Sozialistische Zeitung |
Der Parteitag in Münster als der erste im Westen sei ein Abenteuer und so etwas wie eine Mondlandung.
So hatte sich der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch im Vorfeld geäußert. Er sollte Recht bekommmen, wenn auch
auf andere Art, als er erwartet hatte.
Der Vorstand ist in Münster mit seinem abenteuerlichen Ziel
gescheitert, die antimilitaristische Grundhaltung der PDS, die wesentlich zu ihren Wahlerfolgen beigetragen hat, aufzuweichen und fallweise
ein Ja zu Kriegen mit UN-Mandat zu sagen. Rund zwei Drittel der Delegierten sagten dazu Nein. Die Reaktion darauf war
unmissverständlich bürokratisch. Angekündigt wurde, man wolle das Ergebnis "revidieren".
Der Münsteraner Parteitag ist eine Lehre dafür, wie politisch
kontraproduktiv es sein kann, den Parteimitgliedern von oben eine eigene Tagesordnung aufzuzwingen. Laut Beschluss des Rostocker Parteitags
von 1997 sollte sich ein kommender Parteitag schwerpunktmäßig mit den Themen Ökologie, Feminismus und Nord-Süd
befassen. Der Münsteraner Parteitag sollte endlich diesen Themen gewidmet sein. Faktisch spielten diese Themen jedoch in
Münster nur eine untergeordnete Rolle. Bereits rein zeitlich mussten sie enorm verkürzt - am Samstagnachmittag - behandelt
werden. Politisch standen sie völlig im Schatten der vorausgegangenen Entscheidung über UN-Kampfeinsätze.
Der Vorstand glänzte während der Debatte zu diesen Themen
fast komplett durch Abwesenheit, was die Delegierten mit Ärger quittierten und die Medien mit Genuss dokumentierten. Die
Erklärung Gabi Zimmers am Tag darauf, der Vorstand habe in diesen Stunden tagen müssen, um die Entscheidung des Parteitags zu
den UN-Kampfeinsätzen zu debattieren, überzeugte wenig. Immerhin musste ein verantwortungsbewusster Vorstand mit der
Möglichkeit einer solchen Parteitagsentscheidung rechnen und dafür Modalitäten vorsehen, die nicht einer Brüskierung
des Parteitags gleichkamen. Darüber hinaus hatten viele Delegierte durchaus den Stern gelesen. Pünktlich am Tag vor
Eröffnung des Parteitags hatte dort Vordenker Brie gewissermaßen die Situation des Samstagnachmittags vorgedacht und
erklärt, dieser Parteitag werde "vermutlich das falsche" Signal aussenden: "Das richtige Signal wäre die Debatte
über ein neues Progamm gewesen. Dazu hat der Vorstand nicht den Mut gehabt. Stattdessen werden wir über Frauenpolitik,
Ökologie und den Nord-Süd-Konflikt diskutieren. Da kann für die Reformebatte nicht viel rauskommen."
Umgekehrt wäre ein Schuh draus geworden: Gerade in diesen
Bereichen ist die PDS "programmatisch unterbelichtet". Eine Konzentration auf diese Themen hätte programmatische
Bereicherung bringen können. Das zeigten auch viele vorliegende Anträge und Debattenbeiträge. Der abfällige Umgang
mit den Themen verdeutlicht: Es geht der Mehrheit des Vorstands nicht um progammatische Bereicherung und Schärfung des
sozialistischen, programmatischen Profils der PDS. Es ging in Münster um einen Richtungswechsel nach rechts. Und dieser
scheiterte.
Programmdebatte
Die Debatte über ein neues Programm war im Grunde eine Formaldebatte über die
Art und Weise und über den zeitlichen Ablauf einer möglichen zukünftigen Programmebatte. Zwar versuchte der Vorstand,
die Annahme des Antrags der Vorstandsmehrheit als gleichgewichtig zur Abstimmungsniederlage tags drauf in Sachen UN-Kampfeinsätze
hinzustellen. Doch diese Darstellung akzeptierten nicht einmal die Medien, die ansonsten die Vorstandspolitik mit viel Sympathie begleiteten.
