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Allmählich werden auch diejenigen unruhig, die für das Gesundbeten ein Millionensalär
beziehen. Der Chef der europäischen Zentralbank, Wim Duisenburg, zeigt sich "ernsthaft besorgt" ob des Tiefflugs der
europäischen Kunstwährung "Euro". Wobei er natürlich das Ganze für eine eher irrationale Angelegenheit
hält, da "der Markt" die "fundamental guten Konjunkturdaten Europas" nicht zur Kenntnis nähme. Der
Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, rechnet bereits damit, dass die "europäische Währung unter die Marke
von 0,90 Dollar fällt". Der Chef der "Fünf Weisen", Professor Jürgen Donges, hält den Euro
für "immun gegen gute Wirtschaftsnachrichten".
Vor Tische las es sich anders. Alle haben sie den Euro in den blauen
Himmel und zu den Sternen der EU-Fahne hochgeredet. Die neue EU-Währung werde "so hart wie die DM". Davon waren
alle, die hier zitiert wurden, überzeugt. Die Europäische Zentralbank ging sogar davon aus, dass die neue Währung im
Vergleich zum US-Dollar noch an Gewicht zulegen würde.
Schlimmer als vorhergesagt
Jetzt, 16 Monate nach seiner
offiziellen Einführung, hat der Euro mehr als ein Fünftel seines Werts verloren. Gemessen an den im Herbst 1998 in Form eines
"Probe-Euro" aneinandergeketteten EU-Währungen liegt der Verfall bereits bei knapp 30%. Das Euro-Debakel ist damit
schlimmer, als es von den schärfsten Euro-Kritikern vorhergesagt wurde.
Bescheiden sei hier angefügt, dass ich ein Desaster für den
Euro als wahrscheinliche Entwicklung prognostiziert habe. Inzwischen sind auch diejenigen leiser geworden, die bisher den Euro-Verfall
gesund redeten, indem sie darauf verwiesen, dass dieser ja "die deutsche Exportwirtschaft stärken" würde.
Dazu äußerte sich nun Professor Donges in der Welt am
Sonntag vom 23.April: "Das ist eine Milchmädchenrechnung. Zwar werden deutsche Produkte kurzfristig preislich
wettbewerbsfähiger. Aber auf Dauer wird der Vorteil dadurch wieder zunichte gemacht, dass importierte Vorleistungen wegen der
Abwertung teurer werden. Außerdem erhöht sich die Inflationsrate."
Die Euro-Schwäche erklärt sich aus zwei tiefer liegenden
Faktoren: aus der abenteuerlichen Politik, die eine Einheitswährung ohne einheitliche Wirtschaftspolitik einführte. Und aus der
deregulierten Weltökonomie, die ausschließlich den schnellen spekulativen Profit belohnt.
In der gesamten Geschichte des Kapitalismus gab es eine einheitliche
Währung fast immer nur für ein Wirtschaftsgebiet, in dem es auch eine einheitliche Wirtschaftspolitik und weitgehend
vergleichbare soziale und politische Bedingungen gab - Arbeitskosten, Gesetze, Steuersätze, Standards der sozialen (Un-)Sicherheit. Als
die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1956 gegründet wurde, war zwar eine Angleichung dieser politischen und
sozialen Bedingungen mit der Option auf eine "Politische Union", aber keine Einheitswährung vorgesehen.
In den 44 Jahren, die seither vergingen, haben es die Staaten dieser
Europäischen Freihandelszone nicht fertiggebracht, eine politische und eine Wirtschaftsunion zu verwirklichen.
Die Wirtschafts- und zum Teil die Finanzpolitik, die in Paris, Madrid, Rom
und Berlin auch nach Einführung des Euro betrieben wird, ist eine von EU-Staat zu EU-Staat jeweils selbständige und oft eine sich
widersprechende. Diese EU war in der Lage, die Krümmung der Gurken, nicht aber die Mehrwertsteuersätze zu standardisieren.
