Sozialistische Zeitung |
Frau Ashibuogwu, warum sind Sie zur Zeit in Deutschland?
Ich arbeite in Nigeria für eine Non-Profit-Organisation: Women Issues Communication Services Agency (WISCA). Wir engagieren uns
ehrenamtlich für Frauenrechte. Wir benutzen Kunst, um Bewusstseinsbildung zum Thema Genitalverstümmelung in Nigeria zu
betreiben. Es geht uns nicht darum, Massenaufklärungen durchzuführen, sondern das Individuum intellektuell anzusprechen.
1998 wurde die Ausstellung "Künstlerische Eindrücke
über weibliche Beschneidung" mit insgesamt über acht Exponaten in Nigeria gezeigt. Jetzt wurde sie mit 18
ausgewählten Gemälden und zwei Skulpturen in Mannheim eröffnet und tourt dann durch Deutschland. Kunst eignet sich
unserer Meinung nach deswegen besonders für die Aufklärung über FGM, weil es in der Kunst keine sprachlichen Barrieren
gibt. In unserer Gesellschaft muss ich sehr vorsichtig sein, wenn ich über sensible Themen wie FGM spreche, um Menschen nicht vor den
Kopf zu stoßen, aber ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Ist FGM ein großes Problem in Nigeria?
Ja, das ist es. In Nigeria lebt die Hälfte aller genitalverstümmelten Frauen Afrikas.
Gibt es innerhalb Nigerias Unterschiede bezüglich der Praxis?
Alle vier Arten von FGM kommen in Nigeria vor. In einigen Regionen, vor allem im islamisch geprägten Norden, ist die Infibulation
verbreitet. In den 37 Regionen Nigerias existieren 25 verschiedene Sprachen und damit im Prinzip 25 verschiedene Kulturen. Es gibt also 25
verschiedene Arten, wie FGM in Nigeria ausgeführt wird. Manche beschneiden die Mädchen acht Tage nach der Geburt zusammen
mit der Namensgebungszeremonie, andere erst bei der Heirat der Frau.
Nimmt FGM in Nigeria tendenziell eher ab oder zu?
Die Praxis nimmt auf jeden Fall ab. Der Grund hierfür sind die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen, die alles daran
setzen, FGM zu stoppen. Die Regierung ist daran nicht so sehr beteiligt.
Ist FGM in Nigeria gesetzlich verboten?
Nicht in ganz Nigeria. Ein Bundesstaat im mittleren Westen Nigerias hat im Dezember 1999 ein Gesetz zur Abschaffung von FGM
verabschiedet. Das ist also noch nicht so lange her.
Glauben Sie, dass dieses Gesetz durchgesetzt wird bzw. dass es Menschen davon abhalten wird, FGM auszuführen?
Mit Sicherheit wird das nicht der Fall sein. Aber die Tatsache, dass es in diesem Bundesstaat jetzt ein Gesetz gibt, heißt, dass
Menschen angeklagt werden können. Bewegungsfreiheit zwischen den einzelnen Bundesstaaten Nigerias aber ermöglicht, dass
Eltern ihre Töchter einfach in einen anderen Staat bringen und sie dort beschneiden lassen. Das Gute an diesem Gesetz ist, dass
AktivistInnen es als Ausgangspunkt für Forderungen für ein eben solches Gesetz in anderen Bundesstaaten und schließlich
auch für ein nationales Gesetz benutzen können.
Wie reagieren NigerianerInnen auf Ihre Arbeit?
Unsere Arbeit ist etwas besonderes, da wir Kunst als Kommunikationsmittel benutzen. Dadurch kommen wir leicht mit Menschen in Kontakt. Es
gibt keine harten und unangenehmen Konfrontationen. Wir laden zu der Ausstellung ein, Besucher und Besucherinnen kommen, schauen sich die
Bilder an, und wenn sie reden möchten, diskutieren wir mit ihnen oder geben ihnen weiterführende Literatur. Das ist besonders
wichtig, da Nigeria eine von Männern dominierte Gesellschaft ist.