Die Behauptung, die PDS benötige ein neues Programm, wurde vom
Vorstand seit geraumer Zeit vertreten. Anfang 1998 wurde beschlossen, diese Frage in einer Programmkommission und auf einem kommenden
Parteitag zu diskutieren. Der Berg kreißte und gebar ein Mäuschen: Ein Jahr lang debattierte die Progammkommission. Im Oktober
1999 legte sie Mehrheitsthesen und ein Minderheitsvotum vor. Diese wurden publiziert und debattiert. Doch weder verhielt sich der Vorstand
zu diesen Texten, noch durften die Parteitags-Delegierten dazu befinden. Stattdessen wurde ihnen ein Leitantrag des Vorstands vorgelegt, in
dem die entscheidenden Sätze lauten:
"Die vorgelegten Thesen der Programmkommission bestätigen
die Annahme, dass das geltene Programm überarbeitungsbedürftig ist. Gleichzeitig verdeutlichen die Thesen wie auch das von der
Minderheit vorgelegte Votum, dass es in der Partei einen erheblichen Klärungsbedarf über Grundsatzfragen gibt … Deswegen
beschließt der Parteitag: Die programmatische Debatte wird fortgeführt. Der Parteitag beauftragt daher die Programmmkommission
… die Ergebnisse der Debatte so rechtzeitig zusammen zu fassen, dass damit Vorlauf für das Bundestags-Wahlprogamm geschaffen
werden kann. Erst der 7.Parteitag [solle] über den zeitlichen Verlauf der Debatte ingesamt [entscheiden]."
Der Antrag wurde mit klarer Mehrheit angenommen. Der Antrag der
Minderheit, der eine Programmdebatte vor allem bei einzelnen Themen enger an erreichte programmatische Positionen des geltenden
Programms binden wollte, fand bei rund einem Drittel der Delegierten Unterstützung. Ein Abänderungsantrag derselben Minderheit,
der wesentliche Intentionen der Minderheit in den Antrag der Vorstandsmehrheit "hineinschreiben" wollte, wurde mit einer Stimme
Mehrheit abgelehnt. Angesichts der verwirrenden Antragslage und des geringen "materiellen" Gehalts dessen, was beschlossen
wurde und zu beschließen war, kann in diese Parteitagsbeschlüsse nicht viel "hineingelesen" werden. Im Grunde wurde
gesagt und beschlossen: Wir haben diskutiert, wir diskutieren weiter.
Allerdings stellt die zeitliche Bestimmung, "erst der 7.
Parteitag" werde über den weiteren Verlauf der Progammdebatte befinden, eine Öffnungsformel dar, die den Delegierten
nicht klar sein konnte. Dieser 7.Parteitag hätte normalerweise Anfang 2001 stattgefunden. Er soll nun, laut Ankündigung des
Parteivorstands, auf Herbst 2000 oder Ende 2000 vorgezogen werden. Dafür gibt es formal keine Gründe, denn die Amtszeit des
Parteivorsitzenden Lothar Bisky wäre ohne Statutenänderung ohnehin erst Anfang 2001 ausgelaufen. Das Vorziehen des Parteitags
und die Festlegung, auf diesem solle über den zeitlichen Ablauf der Progammebatte entschieden werden, bringt allerdings mit aller
Wahrscheinlichkeit eine neue problematische Programmhektik mit sich bringen: Präsentiert die Vorstandsmehrheit bis Jahresende einen
neuen Programmentwurf oder "zaubert ihn hervor", ist folgender zeitliche Ablauf möglich:
- Der 7.Parteitag im letzten Quartal 2000 beschließt einen
Programmparteitag für das zweite Halbjahr 2001:
- dieser verabschiedet ein neues Programm, das dann maßgeblich den
Bundestagswahlkampf der PDS im Jahr 2002 bestimmen wird.
Der Auftrag der oben wiedergegebenen Passage aus dem in Münster
verabschiedeten Vorstandsantrag mit dem "Vorlauf für das Wahlprogamm" würde dann gewissermaßen
"übererfüllt".
