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Mit dem Pilotabschluss für die Metallindustrie am 18. März konnte der nordrhein-
westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Harald Schartau einen ähnlichen Überraschungseffekt erzielen wie kurze Zeit vorher
Hubertus Schmoldt, der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IG BCE).
Als Leiter des mitgliederstärksten Bezirks der IG Metall hat Schartau
vor Ablauf der Friedenspflicht einen Abschluss zu Stande gebracht, ohne die "Rituale", wie Warnstreiks, Betriebsversammlungen
oder Protestaktionen am Verhandlungsort, zu nutzen. Der Charakter dieses Abschlusses wird die Tarifpolitik der IG Metall für Jahre
prägen: Die Tariferhöhung von 3% für dieses Jahr und 2,1% für 2001 passt sich in den Wunschhorizont des
Kanzleramts und der Arbeitgeberverbände ein. Statt der "Beschäftigungsbrücke Jung/Alt", besser bekannt als
Tariffonds für eine Rente mit 60, gibt es einige Verbesserungen bei der Altersteilzeit.
Mindestens alle 57-jährigen Beschäftigten, für die der
Tarifvertrag gilt, haben jetzt einen Anspruch auf eine verblockte Altersteilzeit von bis zu sechs Jahren, wobei die Freistellungsphase
spätestens mit der Vollendung des 60.Lebensjahrs beginnen muss.
Um allerdings einen persönlichen Anspruch geltend zu machen,
dürfen sich erst 4% (5% ab dem 1.Mai 2002 ) der Beschäftigten eines Betriebs in Altersteilzeit befinden. Die Aufbesserung der
Altersteilzeit wurde allerdings mit einer Festschreibung der Dauer der Arbeitszeit im Manteltarifvertrag bis zum April 2003 erkauft.
Als Ausgleich für zu erwartende Rentenkürzungen wurde eine
Abfindung von 450 Mark für jeden Monat vereinbart, der zwischen der Beendigung des Arbeitverhältnisses und dem Zeitpunkt, an
dem der Beschäftigte Anspruch auf ungeminderte Altersrente gehabt hätte, liegt. Da das in der Regel das 65.Lebensjahr ist, machen
sich danach die Abzüge im Einkommen voll bemerkbar, was sich bei den reduzierten Bezügen der Witwenrente besonders
drastisch auswirken wird.
Die positive Seite dieses Tarifabschlusses liegt in der Ausdehnung der
Übernahmeverpflichtung für ehemalige Auszubildende auf mindestens 12 Monate ab dem 1.Mai 2001 und im Weiterbestehen der
Regelungen über Jahressonderzahlungen, die nach Wunsch der Unternehmer "ertragsabhängig" gemacht werden sollten.
Während das Ergebnis in der Mitgliedschaft in Nordrhein-Westfalen
weder bejubelt noch besonders heftig kritisiert zu werden scheint, gab es bei der IG Metall in Baden-Württemberg lange Gesichter.
In der Verhandlungsrunde waren schon Arbeitgebermodelle zur
Verbesserung der Altersteilzeit im Gespräch. Die GewerkschafterInnen erwarteten, dass eine Einigung, die der inhaltlichen
Qualität der Brücke Jung/Alt entsprechen würde, nicht ohne Warnstreiks zu erreichen sei. Auch wenn das nordrhein-
westfälische Ergebnis jetzt in den wesentlichen Zügen übernommen wurde, riefen Flugblätter dazu auf, die Inhalte der
Einigung in den Betrieben zu diskutieren.
Obwohl dieser Abschluss eine Absage an jede Tarifpolitik ist, die den
Kampf gegen Erwerbslosigkeit ernst nimmt, stellte sich Klaus Zwickel hinter Harald Schartau. Hier schlägt die Angewohnheit Zwickels,
Ideen pressewirksam in die Welt zu setzen, ohne dass vorher eine breite Debatte in der Mitgliedschaft geführt wird, auf ihn selbst
zurück. Solche Versuche, seiner Rolle als Vorsitzender einer Organisation gerecht zu werden, die nicht nur betriebspolitische sondern
auch gesamtgesellschaftliche Ziele auf die Fahnen geschrieben hat, können dann schnell durch die mächtigen Betriebsleiter
ausgehebelt werden.
Beschäftigungpolitisch bringt der Abschluss wenig, er verbilligt
sogar den Personalabbau. Drei Jahre lang wird auf arbeitszeitpolitischer Ebene Stillstand herrschen, wobei die Gefahr besteht, dass sich in
dieser Zeit Konzepte wie Mehrarbeitsguthaben, um früher in Rente gehen zu können, in der innerorganisatorischen Debatte immer
mehr durchsetzen.
Auch hat sich das Drohpotenzial, das Bündnis für Arbeit zu
verlassen, mit diesem Abschluss drastisch verringert. Der hier demonstrierte "Sinn für Realitäten" ist ganz nach dem
Geschmack der anderen Teilnehmer.
Auch wenn es vorübergehend zu Unstimmigkeiten zwischen Harald
Schartau und Berthold Huber, dem baden-württembergischen IG-Metall-Chef, gekommen ist, werden beide bei der Besetzung der IG-
Metall-Spitze in drei Jahren ein gewichtiges Wort mitzureden haben, nicht gegeneinander, sondern als Doppelpack. Es sei denn, Schartau
wechselt nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 14.Mai als Arbeits- und Sozialminister ins Kabinett von Clement, wie in der
Presse bereits vermutet wurde.
Udo Bonn