Sozialistische Zeitung |
Im Jahr 1993 saß ich als einzige und erste Frau in einer Klasse angehender Industriemeister Metall. Im
Fach "Zusammenarbeit im Betrieb" ging es um Problemgruppen im Betrieb, mit denen der frisch gebackene Meister klarkommen
muss - "mit weiblichen, älteren, ausländischen, behinderten, jugendlichen Mitarbeitern" (die Problemgruppe, mit der
ich im Betrieb zu tun hatte, die mittelalten deutschen Facharbeiter, saß ja da).
Ein Text, den wir, zum Teil auch auswendig, lernen mussten, besagte:
Frauen haben kein Fachwissen, ihre natürlichen Anlagen, ihr geringes Lerntempo, ihr mangelndes abstraktes Denkvermögen machen
sie beruflich nur begrenzt einsetzbar, Berufsunterbrechungen führen zu Qualifikationsverlust. Der Reader war das offizielle Lehrmaterial
des Deutschen Industrie- und Handelstags, mit dem jahrzehntelang das Frauenbild hunderttausender Industriemeister geprägt wurde.
1994 arbeitete ich als Meisterin in einer Abteilung gleichberechtigt mit
sieben Meistern. Als nach ein paar Monaten über die Presse bekannt wurde, dass ich die Meisterprüfung als Jahrgangsbeste(r)
abgeschlossen hatte, befürchteten die anderen Meister - völlig unbegründet - meine Beförderung und sprachen ab, mir
keine Antworten mehr auf Fachfragen zu geben, schließlich habe ich "vielleicht theoretisch Ahnung, aber kein Fachwissen",
und das wollten sie mir nicht auch noch vermitteln.
1997 bekam ich als kommunale Frauenbeauftragte mit, wie in zwei kleinen
Kommunen die einzigen Dezernentinnen (beide - im Gegensatz zu einigen Dezernenten - mit Universitätsabschluss)
"abgesägt" wurden. Der Vorgang wurde beide Male vor allem damit erklärt und verteidigt, der Dezernentin mangele es
an "Fachwissen".
1998 wurde mir berichtet, wie bei einer Stellenbesetzung am Schluss eine
Frau und ein Mann im Rennen waren. Beide hatten etwa das gleiche Alter, die Frau passendere formale Qualifikationen und umfangreiche
Praxiserfahrung im abgeforderten Bereich. Als abzusehen war, dass die Frau sich durchsetzen würde, meldete sich einer der am
Verfahren beteiligten Herren zu Wort: Er habe den Eindruck, der Charme der Frau spiele die entscheidende Rolle, die Frau sei jung,
hübsch, das Fachwissen des Konkurrenten scheine keine Rolle zu spielen.
Da beschloss ich, dem offenbar besonderen Verhältnis von Frauen
und Fachwissen endlich näher auf den Grund zu gehen.
Frauen sind qualifizierter
Am Ende des Jahrhunderts, in dem
Frauen erstmals Universitäten besuchen durften, haben sie die Männer in der Bundesrepublik bei den Bildungsabschlüssen
nicht nur eingeholt, sondern überholt. 1994 waren 52,5% der Abiturienten Mädchen, obwohl ihr Anteil an den 19-jährigen
Jugendlichen nur 48,4% betrug. An den Hochschulen studierten 1994 insgesamt 754900 Frauen, zehnmal so viele wie 1960 im alten
Bundesgebiet.
Gleichzeitig gilt für alle Berufsbereiche immer noch: Der Anteil von
Frauen in Führungspositionen liegt zum Teil weit unter 10%. Frauen bekommen weniger Lohn als Männer: 1996 lag der
Bruttomonatsverdienst der Frauen im Westen erst bei 74,3% des Lohns der Männer, eine Verbesserung von gerade mal 5 Prozentpunkten
gegenüber 1967. Die Bundesrepublik zählt in dieser Hinsicht zu den Schlusslichtern in Europa.
Was Qualifikation sei (und was nicht), was als Qualifikation zu vermitteln
sei und wie, darüber hat es umfangreiche Debatten unter Fachleuten und Bildungspolitikern gegeben. Zur Eingrenzung von
"Fachwissen" gibt es zwar Meinungen, aber wenig Fundiertes von den Fachmännern.
Der Lohnrahmentarifvertrag Metall spricht in der
Lohngruppenbeschreibung als wesentliches Unterscheidungsmerkmal von "Facharbeiten", das Gehaltsrahmenabkommen wie auch
der Bundesangestelltenvertrag von "Fachkenntnissen". Mit "Fachwissen" wird in diesem Zusammenhang das speziell
für einen Beruf oder einen Berufszweig notwendige Wissen abgegrenzt gegen das Allgemeinwissen.
