in Hamburg den moralischen Verfall junger Polizeibeamter
beklagen.
Es wäre immer schwieriger, die jungen Polizisten zu einem
moralisch gefestigtem Leben zu erziehen. "Sich den Normen gemäß zu verhalten, ist keine Selbstverständlichkeit mehr.
Im Gegenteil: Von jungen Leuten wird jede beschränkende Norm erst einmal als Belastung empfunden."
So wäre es kein Wunder, dass die Polizeikräfte immer mehr
mit dienstrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften in Konflikt geraten: illegale Nebentätigkeiten, Vorteilsannahme und Erschleichung
geldwerter Vorteile. "Gerade in der moralischen Konfrontation wird deutlich, dass heute automatischer Gesetzesgehorsam so gut wie
überhaupt nicht mehr vorhanden ist. Dies wird noch komplizierter, wenn es sich um Gesetze handelt, die nicht dem Zeitgeist entsprechen,
wie das Beamtenrecht, das seine moralischen Wurzeln in einer preußischen Dienstauffassung hat."
Das führt zu schrecklichen Verhalten: "Heute wird eiskalt auf
den Gehaltsbogen geschaut: ach, nur dreieinhalb. Da muss aber noch was reinkommen. Da passt es gut, wenn der Bäcker die
Brötchen bringt (für lau oder ganz billig), wenn man zur Arbeit mit dem Polizeiausweis fahren kann (geldwerter Vorteil sicher
zwischen 1000 und 2000 Mark im Jahr), wenn man als Polizeibeamter bei Firmen Sonderrabatte bekommt. Schon werden aus den dreieinhalb
im Monat eher vier."
Das Rechtsbewusstsein sei auf der moralisch tiefsten Stufe angelangt. Es
orientiere sich nur noch an Sanktionen bzw., was noch verwerflicher ist, an der "Entdeckungswahrscheinlichkeit". Wenn man nicht
erwischt wird, dann könne man sich jede Übertretung leisten.
Der arme Professor verzweifelt ob dieser Lage: Die Polizeiführung
wolle von moralischen Fehlentwicklungen nichts wissen und die, die sie anprangern, werden als die eigentliche Katastrophe angesehen.
"Das Alltagsgeschäft eines Berufsethikers ist also momentan ein sehr hartes Brot. Beliebt ist man eh nicht, wenn man moralisch
diskutiert, zum Nachdenken über die Richtigkeit der eigenen Einstellungen auffordert … Da wird nichts ausgelassen, bis zu
Schlägen unter die Gürtellinie (‚Sie alter Mann, Sie sind einfach out, unmodern)."
Und woran liegt diese Entwicklung zum moralischen Saustall in den
Polizeiwachen? Genau, an den Politikern und dem schlechten Vorbild, das sie abgeben. "Wenn ein junger Polizist sieht, wie sich
Oligarchen bereichern - und sei es, um die Macht zu sichern - wird er nicht davon Abstand nehmen, dies auch zu tun." Denn "der
offenbare Rechtsbruch ist ungeheuer ansteckend". Das haben Kohl und Kanther also erreicht: ihre treueste Bastion bei der Erhaltung des
Systems wird von innen aufgeweicht. Subversion wohin man sieht.
Die wachsende Zahl an Selbsttötungen in den Polizeikasernen,
Fälle brutalsten Mobbings und eine Moral auf dem Tiefstpunkt, all diese Dinge rücken jetzt in ein anderes Licht.
Wenn die polizeilichen und militärischen Repressionskräfte
von der realen Gesellschaft eingeholt werden, ist das für Linke wohl eher beruhigend (damit es zu solchen Effekten kommt, sollte sie
deshalb auch stets gegen Berufsarmeen und kasernierte Polizeitruppen usw. wie auch für eine gewerkschaftliche Organisation der
Polizisten und Soldaten eintreten).
Allein: wir haben schon immer die Überzeugung gehabt, wer
besonders fest an moralischen Zügeln gehalten wird und sich halten lässt, der ist der erste, der oder die moralverletzend sein wird.
So erlebt unser Professor nichts als einen dieser von uns so geschätzten Lernprozesse mit tödlichem Ausgang. Wir spenden ihm mit
Bertolt Brecht Trost und Erklärung: "Es gibt wenige Beschäftigungen, sagte Me-ti, welche die Moral eines Menschen so
beschädigen wie die Beschäftigung mit Moral. Ich höre sagen: Man muss wahrheitsliebend sein, man muss seine
Versprechen halten, man muss für das Gute kämpfen. Aber die Bäume sagen nicht: Man muss grün sein, man muss die
Früchte senkrecht zu Boden fallen lassen, man muss mit den Blättern rauschen, wenn der Wind durchgeht."
Thies
Gleiss