UNO-Kampfeinsätze
Der PDS-Parteitag in Münster war faktisch
vollkommen vom Thema Antimilitarismus und Militarismus geprägt. Die Mehrheit des PDS-Vorstands wollte mit aller Kraft und vielen
Tricks die geltende Beschlusslage des Magdeburger Parteitags kippen. Dieser hatte in Präzisierung des geltenden Progamms festgelegt,
dass die PDS auch UN-Kampfeinsätze - das sind von der UNO mandatierte Kriege - nach Kapitel VII der UN-Charta ablehnt. Das sollte
die Regel sein. Der Parteivostand wollte nun als neue Regel das Ja der PDS zur UN-Charta als Ganzer festlegen lassen, also unter Einschluss
von Kapitel VII. Es sollte dann in "Einzelfallprüfung" entschieden werden, ob ein jeweiliger Kampfeinsatz die Zustimmung
der PDS findet oder nicht.
Diese Grundlinie ist noch kristallklar in den Mehrheitsthesen der
Programmkommission und in einem entsprechenden Beschluss der Mehrheit des Parteivorstands und der Mehrheit der Bundestagsfraktion
enthalten. Je mehr sich im Verlauf der Debatte an der Basis allerdings erheblicher Widerstand gegen eine solche Revision zeigte, desto mehr
wurden verwässerte und undeutliche Anträge für den Parteitag präsentiert. In der dem Parteitag schließlich
vorgelegten Antragsfassung heißt es an der entscheidenden Stelle "nur" noch: "Nur in Ausnahmefällen erlaubt
Kapitel VII [der UN-Charta] Gewaltanwendung. Die PDS lehnt gewaltsame Interventionen ohne Mandat der UNO ab. Auch von der UN
mandatierte Einsätze müssen abgelehnt werden, wenn zivile Maßnahmen der Konfliktlösung ungenutzt bleiben oder
nicht ausgeschöpft wurden."
Demgegenüber endet der von rund hundert Unterzeichneten
eingebrachte und von der stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Sylvia-Yvonne Kaufmann initiierte Antrag mit dem Satz: "Die PDS
lehnt aus all diesen Gründen UN-mandatierte Militärinterventionen unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta ab."
Viele in der PDS, die nicht ohne weiteres mit der Vorstandsmehrheit in
Verbindung gebracht werden, orientierten sich am Ende am Antrag dieser Vorstandsmehrheit. Einige, so auch Genossinnen und Genossen aus
dem Spektrum des ehemaligen BWK (Bund Westdeutscher Kommunisten), versuchten, ihn durch Abänderungsanträge zu
"verbessern". Andere, wie Elmar Schmähling, stellten "begleitende Anträge", die sie dann, als die letzte -
nochmals "entschärfte" - Fassung des Vorstandsantrags vorlag, zurückzogen, weil dieser anscheinend allem
antimilitaristischen Begehr Genüge getan hatte.
Dies alles muss man wissen, wenn man die Parteitagsentscheidung gegen
den Antrag der Vorstandsmehrheit und für den von Sylvia-Yvonne Kaufmann initiierten Antrag umfassend würdigen will. Trotz der
Verwirrung durch den Antragsverlauf gelang es Sylvia-Yvonne Kaufmann, eine ausgezeichnete Rede zu halten, in der sie die verbleibende, aber
entscheidende Differenz zum Antrag der Vorstandsmehrheit glasklar herausarbeitete: keine "friedenserzwingenden
Maßnahmen", keine UNO-Kampfeinsätze nach Kapitel VII: "Ich will nicht, dass morgen in der Zeitung steht, die PDS
stimmt humanitären Kriegseinsätzen zu", brachte sie ihre Rede zum Schluss auf den Punkt.
Es ist deshalb eine Unverschämtheit zu behaupten, ihre Rede sei in
erster Linie eine "emotionale" gewesen, deshalb habe der Antrag eine Mehrheit gefunden. Kaufmann argumentierte in ihrer Rede
präzise und inhaltlich; u.a. wies sie nach, dass es noch nie einen UN-Kampfeinsatz gegeben hat, in dem zuvor alle Möglichkeiten
zur zivilen Konfliktbereinigung ausgeschöpft wurden. Dass Sylvia-Yvonne Kaufmann am Ende ihre Emotionen nicht zurückhalten
konnte, ist angesichts der Tragweite der Entscheidung mehr als legitim.
