Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.8 vom 14.03.2000, Seite 11

Man macht es, weil man es macht

Frauenorganisationen vernetzen sich international gegen weibliche Beschneidung

Eines Tages ging ein Mann am Strand spazieren, nachdem ein Orkan tausende kleiner Krebse an Land gespült hatte. Der Mann bückte sich und begann, einen nach dem anderen zurück ins Meer zu werfen. Ein anderer Mann beobachtete ihn eine Weile und fragte dann: "Wie lange willst du diese Arbeit tun? Du wirst es nie schaffen, alle zu retten!" Darauf nahm der Mann einen kleinen Krebs hoch und erwiderte: "Siehst du diesen hier?", woraufhin er ihn ins Wasser brachte: "Ich habe sein Leben verändert!"
Mit dieser Geschichte erklärt Faith Mwangi-Powell, Vorsitzende von FORWARD (Foundation for Women‘s Health Research and Development) in London, ihr Engagement gegen weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation - FGM). Ich lasse mich nicht durch die riesige Masse betroffener Frauen abschrecken, sondern konzentriere mich auf jede einzelne Frau und erreiche so auch ihre Kinder und Kindeskinder.
Neben FORWARD hat sich eine Reihe von Organisationen in Deutschland diese Aufklärung zur Aufgabe gemacht. Auf einem von Amnesty International organisierten Symposium über weibliche Genitalverstümmelung vom 11. bis 13.Februar 2000 in Köln wurde beschlossen, stärker als bisher zusammenzuarbeiten. FORWARD, Terre des Femmes, Amnesty International, amnesty for women, World Vision, die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) sowie (I)ntact werden über eine gemeinsame Homepage und eine Datenbank versuchen, dieses Thema in Deutschland noch stärker an die Öffentlichkeit zu tragen und einen effektiven Informationsaustausch zu gewährleisten.
15 Millionen Frauen und Mädchen sind in 28 Ländern Afrikas und einigen Ländern Asiens groben Schätzungen zufolge von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen, circa 15% von ihnen von der grausamsten Variante, der Infibulation. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden im wesentlichen fünf verschiedene Formen von Genitalverstümmelung an Mädchen und Frauen praktiziert.
Bei der sog. milden Sunna wird die Vorhaut der Klitoris eingestochen, geritzt oder entfernt. Klitoridektomie bedeutet Entfernung der Klitoris. Die Exzision betreibt die teilweise oder vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen. Bei der Infibulation kommt es zur Amputation der Klitoris und der inneren und äußeren Schamlippen. Dabei werden die Reste der äußeren Schamlippen vernäht, so dass nur eine stecknadelkopfgroße Öffnung bleibt, durch die der Urin und das Menstruationsblut abfließen können. Eine fünfte Form bilden unklassifizierte Genitalverstümmelungen, wie zum Beispiel Gushiri-Schnitte, die den um vieles älteren Ehemännern der Frauen die Penetration erleichtern sollen. Klitoridektomie und Exzision sind amnesty international zufolge mit 85% die bei weitem häufigsten Formen von FGM.
Obschon die Eingriffe zunehmend in Krankenhäusern unter Betäubung stattfinden, werden sie in der Regel noch, wie die Somalierin Waris Dirie in ihrem autobiografischen Bestsellerroman Wüstenblume eindringlich schildert, bei vollem Bewusstsein und unter unhygienischen Bedingungen mittels scharfer Gegenstände, Messer oder Rasierklingen, vorgenommen.
Bei einer Infibulation muss zudem für Geburten und meistens vor dem ersten Geschlechtsverkehr eine Erweiterung der Vaginalöffnung, d.h. eine Defibulation, erfolgen. Oft werden den Frauen nach jeder Geburt die Narbenränder der äußeren Schamlippen erneut zusammengenäht.

