Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.8 vom 14.03.2000, Seite 4

Gysis Abgang

In seiner "letzten Rede vor einem Parteitag der PDS" hat Gysi den Delegierten noch einmal ins Stammbuch geschrieben, wo er die Zukunft der Partei sieht. Die Rede war von dankenswerter Klarheit - und in ihrer Flachheit ein erschütternder Abschied von jeder grundsätzlichen praktischen Kapitalismuskritik.
Einzige Zielscheibe war die "Parteilinke". Ihr warf er vor, sie stelle sich lieber außerhalb der Gesellschaft als zu versuchen, die Menschen zu gewinnen; denunziere lieber, als Brücken zu bauen "zu Kirchen und Gewerkschaften". Zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in der Bundesrepublik fand er kein einziges kritisches Wort; es ging einzig darum darzulegen, was er meint, wenn er sagt: Die PDS muss gesellschaftsfähig werden.
Dazu brachte er drei positive Beispiele:

1. Die Einladung, die die Bundestagsfraktion an den Präsidenten der Bundesbank, Ernst Welteke, ausgesprochen hatte. Gegen die Kritik, die daran in Fraktion und Partei geäußert worden war, wandte er ein, die Tatsache, dass er der Einladung Folge geleistet habe, sei "ein Ausdruck des Grads der Akzeptanz, die die PDS erreicht" habe.

2. Die Einladung an ihn durch den Bundeswehrverband. Dies sei der richtige Ansprechpartner, um über die Demokratisierung der Bundeswehr zu reden. Prompt genierte ihn, dass sich zu Beginn des Parteitags während Fotoaufnahmen Mitglieder hinter ihm mit dem Plakat "Soldaten sind Mörder" aufgestellt hatten. Den Spruch von Tucholsky fände er richtig, aber man müsse sehen: es dienen auch Söhne von PDSlern in der Bundeswehr, die lassen sich nicht gern als Mörder anreden. Und dann sagte er etwas, das einer Beleidigung der guten Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung gleichkommt: Auch Karl Liebknecht sei dafür eingetreten, in die Armee einzutreten, um sie von innen heraus zu demokratisieren. Aber Liebknecht ist dafür eingetreten, in der Armee zu arbeiten, um ihre Kampfkraft zu zersetzen und sie untauglich zu machen, nicht um sie zu demokratisieren!

3. Es gebe eine Gemeinsamkeit zwischen Konservativen und Linken in Deutschland: das Interesse, die innere Einheit Deutschlands herzustellen. Dem dürfe sich die Linke nicht verweigern.
In einer Geschichtsklitterung, von der man nicht weiß, ob sie bösartig oder ignorant ist, spannte er einen Bogen von den Sozialistengesetzen bis heute, um nachzuweisen, anders als in Frankreich oder England habe sich die deutsche Linke immer geweigert, sich als Teil der Gesellschaft zu begreifen und auf dem Boden der nationalen Gemeinschaft zu stehen. Deshalb habe sie auch keinen Erfolg gehabt. Man fragt sich, woran die deutschen Revolutionen gescheitert sind: an der "nationalen Gemeinschaft" zwischen liberalem Bürgertum, später Sozialdemokraten mit den konservativen und reaktionären Kräften, oder an linker Lust zur Selbstisolation? Diese Bündnisse hat es in Frankreich nicht gegeben - weil das Bürgertum es selber einmal gewagt hat, die Gemeinschaft mit dem Feudaladel zu brechen und die Legitimität des Souveräns für sich zu beanspruchen, während das deutsche Bürgertum aus seiner selbstverleugnenden Gemeinschaft mit dem Junkertum nie herausgekommen ist - was ihm die Sozialdemokratie nachmachte und nun auch von Gysi empfohlen wird.
Die zentralen Punkte der Auseinandersetzung mit der Linken ortete Gysi in der Macht- und in der Eigentumsfrage. Machtstrukturen würden nicht dadurch verändert, dass man ihre Inhaber auswechselt (wie wahr, und wie wenig greift dieses Argument, wenn man versucht, PDS-Vertretern klar zu machen, dass sich Regierungspolitik unter den gegebenen gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen nicht ändert, nur weil die PDS mitmacht!); man müsse stattdessen die Macht auf mehrere Schultern verteilen - was gegenwärtig wohl heißt: mehr Posten vergeben und auch an die PDS. Eigentum soll nicht verstaatlicht, sondern sozialpflichtig werden. Das steht schon so im Grundgesetz und hindert die Deutsche Bank nicht, bei einer Fusion 16000 Arbeitsplätze aufs Spiel zu setzen. Die EU soll zu einer starken Konkurrenz gegen die USA aufgebaut werden.
Der Mann hat seinen Frieden mit dem deutschen Imperialismus gemacht. Das fällt ihm um so leichter, als die PDS, hervorgegangen aus einer Staatspartei, bis heute den Grundkonflikt zwischen Kapital und Arbeit nicht zum Ausgangspunkt ihrer Oppositionsrolle gemacht hat.

Angela Klein


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