Sozialistische Zeitung |
Die Anti-AKW-Bewegung hat offiziell mit den Grünen gebrochen. Auf ihrer diesjährigen
Frühjahrskonferenz in Mülheim an der Ruhr hat sie beschlossen, ab jetzt gegenüber den Grünen "konfrontativ
aufzutreten". Die Grünen seien zu den "Steigbügelhaltern der Atomindustrie mutiert", heißt es in einer
Presseerklärung zur Konferenz. Martin Nesemann, Redakteur der anti atom aktuell sieht diese Entscheidung als "symbolischen
Akt", der keine größeren praktischen Konsequenzen nach sich ziehe, da der Bruch von denen, die ihn jetzt beschlossen haben,
schon lange vollzogen worden sei. Im Juni werden die Anti-AKW-Gruppen noch einmal zum Parteitag der Grünen in Münster
mobilisieren, aber nicht "um irgendwas zu beeinflussen, wie in Karlsruhe, sondern um den Bruch deutlich zu machen", so
Nesemann.
Als Konsequenz aus der Krise der Anti-AKW-Bewegung und wegen der
Kritik am Ablauf der letzten Konferenzen gab es für die Frühjahrskonferenz ein neues Konzept. Unter dem Motto "Hinter der
Strahlung steht der Wert" sollten die etwa 130 Teilnehmenden diesmal nicht über eine Vielzahl von Einzelthemen diskutieren,
sondern über die "Kernthemen": Privatisierungen im Energiesektor, oder der Frage, wie die Anti-AKW-Bewegung sich
gegenüber den Grünen positionieren solle, und das Problem, Strategien jenseits der Fixierung auf die Castor-Transporte zu
entwickeln.
Die Anti-Atom-Bewegung war in den letzten Jahren immer mehr zu einer
Anti-Castor-Bewegung geworden. Nur wenn die Castoren ins Wendland oder nach Ahaus rollen sollten, war sie mobilisierungsfähig.
Dabei waren alle MitblockiererInnen erwünscht, so dass die inhaltliche Ausrichtung auf das Problem der Endlager beschränkt
blieb.
Der Widerstand gegen Castortransporte ist stark in regionalen Initiativen
verankert. Diese argumentieren häufig mit einem starkem Bezug auf "Heimat". Kapitalismuskritik und explizit antirassistische
und antifaschistische Positionen stoßen hier eher auf Ablehnung, da "sonst die Bewegung geschwächt würde". So
machte die sich selbst als "Heimatschutzverein" bezeichnende BürgerInneninitiative "Kein Atommüll nach
Ahaus" in ihrem Beitrag zum Kongressreader klar, dass es über die Ablehnung von Atomenergie hinaus keine weiteren Essentials
innerhalb der Anti-AKW-Bewegung geben dürfe. Martin Nesemann sieht den "Heimatbezug" einiger Initiativen zwar als
"zu kurz" an, will ihn jedoch als "materialistische Grundlage" beschrieben haben, die aus direkter
"Betroffenheit" resultiere.
Einige KritikerInnen sehen die Bewegung längst von
"bürgerlich-revisionistischen" Kräften dominiert, deren Ziel ein "Kapitalismus mit Sonnenenergie" sei. Das
wesentliche Problem liege in der Bereitschaft zu Gunsten von breiten Bündnissen essenzielle Inhalte fallen zu lassen. Dieser Zwiespalt
ist mittlerweile auch größeren Teilen der Bewegung bewusst. Daher sollte das übergeordnete Ziel der Konferenz auch sein,
eine "konkrete Kapitalismuskritik" zu entwickeln, wie dem Vorbereitungsreader zum Kongress zu entnehmen ist. Dieses Ziel darf
als gescheitert gelten. Auf der Konferenz selber habe dieses Thema in der Diskussion keine große Rolle gespielt, so Nesemann. Unter den
KongressteilnehmerInnen hätte es hier auch keinen größeren Dissens gegeben, bestreitet er weiteren Diskussionsbedarf.
Als weiteres Aktionsfeld beschloss die Konferenz den Widerstand gegen
die Urananreicherung, wie sie beispielsweise in Gronau geschieht. Davon erhoffen sich Teile der Anti-AKW-Bewegung eine Erweiterung der
Bewegung um antirassistische und internationalistische Aspekte. Viele TeilnehmerInnen bewerteten die Erfolgsaussichten einer solchen
"Uran-Kampagne" skeptisch , da es in Gronau "etwa sieben, acht interessierte Leute" gebe, im Gegensatz zu
Lüchow-Dannenberg, wo der Widerstand von über tausend getragen würde, so Nesemann, der sich auch zu den
SkeptikerInnen einer solchen Kampagne zählt.
Patrick Hagen