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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.8 vom 14.03.2000, Seite 4

Die Partei ist nicht mehr dieselbe wie vorher

Ein Fazit vom Parteitag der PDS

Was ein Parteitag in der Entwicklung einer Partei bedeutet, lässt sich nicht nur am Wortlaut der Beschlüsse ablesen. Er bekommt seine Bedeutung auch aus dem, wie die Delegierten und der Vorstand die Beschlüsse bewerten und welche Schlussfolgerungen sie ziehen. So gesehen war der Münsteraner Parteitag ein Wendepunkt in der Geschichte der PDS.
Drei Merkmale stechen in seinem Ablauf hervor:

1. Der Parteivorstand ist einer krassen Fehleinschätzung aufgesessen, da er sich sicher wähnte, die Mehrzahl der Delegierten werde seinem Antrag folgen. Dabei war in den Diskussionen im Vorfeld vor Ort, vor allem in Ostdeutschland, deutlich geworden, dass der Antrag der stellvertretenden Parteivorsitzenden und Europa-Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann großen Zuspruch fand. Das Nein kam nicht aus heiterem Himmel und auch nicht nur aus den Reihen der unverbesserlichen und im Vorfeld so viel gescholtenen "Dogmatiker" - es kam aus der Mitte der Partei.
Erstaunlich ist das nicht. Schließlich ist es gerade ein Jahr her, dass die Mitglieder und Aktiven genau gegen die Argumente - Scheinargumente - öffentlich Stellung beziehen mussten, die sie jetzt abnicken sollten: Ein angeblicher Völkermord im Kosovo sollte einen angeblich "humanitären" Krieg rechtfertigen. Zwar hat die PDS damals ihre Gegnerschaft gegen den Krieg vorwiegend mit völkerrechtlichen Argumenten bestritten: der Militäreinsatz sei von der UNO nicht abgesegnet, die Souveränität Jugoslawiens verletzt. Aber es kann als sicher gelten: Die PDS hätte auch dann Nein zum Krieg gesagt, wenn die UNO ihn mitbeschlossen und Kosovo nicht Teil Jugoslawiens gewesen wäre. Es ist schwer, eine Mitgliedschaft, die so eindeutig Flagge gezeigt und damit auch wahlpolitischen Erfolg gehabt hat, in so kurzer Zeit zu einer entgegengesetzten Aussage zu zwingen.
Die PDS-Mitglieder hatten auch das Beispiel der Grünen vor den Augen: Kaum zwei Jahre ist es her, da war das Ja zu UNO-Kampfeinsätzen deren Einfallstor zum Ja zur NATO und deren Krieg. Die Stimmung ist nicht danach, es ihnen so schnell nachzumachen. Da stellt sich die Frage: Bekommt das der Parteivorstand nicht mehr mit? Und warum? Hat er sich wieder in einem zunehmend besser eingespielten Apparat aus Amts- und Mandatsträgern eingeigelt, der ihn von der realen Welt abschottet?
Die Fehleinschätzung war die Ursache dafür, dass die Parteitagsregie aus dem Ruder gelaufen ist und der Vorstand in der entscheidenden Debatte nicht präsent war.

