Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.10 vom 11.05.2000, Seite 2

Wehrpflicht

Keine alternative Reform

von TOBIAS MICHEL

Im Wettlauf um die Gunst der Jungwähler hatte diesmal Minister Jürgen Trittin die Nase vorn. Der grüne Stratege forderte in der Bild am Sonntag: "Die Wehrpflicht sollte möglichst bald und ohne viel Aufsehens abgeschafft werden." Ihm reiche eine "kleine Armee aus Zeit- und Berufssoldaten" völlig aus. Die verheerende Wirkung der Bundeswehr ist zu sehen, wenn junge Kollegen in den Betrieb zurückkehren, demoralisiert vom zehnmonatigen Zwangsdienst bei einem Tagessold von 15 Mark, vom Falzen der Hemden auf DIN-A4-Format, vom Geführtwerden "ohne Tritt", im Gänsemarsch zur Gemeinschaftsverpflegung, von sinnlosen Befehlen und eingeschliffenem Gehorsam. Isoliert und kaserniert in dieser Männerwelt, unter dem Gebrüll nur wenig älterer Unteroffiziere, mussten sie neu lernen, was sie bereits zu können glaubten: Gerade stehen - "Da krümmt sich kein Sackhaar!" Zackig gehen - "Nicht beim Vordermann einrasten". Sich "richtig" anziehen, "richtig" grüßen, "richtig" putzen. Nur nicht auffallen! Widerspruch ist nicht nur zwecklos, er fordert die Vorgesetzen heraus.
Doch nicht aus Empörung über die olivgrüne Kasernentristesse, Drill und Sexismus speist sich die Kritik. Der grüne Umweltminister geht diese Bundeswehr viel oberflächlicher an: Sie sei nicht mehr bezahlbar und unzeitgemäß. Hohe Offiziere hätten ihm gesagt, sie arbeiten lieber mit Profis zusammen. Und wirklich, eine eingeschworene Truppe aus Freiwilligen könnte viel reibungsloser in Unruheherde geflogen werden, um sie zu befrieden, sei es Somalia, Kosovo oder Hessen. Sicherlich macht es den Generälen und Leutnants auch viel mehr Freude, hinter den Kasernenmauern mit lauter Gleichgesinnten zu exerzieren und im Offizierskasino politisch zu schwadronieren, als sich alle paar Monate auf all die gesellschaftlichen Widersprüche in den Köpfen der Wehrpflichtigen einzulassen.
Billiger und sicherlich ebenso populär - und weit weniger gefährlich als eine Berufsarmee, wie sie Trittin fordert - wäre eine alternative Bundeswehrreform: Verkürzung der Wehrpflicht auf eine dreimonatige Grundausbildung, beschränkt auf die Einweisung in Waffen und Geräte, ohne Formaldienst, Bettenbauen und Spindappelle; Einsatz am Wohnort statt Verschickung per Bahn quer durch die Bundesländer; Aufhebung der Kasernierung, Abschaffung der Berufssoldaten.



zum Anfang