Die entscheidende Abstimmung war die über die Frage, welcher
Antrag Grundlage der weiteren Beratungen sein sollte. Sie fiel so deutlich aus, dass von einer emotionalen Fehlleitung keine Rede sein konnte:
Der Antrag der Parteivorstandsmehrheit erhielt 126 Stimmen, der von Sylvia-Yvonne Kaufmann u.a. 219. Faktisch sagte eine Zweidrittel-
Mehrheit Nein zu jedem Einfallstor für militaristische Lösungen. Damit bestätigte der Parteitag nunmehr zum dritten Mal in
Folge (Magdeburg, Suhl und Münster), am strikten Nein zu UN-Kampfeinsätzen festhalten zu wollen. Noch am Abend vor der
Entscheidung hatten führende PDS-Vertreter, so Gregor Gysi, vor laufenden Kameras erklärt, der Parteitag werde dem Vorschlag
des Parteivorstands folgen. Selten hat ein Vorstand in solcher Abgehobenheit von der Basis agiert.
Erpressung
Die Reaktion
von Mitgliedern des Parteivorstands nach der Entscheidung sprechen dafür, dass nicht hinzu gelernt wird, und dass weiter alles zur
Revision dieser PDS-Position getan wird. Zwar waren diese Erklärungen oft mit Formulierungen verbunden, die Anlass zu Hoffnung
gaben. So wenn Lothar Bisky und Gabi Zimmer vor dem Parteitag feststellten, der Beschluss dokumentiere den antimilitaristischen Charakter
der PDS. Oder wenn Gregor Gysi in seiner Schlussrede erklärte, die PDS sei seit 1989/90 keine monolithische Partei mehr, weswegen
Entscheidungen auch gegen den Vorstand "normal" seien. Doch die entscheidenden Aussagen waren andere. Gabi Zimmer sah in
dem Parteitagsbeschluss gegen UN-Kampfeinsätze einen "fundamentalen Verlust an Politikfähigkeit". Was, so ist zu
fragen, hat die PDS denn bisher gemacht, wenn nicht "Politik"? Und: besteht "Politikfähigkeit" darin, Ja zu UN-
mandatierten Kriegen zu sagen?
Gabi Zimmer ging in ihrer Reaktion auf den Beschluss vor dem Parteitag
weiter und erklärte: "Die Debatte wird weitergeführt". Es sei auch die "Vorbereitung des Parteitags kritisch zu
bilanzieren". Waren etwa die "falschen" Delegierten gewählt worden? Wie ist es zu verstehen, dass Helmut Holter nach
der entscheidenden Abstimmung "seine" Delegierten aus Mecklenburg-Vorpommern um sich versammelte und erklärte, es sei
genau registriert worden, wie die Einzelnen abgestimmt hätten? Delegierte aus mehreren Landesverbänden äußerten,
sie hätten das Gefühl, kontrolliert und beobachtet zu werden. Vor dem Hintergrund des vorgezogenen 7. Parteitags und der damit
verbundenen Wahl neuer Delegierter wird dies ein wichtiger Aspekt sein.
Gregor Gysi hat in seiner abschließenden Rede auf dem Parteitag in
Münster nochmals erläutert, weshalb er die Entscheidung des Parteitags für falsch halte - das ist legitim. Er erklärte
dann weiter: "Es kommt der Tag, an dem wir dies korrigieren." Am Abend in den ARD-Tagesthemen wurde er noch präziser:
"Ich sage Ihnen voraus: Das wird korrigiert werden."
Das sind eindeutig Drohungen der Oberen, gerichtet an eine
aufmüpfige Basis. Das kommt dem Nichtakzeptieren einer demokratisch und souverän getroffenen Entscheidung des Parteitags
gleich. Obgleich nun schon drei Parteitage das Nein zu einem Einfallstor für militaristische Lösungen beschlossen haben, obwohl
die Entscheidung zuletzt deutlicher denn je war, obwohl allen in der Münsterland-Halle das Beispiel der Grünen vor Augen stand,
die ein Jahr zuvor nur wenige Kilometer entfernt, in Bielefeld, ihr Ja zum Krieg gegen Jugoslawien beschlossen hatten (wobei das
vorausgegangene Ja zu UNO-Kampfeinsätzen das entscheidende Einfallstor dafür war), sagen Stimmen im PDS-Partei- und
Fraktionsvorstand: Das Parteivolk unten müsse eben solange abstimmen, bis die Position des Vorstands akzeptiert werde.
Das erinnert fatal an Brechts Gedicht von 1953, wonach sich die
Führung ein neues Volk wählen solle. Das richtete sich damals allerdings an die Adresse der SED-
Führung.
Winfried Wolf