Die sozialen Bedingungen weisen ähnlich große Differenzen wie bei der Gründung der EWG auf. Die Realeinkommen in
Süd-Griechenland oder Nord-Portugal liegen bei rund einem Drittel derjenigen von Schweden oder Hamburg.
So gesehen war es nur rational, dass die Regierungen der USA, Kanadas
und Mexikos 1993/94, die zeitgleich mit dem Maastrichter Euro-Vertrag die nordamerikanische Freihandelszone NAFTA gründeten,
darauf verzichteten, eine einheitliche NAFTA-Währung ins Auge zu fassen.
Ein Grund dafür sind ähnlich unterschiedliche wirtschaftliche
und soziale Standards innerhalb des nordamerikanischen Wirtschaftsblocks, wie sie zwischen einzelnen EU-Regionen vorherrschen. Die
umfassende US-Dominanz in der NAFTA hat es der Regierung in Washington leicht gemacht, auf eine solch abenteuerliche Politik zur
Durchsetzung des eigenen Machtanspruchs zu verzichten.
Abenteuer Euro
Anders in Westeuropa. Zwar ist hier
spätestens seit dem "Anschluss" 1989/90 die deutsche Ökonomie eindeutig die führende. Doch es handelt sich um
eine relative Hegemonie, die zudem militärisch nicht abgesichert ist - in der EU sind nur Großbritannien und Frankreich
Atommächte. Das Projekt Euro sollte die deutsche Vorherrschaft ausbauen. Dem Konkurrenten Frankreich wurden dabei massive
ökonomische und politische Zugeständnisse gemacht - u.a. wurde der Französische Franc im Vorfeld der Euro-
Einführung stabilisiert. Frankreich konnte in den neuen Bundesländern als einziges Land mit Leuna eine Großinvestition -
bezahlt aus deutschen Steuergeldern - tätigen; der französische Staatskonzern Elf Aquitaine erhielt mit dem Minol-Tankstellennetz
eine Lizenz zum Gelddrucken.
Der zweite fast ebenbürtige Konkurrent, Großbritannien,
widersetzte sich von vornherein dem Euro-Projekt. In einem Großteil der übrigen EU-Länder war der Widerstand in der
Bevölkerung gegen die Euro-Einführung so stark, dass es trotz einer Gleichschaltung der Medien in dieser Frage zur Ablehnung des
Maastricht-Vertrages (Dänemark, Schweden) oder nur zu knappen Mehrheiten pro Maastricht bzw. pro Euro kam (so in Frankreich und in
der zweiten Volksabstimmung in Dänemark). In der BRD gab es bekanntlich eindeutige Mehrheiten gegen den Euro - abgestimmt werden
durfte (daher) nicht.
Vom Euro profitiert die deutsche Ökonomie vor allem aufgrund ihrer
strukturellen Überlegenheit (höhere Produktivität, größere Kapitalien, bessere Infrastruktur) - und weil mit der
Einführung einer Einheitswährung bei den schwächeren Nationalstaaten die Möglichkeit zu einer klassischen
Gegenwehr entfällt: die der Abwertung ihrer Währung (bzw. der Aufwertung der starken Mark).
In der relativ kurzen Geschichte der EWG, EG und EU hat es bereits mehr
als 100 solcher Ab- und Aufwertungen gegeben. Und immer wurde dabei die D-Mark "stärker" und die Währungen
schwächerer Ökonomien - wie die Lira, der französische Franc, die Pesete, die Drachme oder der Escudo schwächer.
Das Schwergewicht der deutschen Ökonomie in der EU wuchs
kontinuierlich, während sich das Gewicht der italienischen, der französischen, spanischen, portugiesischen und griechischen
Ökonomie reduzierte - die hohe Produktivkraft der deutschen Ökonomie überwog bei weitem diese
Währungskorrekturen.