Gesundheitliche Schäden
Viele der gesundheitlichen Folgen der Infibulation sind durch die Beschreibungen von Waris Dirie einer breiten Öffentlichkeit auch in Deutschland bekannt geworden. Zu den akuten Beschwerden der Klitoridektomie oder Exzision, wie unvorstellbaren Schmerzen, anhaltenden Blutungen u.a. mit Todesfolge und Infektionen, kommen langfristige Komplikationen, wie chronische Infektionen (zum Beispiel HIV), immer wiederkehrende Blutungen, Abszesse und Nerventumore.
Noch schwerwiegendere Langzeitfolgen kann laut Amnesty International die Infibulation haben. Dazu zählen chronische Harnwegsinfektionen, Steine in Blase und Harnröhre, Nierenschäden, Infektionen der Fortpflanzungsorgane, die durch das gestaute Menstruationsblut hervorgerufen werden, Beckeninfektionen und Unfruchtbarkeit, überschießendes Narbengewebe, bei der es zur fortschreitenden Narbenbildung kommt, und Dermoid-Zysten.
Begründet wird die Praxis der Genitalverstümmelung von Region zu Region sehr unterschiedlich. Oft wird sie im Zusammenhang mit der Initiation der Mädchen ins Erwachsenenleben durchgeführt, teilweise aber auch erst nach der ersten Schwangerschaft oder auch bereits im Säuglingsalter. Angaben der WHO zufolge sind die meisten Mädchen heute bei dem Eingriff zwischen vier und acht Jahre alt, tendenziell werden die Mädchen jedoch immer jünger.
Seit den 80er Jahren arbeiten in Afrika jedoch Frauenorganisationen für die Abschaffung dieser Praxis und erzielen bereits Erfolge. Joy Keshi Ashibuogwu von der Women Issues Communication Services Agency (WISCA), in Nigeria schätzt den Trend rückläufig ein. Verschiedene Projekte in Afrika experimentieren mit alternativen unblutigen Initiationsritualen, so zum Beispiel ein von der Organisation World Vision unterstütztes Projekt in Kenya.

Als Asylgrund anerkennen

Die Aufklärung über FGM muss äußerst einfühlsam und aus der Kultur selber erfolgen. Naiver feministischer Eifer von Frauen aus Europa führt bei den Afrikanerinnen leicht zu dem Gefühl, in neokolonialistischer Weise bevormundet zu werden. AktivistInnen in Europa sehen ihre Aufgabe somit in der Forderung nach Anerkennung von weiblicher Genitalverstümmelung als Asylgrund sowie in der finanziellen Unterstützung von Projekten vor Ort.
In diesem Sinne funktioniert auch das von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit neu initiierte Programm zur Förderung von Initiativen zur Überwindung von weiblicher Beschneidung. Lokale Projekte, wie zum Beispiel ein Symposium religiöser Führer in Guinea und Ägypten oder die Produktion eines Rap- Songs zu FGM in Mali werden gefördert.
Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat FGM seit 1995 in ihre Menschenrechtsarbeit aufgenommen. Ziel ist es, das öffentliche Bewusstsein für FGM als Angelegenheit der Menschenrechte zu schärfen und Regierungen aufzufordern, internationale Menschenrechtsverträge in Kraft zu setzen, die auf die Abschaffung von FGM abzielen.
FORWARD hingegen arbeitet konkret mit Betroffenen in Projekten in Afrika und Europa. FORWARD Nigeria wurde 1999 gegründet und ein Gesundheitszentrum im Norden des Landes eröffnet. In diesem Teil Nigerias werden jungen Mädchen die sog. Gushiri-Schnitte zugefügt. Diese Schnitte können allerdings verheerende medizinische Folgen haben: Es können sich Fisteln (ungewollte Verbindungen) zwischen After und Blase bilden, die Inkontinenz und starke Geruchsbildung zur Folge haben.
Betroffene Mädchen werden oft wie Aussätzige behandelt, leben auf der Straße, bekommen keine medizinische Versorgung und auch keine Ausbildung. FORWARD hat mit Mitteln des britischen Gesundheitsministeriums nun eine Wiedereingliederungsstätte errichtet, in der diesen Mädchen neben medizinischer Betreuung eine berufliche Qualifizierung angeboten wird.
Eine zweite wichtige Aufgabe von FORWARD besteht in der Aufklärung über FGM in Europa. Zudem werden Beratungen für betroffene afrikanische Frauen angeboten. Das Interesse am Thema FGM ist bei den meisten von ihnen jedoch gering. Eine Afrikanerin, die nach Europa kommt, hat viele Probleme und Fragen. FGM steht immer ganz am Ende der Liste.
Von Wichtigkeit ist vor allem auch die Aufklärung über FGM bei Berufsgruppen, die mit genitalverstümmelten Frauen in Berührung kommen und meist nichts über diese Praxis wissen. ÄrztInnen reagieren oft mit Ekel oder Entsetzen und sind häufig hilflos bzw. unsensibel. Auch RechtsanwältInnen, SozialarbeiterInnen und Hebammen müssen informiert und sensibilisiert werden.

Stefanie Michels

Stefanie Michels ist Mitglied der Fachschaft Afrikanistik an der Universität Köln. Weitere Informationen bei Terre des Femmes, Postfach 2565, 72015 Tübingen. Fon (07071) 7973-0, Fax (07071) 7973-22; E-Mail <tdf.genitalverstuemmelung@gmx.de>.


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