2. Das Nein war ein Nein zu einer isolierten Frage; die Neinsager teilen deswegen nicht notwendig weitergehende gemeinsame Einschätzungen, weder zur UNO oder EU, noch zur Bundeswehr, noch zur Frage, ob die PDS künftig in einer Bundesregierung mit der SPD koalieren soll. In Anbetracht der Umstände jedoch, unter denen der Punkt überhaupt auf die Tagesordnung gekommen ist, wurde unweigerlich eine Dynamik inganggesetzt, die über den Anlass "UNO-Kampfeinsätze" hinausgeht.
Für den Parteivorstand war der Antrag ein Meilenstein auf dem Weg, bis zum Jahr 2002 die Koalitionsfähigkeit der PDS auf Bundesbene unter Beweis zu stellen. Und was alle Parteien der Linken schon früher erfahren mussten, wird auch die PDS dabei erfahren: Es kommt (unter den Umständen, die wir leider heute haben) keine Partei in die Bundesregierung, die nicht uneingeschränkt Ja zur Bundeswehr, Ja zur NATO und - inzwischen - Ja zur EU sagt. Der UNO- Antrag sollte den Weg dahin öffnen.
Dass für den Parteivorstand mit dem Antrag die Einleitung eines Kurswechsels in Richtung Mitregieren verbunden war, zeigte nicht nur die Abschiedsrede von Gysi (s.u.), sondern auch die Tatsache, wie der Parteivorstand auf die Ablehnung seines Antrags reagierte: im Kern getroffen und kopflos. Die Abstimmungsniederlage zog eine zwei- bis dreistündige Krisensitzung des Vorstands nach sich, in der der Rücktritt des gesamten Vorstands erwogen worden sein soll. Da ist mehr zu Bruch gegangen als ein Antrag zu einer einzelnen Frage, und die Vorstandsreaktionen wären gänzlich unverständlich, wenn zuträfe, was Gysi am nächsten Tag in einem Interview im ND sagte: "Es ist doch klar, dass wir in aller Regel Kampfeinsätze ablehnen werden, weil ich mir nur ganz wenige Fälle vorstellen kann, in denen ich sagen würde, es gibt nun wirklich keine andere Alternative mehr." Wozu dann die Aufregung?
Vorstand und Fraktion haben noch eine andere Tür aufgemacht: Der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke, aber auch Gysi, haben das Ja zu UNO-Kampfeinsätzen u.a. mit der Tendenz zu einer "unipolaren Welt" begründet - d.h. einer nur noch vom US-Imperialismus dominierten Welt; dem müsse man mit einer "multipolaren Welt", mit dem Aufbau von Gegengewichten sozusagen, begegnen: mit der EU (und der Stärkung Deutschlands als Kernland der EU). Da beide sich rühmen, Realpolitik machen zu wollen, kann dies nur bedeuten, dass die PDS dem Aufbau der EU-Militärunion, der Aufrüstung der Bundeswehr und der Bereitstellung von Geldern für deren Hochrüstung zustimmen muss - denn das ist die Voraussetzung dafür.
Die Tragweite des Parteitagsbeschlusses geht also weit über UNO- Kampfeinsätze hinaus.

3. Die Delegierten haben es gewagt, sich an einem für die Politik in Deutschland entscheidenden Punkt, der die zentralen Machtinteressen des deutschen Kapitals berührt, dem gesellschaftlichen Mainstream und der herrschenden Logik zu verweigern. Sie haben sich zugleich dem herrschenden Parteikonsens verweigert, um jeden Preis in der bestehenden - kapitalistischen - Gesellschaft anzukommen. Sie haben es gewagt, an einem für ihre Identität wesentlichen Punkt ihren Überzeugungen treu zu bleiben und sie nicht auf dem Altar von Machtinteressen zu opfern. Der Parteikonsens ist damit gebrochen. Das ist es wohl, was Pressesprecher Hanno Harnisch meinte, als er vor der Presse sagte: "Die Partei ist nicht mehr dieselbe wie vorher."
Die letzten elf Jahre hat die PDS damit verbracht, um ihren politischen Platz in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu kämpfen. Das ist ihr gelungen - und daran hat Gysi einen großen Anteil. Jetzt muss sie die Frage beantworten, was es bedeutet, in dieser Gesellschaft Partei der Opposition zu sein. Diese Identität ist noch nicht gefunden. Der Parteitag von Münster hat ein Tor aufgestoßen, darüber neu zu diskutieren; er hat neue Spielräume für linke Politik aufgemacht. Die Partei ist in eine Führungskrise geraten, die sich nicht auf den Vorstand beschränken wird; in welche Richtungen sich der bisherige Führungskern dabei entwickelt, ist offen. Das weckt bei manchen Mitgliedern Ängste, die Partei könne zerfallen; es bietet aber auch die Chance, gerade auch mit Hilfe der Programmdiskussion ein neues Fundament für eine sozialistische Oppositionspartei zu entwickeln, das ein Anker für soziale Bewegungen, gesellschaftlichen Widerstand und Gegenmacht werden kann. Es lohnt sich, darum zu kämpfen.

Angela Klein


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