Sehen die Männer in Nigeria FGM ausschließlich als ein Frauenproblem an oder fühlen sie sich auch
angesprochen?
Es ist tatsächlich eines unserer Probleme, dass wir nicht zu sehr auf Konfrontation gehen dürfen und trotzdem unser Ziel nicht aus
den Augen verlieren wollen. Wir mussten eine Basis finden, die sicher für uns ist und trotzdem Einfluss ausübt. Genau das haben
wir mit der Kunst gefunden. Die Botschaft der Kunst ist subtil, aber trotzdem machtvoll. Außerdem haben wir uns bemüht,
möglichst viele männliche Künstler einzubinden. Diese Künstler waren mit Freude bei der Sache. Schließlich
handelt es sich bei den verstümmelten Frauen um ihre Mütter oder Schwestern und für Männer ist es sehr wichtig, ihre
Mütter und Schwestern zu beschützen. Wir machen ihnen dieses Gefühl bewusst.
Unser nächstes Programm wird ausschließlich auf
Männer ausgerichtet sein. Wir nennen es die Zehn Weisen Männer. Wir werden einen sehr intellektuellen, akademischen Ansatz
wählen, damit auch Männer sich damit identifizieren können und es nicht nur für ein weibliches Problem halten. Es soll
einen Männerclub geben, der über FGM diskutiert. Wir wollen, dass Männer das Gefühl bekommen, ein Teil vom
Leben der Frauen zu sein und sich selbst gegen FGM engagieren, ohne dass ihre Männlichkeit darunter leiden müsste.
Viele Frauen in Europa sind sehr betroffen über FGM. Was können diese Frauen tun, um zur Abschaffung von FGM
beizutragen?
Frauen in Europa können nur durch finanzielle Unterstützung helfen, die meine Organisation zum Beispiel dringend braucht. Das ist
das einzige. Sie können nicht nach Nigeria kommen und selbst Aufklärungsarbeit leisten. Das geht nicht.
Ich habe gemerkt, dass FGM hier in Europa ganz anders wahrgenommen
wird als in Nigeria. Hier wird es als Gewalt gegen die Frau gesehen. In Nigeria wird der Schwerpunkt nicht so sehr auf die physische Seite
gelegt. Natürlich erleidet die Frau Schmerzen, aber es geht in ihrem Leben um etwas ganz anderes. Wenn man mich kneift, dann
spüre ich den Schmerz, aber wenn mein Gehirn sich nicht so sehr auf diesen Schmerz einstellt, dann ist er auch nicht so wichtig für
mich.
Afrikanische Frauen leben schon sehr lange mit FGM und sie haben sich
angepasst. Natürlich wollen wir nicht, dass FGM weitergeführt wird, weil es moralisch falsch und eine Menschenrechtsverletzung
ist. Wir wollen, dass die Frauen die Möglichkeit haben, Ja oder Nein zu sagen. Das haben sie aber nur, wenn sie wirtschaftlich
unabhängig von ihrem Mann und ihrer Familie sind.
Es bringt nichts, über medizinische Komplikationen zu reden, wenn
die Frau mit dem bloßen Überleben beschäftigt ist. Deswegen wollen wir auch ein Rehabilitationszentrum einrichten, in dem
Frauen vor FGM geschützt werden und wo sie eine Ausbildung machen können, damit sie imstande sind, unabhängig zu
leben. Dann erst können sie sagen: Ich will nicht beschnitten werden!
Was erwarten Sie von der Zukunft?
Für meine Organisation hoffe ich, dass wir weiterhin erfolgreich mit der Kunst als Medium arbeiten können, um Frauenrechte ins
Bewusstsein zu rücken und die Lücke zwischen FrauenrechtlerInnen und ihrer Zuhörerschaft zu schließen. Und ich
möchte erleben, dass FGM komplett abgeschafft wird.