Meine eingangs zitierten Meister meinten offenbar mit
"Fachwissen" noch etwas anderes, da ich ja mit meinem Prüfungsergebnis bewiesen hatte, dass ich das Fachwissen im oben
eingegrenzten Sinn besonders gut beherrschte. Auch die gestürzten Dezernentinnen hatten belegbar hohes Fachwissen. Die in der
Personalwahl mit dem Mann konkurrierende Frau hatte erwiesenermaßen mehr Fachwissen als der Mann. Mit Fachwissen war hier wohl
eben gerade nicht das Wissen gemeint, sondern das "Fachsimpeln", die Rituale, die Methoden, sich in dem entsprechenden Bereich
in der bisher üblichen Weise durchzusetzen. Vielleicht wussten die Beteiligten aber selbst nicht, was sie damit meinten, und nutzten das
Wort lediglich zur "Abwehr der Ansprüche von Frauen".
Was können Putzfrauen von Natur aus?
Eine
einzige Reinigungskraft, 47 Jahre alt, gelernte Kauffrau, ist in einem Bürogebäude ohne Hausmeister für ihren gesamten
Bereich allein verantwortlich. Sie entscheidet über die Einteilung ihrer Arbeit, die Intervalle der Reinigung, den Einsatz der
Reinigungsmittel und -maschinen. Sie ist bei ihrer Arbeit oft allein in dem Gebäude und für ihre eigene Sicherheit verantwortlich.
Sie ist verantwortlich (und wird dafür zur Verantwortung gezogen), dass das Licht und die elektrischen Geräte ausgeschaltet sind,
die Heizung im Winter nicht einfrieren kann, die Türen verschlossen werden.
Sie hat Zugang zu vielen - auch vertraulichen - Unterlagen in ihrem Bereich
und muss entsprechend vertrauenswürdig sein. Sie meldet die Notwendigkeit von Reparaturen, deckt für Konferenzen, räumt
die Spülmaschine ein.
Die Putzfrau gilt als ungelernt. Dennoch scheint sie etwas zu können,
was die männlichen Hilfsarbeiter auch nach längerer Zeit und vielen Ermahnungen und Hinweisen nicht zustande brachten. Ein
Gebäudereiniger benötigt drei Jahre Lehre, um (nicht nur, aber auch) fachmännisch putzen zu lernen.
Entgegen der Vorstellung, typische Frauenarbeit sei körperlich leicht,
sauber und habe mit Technik nichts zu tun, leisten Millionen Reinigungskräfte in der BRD körperlich (zum Teil sehr) schwere und
schmutzige Arbeit, oft mit großen technischen Geräten.
Reinigungskräfte im öffentlichen Dienst werden in die
niedrigste Lohngruppe, die Lohngruppe 1 (Ungelernte Arbeiter), eingruppiert. Ein Aufstieg aus dieser Lohngruppe ist lediglich zur Lohngruppe
1a möglich, während in allen folgenden höheren Lohngruppen ein Aufstieg über mehrere Lohngruppen möglich
ist.
Die körperliche Belastung durch schweres Heben, Bedienung
schwerer Maschinen ist jedoch zumindest bei einem Teil der Reinigungskräfte vergleichbar z.B. mit Straßenreinigungsarbeiten, die
in Lohngruppe 3 eingruppiert werden. Die Anforderungen "selbständig" und "verantwortlich" werden erst ab der
Lohngruppe 5 berücksichtigt.
Den Reinigungskräften wird diese Verantwortung offenbar nicht
zugestanden. Je höher die Lohngruppen, je häufiger die überwiegend mit Männern besetzten Berufe, desto
ausführlicher werden die Beschreibungen in der eigentlichen Vereinbarung und die Anmerkungen der ÖTV. Genügte
für die Lohngruppe 1 eine Seite ÖTV-Kommentar, so füllen Vereinbarungen und Anmerkungen zur Lohngruppe 6 über
18 Seiten!
Für unser Thema lässt sich also feststellen, dass Fachwissen
und Qualifikation in einem Bereich der Beschäftigung, der zu 99% von Frauen ausgefüllt wird, tariftechnisch völlig anders
bewertet wird als in Bereichen, die zu 90% mit Männern besetzt sind - nämlich so, als existiere es gar nicht!
Haben Männer indes hausarbeitsnahes Fachwissen erworben, so
schaffen sie es, dies als "Facharbeit" zu monopolisieren: So erreichten die Fensterputzer, eine zweieinhalbjährige Ausbildung
zur Qualifikationsvoraussetzung für das beruflich organisierte Fensterputzen zu machen.
