Sozialistische Zeitung |
Was die ehemalige Zwangsarbeiterin Rachel Grünbaum, die bei ihrer Befreiung durch die Briten ein nur
noch 25 Kilo wiegendes menschliches Skelett war, im Stern (19.4.) berichtete, geht unter die Haut. Ihre Wut darüber, dass die Herren der
Industrie über eine Entschädigung von Zwangsarbeitern, denen sie nie zuhörten, heute noch feilschen, wird erst wirklich
verständlich, wenn man zugleich erfährt, dass
- die deutsche Reichswirtschaft während des Zweiten Weltkriegs mit
rund 8 Millionen Zwangsarbeitern, auf heute hochgerechnet, knapp 60 Milliarden Gewinn machte.
- Nach dem Krieg legten die Industrieunternehmen ihre Gewinne in Grund
und Sachkapital an, die den Grundstock für das "Wirtschaftswunder" bildeten.
- Ende der 50er Jahre zahlten Krupp und einige andere Unternehmen 10
Millionen Mark an jüdische KZ-Arbeiter als Wiedergutmachung. Die Zwangsarbeiter aus osteuropäischen Staaten gingen jedoch
bis zur "Wiedervereinigung" leer aus.
- Weil die noch lebenden 1,2 Millionen Menschen (von 8 Millionen) mit
Sammelklagen und Boykottaufrufen drohten, gründeten 1999 die 16 größten ehemaligen Zwangsarbeitgeber die
Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. Sie soll 5 Milliarden Mark für die Entschädigung der Zwangsarbeiter aufbringen.
Bisher folgte jedoch nur jede 200.Firma dem schriftlichen Aufruf der Wirtschaftsverbände und sagte Zahlungen zu.
- Bisher kamen erst 2,4 Milliarden Mark zusammen. Noch 2000 Firmen
müssen zahlen, wenn die Wirtschaft ihr Versprechen halten will.
- Der Gesamtumsatz des produzierenden Gewerbes in Deutschland betrug
1999 geschätzte 2,8 Billionen Mark.
Völlig aus dem Gedächtnis verdrängt werden die 70
Millionen Mark, die die DDR, mit nur einem Viertel der Einwohnerzahl von Westdeutschland, als Reparationsleistung für die
ungeheuerlichen Schäden gezahlt hat, die von der Naziarmee nach dem Überfall auf die Sowjetunion angerichtet wurden. Die BRD
konnte sich durch den Anschluss an den Kalten Krieg der westlichen Sieger gegen den Staat im Osten freikaufen, der unzweifelhaft die meisten
Opfer im Kampf gegen Hitlers Eroberungswillen gebracht hatte.
Wenn aber deutsche Sklavenhalter noch 50 Jahre nach dem von ihnen
angezettelten Weltkrieg, die Schamlosigkeit haben, sich vor Entschädigung an die noch überlebenden Menschen zu drücken,
die sie durch Zwangsarbeit entmenschlichten, stellt sich die Frage nach ihrer Moral, nach ihren ethischen Maßstäben.
Können die Gewerkschaften, die sich auf ein Bündnis mit ihnen
einlassen, sicher sein, dass ihre "Sozialpartner" nicht zu Wiederholungstätern werden? Im Fall einer bedrohlichen Krise
könnten sie dann allerdings versuchen, ihre deutschen "Volksgenossen" ähnlich zu behandeln, wie sie mit der
Zwangsarbeit umgehen.
Jakob Moneta