Sozialistische Zeitung |
Aus einem guten Drehbuch kann ein Regisseur ein Meisterwerk machen; aus demselbem Drehbuch wird bei
einem mittelmäßigen Regisseur noch ein passabler Film. Doch aus einem schlechten Drehbuch kann auch ein guter Regisseur keinen
guten Film machen."
Mit diesen Worten legte der japanische Regisseur Akira Kurosawa, der vor
90 Jahren am 23.März 1910 geboren wurde, sein filmisches Glaubensbekenntnis ab. Für ihn hatte das Drehbuch einen zentralen
Stellenwert in der Filmkunst. Das mag damit zusammenhängen, dass Kurosawa seine Karriere beim Film als Drehbuchschreiber
begonnen hatte. 1936 stieg er beim Studio PCL in Tokyo ein, aus der Japans führende Filmproduktionsfirma Toho hervorging. Erst 1943
drehte Kurosawa seinen ersten Film als Regisseur, denen bis 1993 30 weitere folgen sollten.
Kurosawa wollte ursprünglich Maler werden, gab dieses Ziel aber
auf, nachdem er eine Weile als Illustrator gearbeitet hatte. 1936 bewarb er sich auf eine Ausschreibung für Regieassistenten beim Studio
PCL und wurde angenommen. Er arbeitete als Assistent unter einem der berühmtesten japanischen Vorkriegsregisseure, Kajiro
Yamamoto. Kurosawa betrachtete ihn Zeit seines Lebens als Lehrmeister und Vorbild.
Sein erster Film, Sugata Sanshiro, den er 1943 als Drehbuchautor und
Regisseur realisierte, beschreibt die Lebensgeschichte eines Judoka. Inhaltlich war der Film ein Zugeständnis an das in Japan
herrschende faschistoide militaristisch-nationalistische Regime, das zu dieser Zeit, mit Deutschland verbündet, einen grausamen
Eroberungskrieg in Ostasien und im Pazifik führte. Auch sein zweiter Film, Am allerschönsten (1944), hatte nach Kurosawas
eigenen Worten "den aufopferungsvollen Dienst am eigenen Land" zum Thema.
Er lehnte es allerdings ab, einen Propagandafilm für die japanische
Marine zu drehen. In seiner Autobiografie gibt Kurosawa zu, der in Japan während des Zweiten Weltkriegs herrschenden Diktatur keinen
Widerstand entgegengesetzt zu haben. Wörtlich sagt er: "Dafür schäme ich mich, aber ich muss es der Ehrlichkeit
halber eingestehen." Anfang der 30er Jahre sympathisierte Kurosawa, dessen Vater Offizier war, mit dem Kommunismus. 1929 war er
der Liga proletarischer Künstler beigetreten.
Die Kommunistische Partei und ihr nahe stehende Organisationen waren in
Japan spätestens seit 1928 massiver Repression durch den immer autoritärer werdenden Staat ausgesetzt. Kurosawa hielt der
kommunistischen Bewegung auch in der Illegalität noch eine Zeit lang die Treue. Er gibt in seiner Autobiografie aber zu, dass seine
Überzeugung nicht sehr tief war und so löste er sich bereits nach wenigen Jahren vom Kommunismus.
Außerhalb Japans wurde Kurosawa erst mit seinem zwölften
Film, Rashomon (1951), berühmt. Der Film basiert auf zwei Kurzgeschichten von Ryonosuke Akutagawa. Er ist im Japan des
12.Jahrhunderts angesiedelt. Inhalt ist die Darstellung von vier widersprüchlichen aber glaubhaften Versionen der Vergewaltigung einer
Frau. Dabei setzt Kurosawa alle filmischen Mittel ein, um die Natur der Wahrheit in Frage zu stellen. Kurosawa erklärte den Sinn des
Films so: "Die Menschen sind unfähig, aufrichtig zu sich selbst zu sein. Sie können nicht über sich sprechen, ohne das
Bild zu schönen."
Kurosawas wohl berühmtester Film ist Die sieben Samurai von
1954. Dargestellt werden sieben umherwandernde Samurai (Samurai waren ein den europäischen Rittern des Feudalismus
ähnlicher Stand), die ein Dorf vor Banditen schützen.
Dieser Film gehört zu den Chambara-(Schwertkampf-)Filmen.
Dieses Genre weist viele Ähnlichkeiten mit dem Western auf. Der Zweikampf steht im Mittelpunkt, es treten relativ stereotype
Charaktere auf und der Hintergrund ist zwar historisch, aber nicht genau einzuordnen.
Kurosawa entwickelte dieses Genre weiter, indem er den Akteuren ein
jeweils klares individuelles Gepräge gab und den historischen Hintergrund des mittelalterlichen Japan genau zeichnete. 1960 drehte John
Sturges nach dem Vorbild von Die sieben Samurai den (Edel-)Western Die glorreichen Sieben. Es entstanden weitere Western nach dem
Vorbild von Kurosawas Filmen: Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar (1964) nach Yojimbo, der Leibwächter (1961), und
Martin Ritt drehte ebenfalls 1964 The Outrage als Remake von Rashomon.
Kurosawa wagte sich aber auch an Themen der klassischen
europäischen Literatur. So benutzte er Shakespeares Dramen Macbeth und König Lear als Vorlagen für seine ebenfalls im
japanischen Mittelalter angesiedelten Filme Das Schloss im Spinnwebwald (1957) und Ran (1986). 1951 machte er den Film Der Idiot nach
dem gleichnamigen Roman von Dostojewski. Seinen letzten Film als Regisseur, Madadayo, drehte Kurosawa bereits 1993.
Kurosawas Filme beeindrucken vor allem durch die Kraft ihrer Bilder. Es
gelingt ihm, regelrechte filmische Gemälde auf die Leinwand zu malen, die die ZuschauerInnen in ihren Bann schlagen. Kurosawa nutzte
dabei alle technischen Möglichkeiten und war bei Kameraführung und Beleuchtung sehr experimentierfreudig.
Ein weiterer wichtiger Aspekt waren die durchweg hervorragenden
SchauspielerInnen in seinen Filmen. Mit dem zehn Jahre jüngeren Toshiro Mifune arbeitete Kurosawa seit 1946 in fast allen seinen
Filmen zusammen. Eine weitere enge Zusammenarbeit verband ihn mit Fumio Hayasaka, der ab 1948 die Musik zu allen seinen Filmen machte.
Kurosawas Filme zeichnen sich durch ihre Menschlichkeit aus. Er zeichnet seine Figuren sehr genau mit allen Stärken und
Schwächen. Es gelingt ihm, seine oft sehr ernsten Filme durch einen feinen und gelegentlich spöttischen Humor aufzulockern.
Kurosawa beeinflusste das Kino weltweit und machte den japanischen Film
in Europa und Nordamerika bekannt. Seine Fähigkeit zur Selbstkritik und sein Humanismus spiegeln sich auch in seinen Filmen wider. Er
starb am 6.September 1998 in Tokyo.
Andreas Bodden