Es gibt keinerlei ernst zu nehmenden Hinweis darauf, dass sich die
grundlegenden Faktoren, die in Westeuropa seit Ende des Zweiten Weltkriegs zu diesen Ungleichgewichten beitrugen, nun verändert
hätten. Wohl aber gibt es einen neuen Faktor, der diese Entwicklung beschleunigen muss: die Einführung des Euro, also das
formelle Verbot für "schwache" Euro-Staaten, mit einer wirtschaftspolitischen Schutzpolitik ("Protektionismus")
ihre Währungen abzuwerten.
Krisenursachen
Eine Währung, der eine grundsätzlich abenteuerliche EU-
Wirtschaftspolitik zugrunde liegt, kann leicht zum Spielball der internationalen Spekulation werden - wobei die "Spekulation"
nichts anderes ist als der Kapitalismus selbst. Das lateinische Wort "speculare" heißt "abzielen auf…" - auf einen
maximalen Profit zielen. Nicht mehr und nicht weniger lautet das Credo des weltweiten Kapitalismus.
Der zweite Faktor für die Euro-Krise ist in der konkreten aktuellen
Verfasstheit des Kapitalismus zu suchen. Derzeit dominieren hier die Spekulation an den Börsen, die "neue Ökonomie"
(von Internet-Business, E-Commerce, Telekommunikation usw.), die Bildung von jungem Abenteurer-Kapital und die großen
Unternehmenszusammenschlüsse, die wiederum zu immensen Aktienkurssteigerungen beitragen.
Auf diesem Gebiet haben die USA die Nase vorn, weil der Markt dort
einheitlicher ist, weil es nicht die Reibungen zwischen unterschiedlichen Nationalstaaten gibt, weil Kanada mit den USA ökonomisch
weitgehend verflochten ist und weil Mexiko im Vergleich zu den USA und zu Kanada derart unterlegen ist, dass es primär als Hinterhof
mit den Funktionen "billige Arbeitskräfte" und Basis für "Leuchtturm-Investitionen" dient - vergleichbar der
Rolle, die die neuen Bundesländer für die westdeutsche Ökonomie spielen.
Eine weitere wichtige Rolle spielt die Tatsache, dass der Dollar weiterhin
die mit Abstand führende Leitwährung der Welt darstellt; der Euro scheiterte mit dem von den Euroland-Staaten selbst
proklamierten Ziel, dem Dollar diese Rolle streitig zu machen. Das heißt, Geschäfte in Asien oder Lateinamerika werden weiterhin
- und angesichts der Euro-Schwäche verstärkt - in Dollar abgewickelt.
All das stärkt den US-Dollar. Und dann kommt es noch zu sich selbst
verstärkenden Effekten: Nachdem die internationalen Kapitalanleger im Herbst 1999 sahen, dass der Euro in einem knappen Jahr bereit
15% seines Werts, gemessen in Dollar, verloren hatte, verstärkten sie mit guten Gründen ihr Engagement in Dollar und reduzierten
es in der - im Abwertungssog befindlichen - Währung Euro.
Knüppel für "Sparpolitik"
Und
was werden sie heute, im Mai 2000, tun, nachdem der Euro seit seiner Einführung bereits 25% seines Werts verloren hat? Werden sie
Christine Scheel, der wirtschaftspolitischen Sprecherin der Bündnisgrünen, folgen, die flötete, dass "der Euro
langfristig stabil" sei? Oder werden sie dies, wenn es überhaupt registriert werden sollte, als verbalen Dünnschiss verbuchen
und dem rührenden Sound der Devisen-Börsen - das heißt dem Sog zum Dollar - folgen?
Eine wichtige Kritik, die von den wenigen linken Kritikern - u.a. aus der
PDS - am Euro vorgetragen wurde, lautete: Die Einheitswährung wird benutzt werden, um Kapitalinteressen durchzusetzen, u.a. mit der
Begründung der "Währungsstabilität". Genau dies erleben wir derzeit angesichts der Euro-Schwäche.
Der bereits zitierte Chef-"Weise", Professor Donges, forderte
als Antwort auf die Euro-Krise "einschneidende Maßnahmen" und betonte, dass jetzt "Besitzstände nicht tabuisiert
werden dürfen". Gemeint ist damit, dass das "Spielumfeld für Spekulationen" demjenigen in den USA angeglichen
werden müsse: eine beschleunigte Deregulierung und Privatisierung, die fortgesetzte Zerstörung von Nomalarbeitsplätzen
und ihre Ersetzung durch "McJobs".