Eingruppierung nach
Anschlagleistung
Die meisten Sekretärinnen im öffentlichen Dienst sind in der Vergütungsgruppe VIII als niedrigste
Gruppe, VII oder selten in VI des BAT eingruppiert. Eine 30-jährige ledige Frau ohne Kinder erhält in einer (in diesem Bereich
seltenen) Vollzeittätigkeit 1998 in BAT VIII ca. 3100 brutto, in BAT VII ca. 3300 brutto - und liegt damit netto wenig oberhalb der
Armutsgrenze.
Anders als bei den Putzfrauen wird bei den Sekretärinnen im
öffentlichen Dienst das "Fachwissen" (oder gar die Anschlagleistung) zum Unterscheidungsmerkmal gegenüber
niedrigeren Gruppen. Fachwissen wird hier nur auf die eher technische Seite der Tätigkeit bezogen. Verantwortungsbewusstsein,
Selbständigkeit, die Fähigkeit, bedeutungsvolle (!) Arbeit zu leisten, werden für die überwiegend mit Frauen besetzten
Tarifgruppen offenbar nicht bewertet.
Von einer Sekretärin wird hingegen nicht nur Fachwissen verlangt.
Erst die Kombination von Eigenschaften, Fähigkeiten und Kenntnissen bildet das Persönlichkeitsprofil, die persönliche
Qualifikation. Solche Attribute sind in einem Stellenangebot für einen Buchhalter oder Sachbearbeiter unvorstellbar.
Die Qualifikation und das Fachwissen von Frauen wird unterschiedlich
wahrgenommen und abgewertet - und zwar absolut und relativ im Vergleich zu Männern. Bei der Sekretärin und der Putzfrau
werden abgeforderte Qualifikationen "übersehen" von Chefs, Tarifpolitikern, Arbeitsrechtlern, die diese Tätigkeit in
der Regel nie ausgeführt haben oder gar nicht mitbekommen.
Handlungsmöglichkeiten
Frauen in der ÖTV
haben - beginnend in Hessen - in den letzen Jahren große Anstrengungen unternommen, das Unsichtbare (ihre Arbeit, ihr Fachwissen, ihre
Qualifikationen) sichtbar zu machen: Erzieherinnen, Frauen im Schreibdienst, Reinigungsfrauen fotografierten ihre Arbeitsabläufe und -
belastungen und präsentierten sie auf Stellwänden, nutzten Personalversammlungen, um über die Inhalte ihrer Arbeit zu
informieren. Sie beschreiben und definieren ihre Tätigkeiten, machen sie sichtbar, werten sie dadurch auf.
Ergebnisse dieser Auseinandersetzung waren die Bildung von betrieblichen
Frauenkommissionen, die Einmischung in die Manteltarifverhandlungen 1995, der Gewerkschaftsbeschluss der ÖTV 1992, mit dem die
"Aufwertung von ‚typischen Frauenberufen im öffentlichen Dienst zum tarifpolitischen Schwerpunkt der nächsten
Jahre" erklärt wurde, und last but not least die Eröffnung der Lohngruppe 2 für die hessischen Reinigungsfrauen.
Domänen werden meistens dadurch geschützt, dass ihnen der
Nimbus des Besonderen gegeben wird. Manch genervte Frau kennt das jahrelange Gerede über Computer, über die sich immer
mehr Männer fast so lang in Neudeutsch unterhalten können wie früher über das Auto, die Spielzeugeisenbahn oder die
Arbeit. Wenn sie sich dann doch ganz eingeschüchtert an das Teil setzt, stellt sie fest, dass es ganz einfach und logisch ist. Und viel
einfacher als die Waschmaschine: An der Waschmaschine erscheint keine Anzeige "Unten links in der Weißwäsche liegt ein
roter Socken. Bitte entfernen Sie diesen! O.K. Entfernen - Abbrechen" oder "Das Teil, das Sie gerade in die Waschmaschine
eingelegt haben, darf nicht geschleudert werden, sonst ist Ihre Tochter stinksauer, weil das der geliehene Wollpullover von der besten Freundin
war! O.K. Schleudern - Abbrechen".
Bei der Waschmaschine ist die "Bewältigung rasch
wechselnder Herausforderungen" nötig. Da kann man beim Computer mit seinen Fehlanzeigen und der Hilfetaste viel weniger
falsch machen.
Ein Perspektivenwechsel zum Thema "Fachwissen" scheint
auch in Alltagsfragen angebracht. Aber das wäre ein Thema für eine weitere Untersuchung.
Anna Schulte