Sozialistische Zeitung |
Am 4.Mai wurden in 154 englischen Kommunen die Gemeinderäte, in London auch der
Oberbürgermeister gewählt. Erstmals wurde ein gemischtes Mehrheits- und Verhältniswahlrecht angewandt; der
Oberbürgermeister von London wurde direkt gewählt.
Das Signal, das von diesen Wahlen ausgeht, ist widersprüchlich: Die
sozialdemokratische Labour Party, die mit Premierminister Tony Blair die Zentralregierung stellt, hat eine erdrückende Niederlage
eingesteckt, sie hat netto 573 Gemeinderatssitze verloren. Hauptgewinnerin ist die Konservative Partei (Tories), sie hat netto 593 Sitze
dazugewonnen. Zu den Verlierern gehören auch die Liberaldemokraten, die netto 18 Sitze verloren haben, während die
Grünen netto 4 und sonstige Parteien 3 Sitze hinzugewonnen haben. Im Gemeinderat von Groß-London (GLA) sind Tories und
Labour mit jeweils 9 Sitzen gleich stark vertreten; die Liberaldemokraten halten 4, die Grünen 3 Sitze.
Politisch wird dieser Trend jedoch vom Wahlsieg des unabhängigen
Kandidaten und ehemaligen Labour-Linken Ken Livingstone überschattet, der mit knapp 43% der Erstpräferenzen (man konnte auf
dem Wahlzettel angeben, wer der OB der 1. und wer der OB der 2.Wahl sein sollte) und 49% der Erst- und Zweipräferenzen die
Konkurrenz von Konservativen, Labour und Liberaldemokraten weit hinter sich ließ. Der Kandidat der Labour Party, Frank Dobson, kam
nur auf den dritten Platz.
Übereinstimmend sieht die englische veröffentlichte Meinung
im Wahlsieg Livingstones die Abstrafung Labours insbesondere für ihre Pläne, die Londoner U-Bahn zu privatisieren, aber auch
einen Denkzettel für die zunehmende Entfremdung der Regierung und der Parteispitze von der Basis und für die undemokratische
Prozedur bei der Aufstellung des Kandidaten von Labour, deretwegen Livingstone unterlegen war.
Die Kandidatur Livingstones wurde von einem linken Bündnis
unterstützt, der London Socialist Alliance (LSA), die selbst zu den Gemeinderatswahlen kandidierte und mit einem Ergebnis von 3%
einen Achtungserfolg erzielte. Es war das erste Mal, dass sich mit Ausnahme der Rest-KP und der Partei Arthur Scargills alle Parteien und
Gruppen links von der Labour Party auf eine gemeinsame Kampagne geeinigt haben.
Livingstone selbst hat jedoch dazu aufgerufen, bei der Wahl zum
Gemeinderat für die Liste der Labour Party zu stimmen. Seine Wählerstimmen reichen nicht nur weit in die Anhängerschaft
von Labour, sondern auch in konservative und liberale Kreise und selbst in die City of London hinein. Der "rote Ken", der schon
früher als "enfant terrible" und exzentrischer Solotänzer galt, ist sehr darauf bedacht, nicht als "linker" OB
zu gelten, sondern als Bürgermeister "aller Londoner".
Er will die Stadtbevölkerung vor allem um fünf Punkte herum
hinter sich scharen: Er will die Pläne der Labour-Regierung zur Privatisierung der U-Bahn zu Fall bringen, die Fahrpreise für den
öffentlichen Nahverkehr die nächsten vier Jahre einfrieren, den Autoverkehr in der Stadt bis 2010 um 15% mindern und die
Zentralregierung zwingen, mehr in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren. Er will eine aktive Politik der Chancengleichheit
(für Frauen, Homosexuelle und Einwanderer) betreiben, die Zahl der Polizisten und ihre Gehälter erhöhen, ehrgeizige
Kultur-, Sport- und Umweltprogramme auflegen und von der Zentralregierung mehr Geld für preiswerte Wohnungen,
Gesundheitsversorgung und Ausbildung locker machen. London soll wieder eine grüne Stadt werden.
Sein Regierungsstil kündigt sich als ein populistischer an: Im Vorfeld
der Wahl traf er sich mit Londons Unternehmerverbänden ebenso wie mit dem Polizeichef John Stevens, für den er bekennt,
"eine große Achtung" zu haben. Noch am Wahlabend hat er allen konkurrierenden OB-Kandidaten angeboten, in sein Kabinett
einzutreten; insbesondere der im Gemeinderat vertretenen Labour Party hat er Posten in seiner Verwaltung angeboten: sie sollten nicht einer
falschen Parteiloyalität anhängen und in einer großen Koalition mitarbeiten. "Wir [der Gemeinderat] sind nicht viel
größer als eine Dinnerparty. Wir sollten in der Lage sein, diese Dinge [die Probleme] ohne all diese [Partei-]Strukturen zu
lösen."
Über Geld, seine Vorhaben durchzusetzen, verfügt er kaum;
entsprechende Selbstverwaltungsrechte wurden unter Margret Thatcher abgeschafft. Aber Tony Blairs Labour-Regierung fürchtet ihn um
so mehr. Gerade weil er über keine Mittel verfügt kann der Medienstar um so unbeschadeter in zentralen Fragen die Londoner
Bevölkerung gegen die Regierung Blair aufbringen. Livingstone hat zwar klargestellt, dass er mit der Zentralregierung kooperieren will,
aber er erwartet, "dass die Zentralregierung auch mit der Londoner Bevölkerung kooperiert" - d.h. in erster Linie ihr
überwältigendes Votum gegen die Privatisierung der U-Bahn akzeptiert. Andernfalls will er gerichtlich gegen Westminster
vorgehen.
Es passt in sein Bild vom ständigen Stachel in Labours Fleisch, dass
er noch am Wahlabend die Regierung Blair wegen der Überbewertung des britischen Pfunds rügte und umgehend einen Termin mit
dem stellvertretenden Ministerpräsidenten, John Prescott, forderte, um über die drohende Schließung des Ford-Werks in
Dagenham zu diskutieren.
Die London Socialist Alliance, die für ihn den Wahlkampf
geführt hat, wirft ihm vor, seinen Erfolg nicht für den Aufbau einer linken Alternative zu Labour zu nutzen, einen solchen eher zu
verhindern. Livingstone scheint sich jedoch darauf konzentrieren zu wollen, die Labour-Regierung ohne Ausblick auf eine positive Alternative
unter Druck zu setzen und den Spaltpilz, der sich in Labour jetzt ausbreitet, zu vertiefen.
Angela Klein