All das würde zweifellos Westeuropa für Großanleger
attraktiver machen, weil damit Milliarden Euro, die bisher z.B. für soziale Wohlfahrt, für kostenlose oder bezahlbare
Gesundheitsfürsorge, für staatliche oder kollektive Sicherungssysteme ausgegeben wurden, nunmehr durch Entstaatlichungen von
Stadtwerken, durch Abbau von Sozialleistungen, durch Privatisierung der Kranken- und Rentenkassen zur Spekulationsmasse würden.
Gefordert wird ein weiterer Abbau der Unternehmenssteuern, ebenfalls mit
Blick auf die USA. Damit werden nicht neue Jobs geschaffen. Vielmehr werden die Konzerne und Banken unter den gegebenen Bedingungen die
derart frei werdenden Summen z.B. zum Aufkauf anderer Unternehmen - und damit zur massenhaften Rationalisierung und
Kapitalzerstörung - einsetzen.
Genau wie vorhergesagt: der Euro als Mittel zur beschleunigten
Bereicherung der Reichen, zur Verarmung von Armen und als Knüppel für asoziale und antigewerkschaftliche Schweinereien aller
Art. Dabei ist diese fortgesetzte "Sparpolitik" - besser: die beschleunigte Politik der Umverteilung von unten nach oben - geradezu
grotesk angesichts zusätzlicher Einnahmen in Höhe von 50 bis 100 Milliarden Mark, die die Bundeskasse u.a. durch neue
Telekommunikationslizenzen und durch die weitere Privatisierung von Telekom und Post zu erwarten hat. Aber es geht bei diesem Prozess ja
auch nicht um Rationalität nach Art des Homo sapiens. Es geht allein um die Ratio des Kapitals, um Profitlogik.
Ein Aspekt wird bei der Euro-Krise nirgendwo angesprochen: die Gefahr
eines Börsenkrachs und einer weltweiten Rezession, wenn nicht Weltwirtschaftskrise, vorangetrieben mit der Euro-Krise und mit den
Reaktionen auf den Euro-Verfall. Wie beschrieben, fällt den bürgerlichen Kritikern der Euro-Krise als Gegenmittel zu des Euro-
Geiers Sturzflug nur ein, zu deregulieren, zu privatisieren und den Staat weiter zu "verschlanken".
Das trägt zwar zur weiteren Steigerung des Börsenbooms oder
zu dessen verlängerten Zuckungen auf hohem Niveau bei. Doch je größer der Hochmut, je höher das Kursniveau, desto
größer die Absturzgefahr.
Postskriptum 1:
In Skandinavien gab es Anfang des 20.Jahrhunderts schon einmal eine
Kunstwährung für Nationalstaaten mit unterschiedlicher Wirtschaftspolitik. Sie zerschellte in der Weltwirtschaftskrise an den
inneren Widersprüchen. Den Euro selbst gibt es nirgendwo. Ein Zurück zu den nationalen Währungen wäre weit
weniger kompliziert als 1929 in Skandinavien.
Postskriptum 2:
Die hier vorgetragene Kritik am Euro ist kein Plädoyer
für eine starke Mark. Den britischen Lohnabhängigen und Erwerbslosen, deren Regierung dem Euro-Club fernblieb, wird die Spar-
und Privatisierungspolitik unter Tony Blair mit anderen Worten verkauft. Die Wirkung ist dieselbe.
Die Währung, die Sozialistinnen und Sozialisten kennen, heißt
weder Euro, Mark, Dollar oder Pfund. Sie ist eine wahrhaft internationale und lautet: Solidarität. Und die Münze, mit der wir es
dem zerstörerischen Kapitalismus heimzahlen müssen, lautet Widerstand, Gegenwehr, Streik und Revolte.
Winfried Wolf