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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.8 vom 14.03.2000, Seite 1

Nein zur Privatisierung!

Ken4London

Wenn Ken Livingstone am 4.Mai zum Oberbürgermeister von London gewählt wird, geht vom Herzland des Kapitalismus ein neues politisches Signal aus: 21 Jahre nach dem Siegeszug des Neoliberalismus, der sich mit den Namen Margaret Thatcher und Tony Blair verbindet, wird eine neue Botschaft verkündet werden: eine Alternative ist möglich.
Ken Livingstone wurde Ende März wegen seiner Kandidatur aus der regierenden Labour Party ausgeschlossen, der er seit über 30 Jahren angehörte. Sein Wahlprogramm baut sich um einen zentralen Punkt herum auf, der Kernstück der neoliberalen Offensive ist: die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen - Schulen, Krankenhäuser und allem voran die Londoner U-Bahn.
Um die Tragweite seiner Kandidatur zu ermessen, ist ein Blick in die 80er Jahre erforderlich. Im Mai 1981 wurde Livingstone als Exponent der Labour-Linken zum erstenmal Oberbürgermeister und Vorsitzender des Greater London Council (der Stadtrat von Groß-London).
Unter seiner Administration wurden Selbstverwaltungsrechte bisher benachteiligter Bevölkerungsgruppen - Frauen, Schwarze, Schwule und Lesben, Behinderte - ausgeweitet. Zahlreiche Gemeinwesenstrukturen erhielten zum erstenmal finanzielle Unterstützung für ihre Arbeit. Und eine seiner ersten Maßnahmen war die Senkung der Tarife für den öffentlichen Nahverkehr um 32%; damit wollte Livingstone die Londoner gewinnen, vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen.
Diese Politik haben ihm die Londoner nicht vergessen; sie fand damals viel Nachahmung in anderen, von der Labour-Linken verwalteten Städten, und ist heute eine der Quellen seiner anhaltend hohen Popularität.
Margaret Thatcher reagierte prompt mit einer Kampfansage, die darauf zielte, der kommunalen Selbstverwaltung und den Bastionen der Linken das Genick zu brechen: Städten und Gemeinden wurden die staatlichen Subventionen massiv gekürzt und ihr Recht auf Erhebung eigener Steuern eingeschränkt, um sie finanziell auszutrocknen und handlungsunfähig zu machen.
Livingstone verzichtete darauf, solche Steuern "freiwillig" zu erheben - ein Weg, der in der Labour Party breit diskutiert und in zwei weiteren Städten befolgt wurde. Er verlor den Kampf; der Greater London Council wurde 1986 von Thatcher aufgelöst. Zusammen mit der Niederlage der britischen Bergarbeiter 1985 war dies der Schlag, der die einstmals kämpferische britische Arbeiterbewegung zwei Jahrzehnte hindurch handlungsunfähig gemacht hat.
Wenn Livingstone, der immer noch ein Exponent der Labour-Linken ist, heute zum Comeback ansetzt, bricht er damit das Zwangskorsett, das die Linke so lange gelähmt hat und eröffnet die Perspektive nicht nur für eine andere Stadtpolitik, sondern auch für eine linke politische Alternative zur Labour Party.
Livingstone wird von einer breiten Allianz von Gewerkschaften, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und linken Gruppen unterstützt, der London Socialist Alliance. Aber der Zuspruch dringt weit bis in bürgerliche Kreise: Eine Meinungsumfrage der Tageszeitung Guardian ermittelte am 6.März, er finde Unterstützung bei 48% der Tories, 70% der Liberal Democrats, 75% der Labour-Anhänger. Dies wäre nicht verständlich, wenn man nicht weiß, dass sich gegen die jahrelange Politik des staatlichen Rückzugs aus der öffentlichen Versorgung mittlerweile massiver Unmut aufgestaut hat, der quer durch alle Bevölkerungsschichten geht: Selbst die Londoner Handelskammer hält Livingstone für "einen guten Botschafter Londons".
Die seit Jahren ausgebliebenen Investitionen führen täglich zum Verkehrschaos und gefährden massiv die Sicherheit von mehreren hunderttausend Fahrgästen pro Tag. Deswegen hat es schon zahlreiche Todesfälle gegeben; das größte Unglück geschah am 6.Oktober 1999 in Paddington, wo bei der U-Bahn ein Signal übersehen wurde und 31 Menschen ums Leben kamen.
Daraufhin gab es in der Öffentlichkeit eine bis heute anhaltende Diskussion, in der gefordert wird, die Privatisierung des Bahnnetzes und dessen Aufteilung auf verschiedene Gesellschaften wieder rückgängig und die Bahn erneut zu einem Staatsbetrieb zu machen. Livingstone hat sich mit seiner Kandidatur zum Sprecher dieser Bewegung gemacht.
London ist kein Einzelfall. Auch andere Städte Englands hat der Premierminister Tony Blair zum Ausverkauf ausgeschrieben: auf den größten Widerstand stoßen dabei die Pläne, Schulen und Krankenhäuser zu "verkaufen" und von Kapitalgesellschaften nach Gesichtspunkten des privaten Profits betreiben zu lassen. Das Schulsystem im nordenglischen Leeds soll von einer Aktiengesellschaft betrieben werden, die ihren Verwaltungssitz in New York hat!
Ein Strang dieser Politik lässt sich nach Seattle, Dezember ‘99, zurückverfolgen: Dort hatten die USA die weltweite Öffnung des Dienstleistungssektors für amerikanisches Kapital auf die Tagesordnung der WTO gesetzt. Anders als in der Agrarpolitik gibt es hierüber zwischen USA, EU, Japan und Kanada keine nennenswerte Differenzen.
Wie in England sorgt auch im Nachbarland Frankreich der Widerstand gegen die Privatisierung seit Jahren für eine breite Mobilisierung der Öffentlichkeit - so sehr, dass Premierminister Jospin auf dem letzten Ratsgipfel der EU in Lissabon öffentlich seinen Dissens erklären musste.
An der deutschen Öffentlichkeit ist die Debatte bislang so gut wie vorbei gegangen: Gegen die Privatisierung der Bahn gab es überhaupt keinen Protest; Gas- und Wasserwerke in Rostock, Berlin und anderswo konnten ohne öffentlichen Aufschrei privatisiert werden, selten haben Gewerkschaften etwas dagegen unternommen - und wenn, blieben sie meist isoliert. Zum ersten Mal hat es im Februar in Köln einen Streik bei den Verkehrsbetrieben gegeben.
Der Wahlsieg von Livingstone könnte dafür sorgen, dass die Diskussion über die Privatisierung auch bei uns eine andere Wendung erhält.

Angela Klein


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