Sozialistische Zeitung |
Zynischer als dieser Werbespot für Kreditkarten sind die wirklichen Vernetzungspläne der
globalen Kreditgeber für Afrika. Im "Globalen Dorf" der weltumspannenden Datennetze ist Afrika ein weißer Fleck auf
der Karte geblieben. Ein Bündnis privater IT-Betreiber aus aller Welt ist angetreten, sich diesen riesigen Markt zu erschließen. Der
Vorstandschef Fassoulis verspricht vollmundig eine "afrikanische Renaissance im neuen Jahrtausend für den gesamten
Kontinent". Das Internet ist dabei sowohl Bestandteil der Globalisierung als auch einer ihrer Motoren.
Im Jahr 1993, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, begannen
die Vorbereitungen für das Projekt "Africa ONE". Bis 2002 soll ein 39000 Kilometer langes Glasfaserkabel rund um den
Kontinent verlegt sein und 40 Gigabit in der Sekunde an Telefongesprächen, E-Mail und Bildern übertragen.
Dieses Kabel wird jedoch nicht in die Erde Afrikas verlegt. Angesichts
von Krisen und Kriegen gilt den Investoren die Hälfte der Staaten und insbesondere deren Bevölkerung als zu unzuverlässig,
um ihnen die Datenautobahn tatsächlich zu überlassen. Was, wenn sich Aufständische plötzlich irgendwo "auf die
Leitung stellen"? Dabei wäre ein Verlegung über Land noch die vergleichsweise billigste Lösung.
Eroberung
von See her
Das Konsortium lässt stattdessen aufwendig und teuer Roboter das Kabel weit vor der Küste in internationale
Gewässer versenken. Das aber dämpft die Übertragungsrate. Alle 40 Kilometer muss deshalb zusätzlich ein
Verstärker im Wert von 1 Million Mark mit in die bis zu 7000 Meter tiefe See versenkt werden.
An mindestens 25 "Landungspunkten" werden armdicke Kabel
als Adern auf das Festland abgezweigt. Von diesen Brückenköpfen aus geht es dann - vielleicht - weiter zu den Anbau- und
Abbaugebieten in den Binnenländern.
Der US-Telekommunikantionsgigant AT&T zusammen mit PATU,
RASCOM und der französischen Alcatel entwickeln das Projekt Africa ONE nicht selbstlos. Sie verfolgen eine mittelfristige Return-on-
Investment-Strategie. Sie hoffen von jetzt 1,5 Milliarden US-Dollar jährlich auf eine Verzehnfachung des afrikanischen
Telekommunikationsmarkts. Solche Zuwachsraten werden hoffnungsfroh in alle Zukunft "extrapoliert". Nur solange dieser Glaube
nicht erschüttert wird, wird ihr kommerzielles Interesse das Vernetzungsprojekt vorantreiben. Das Risiko ist hoch. Daran ändert
nichts, dass sie im Auftrag und mit Unterstützung der Weltbank und mehrerer UN-Organisationen handeln.
Die Weltbank will im Rahmen ihres Programms infoDEV die
"weitestmögliche Eingliederung der Entwicklungsländer in die internationale Informationsökonomie" erreichen.
Sie wirbt für die neuen Technologien, in dem sie sie in den Dienst für "Gleichheit und Armutsreduzierung" stellt:
"Die Informationsrevolution bietet Afrika dramatische Möglichkeiten für einen Sprung in die Zukunft und für den
Ausbruch aus Jahrzehnten der Stagnation und des Abstiegs. Afrika muss diese Gelegenheit rasch ergreifen."
Dann wird der Ton drohender: "Wenn afrikanische Länder
nicht in der Lage sind, die Vorteile der Informationsrevolution und des Surfens auf dieser großen Welle technologischen Wandels zu
nutzen, können sie von ihr zerschmettert werden."
Obenan steht für die Weltbank dabei die Schaffung einer
informationsfreundlichen Umgebung. Wie wir uns so etwas vorstellen müssen, wird in der konkreten Umsetzung deutlicher. Sie meinen
eine investitionsfreundliche Umgebung für die Informationswirtschaft: durch das Privatisieren der Telekommunikation und die Aufhebung
der staatlichen Restriktionen.
Die deutsche Siemens, als Konkurrent auf dem gleichen Markt mit dem
Projekt Afrilink, verurteilt Africa ONE scharfsichtig als "Kolonialismus in neuer Technologie".
Bocksprünge in die
Zukunft
Aber wäre es nicht wunderbar, wenn wir mit Hilfe des Internet global zusammenrücken würden? Wenn die
Entwicklungshelfer den entdeckten Bedarf an Hilfsgütern per E-Mail aus dem Katastrophengebiet direkt an uns weitermelden
könnten? Können Menschen und Institutionen des Südens, ausgerüstet mit dem Zugang zum Cyberspace, aus dem
schwarzen Loch heraustreten und weltweit ihre Interessen und Standpunkte vorbringen? Ja, wäre es nicht sogar denkbar, dass mit den
neuen technischen Möglichkeiten die Länder des Südens Entwicklungsstadien überspringen - eine Vision, die
Globalstrategen "Leapfrogging" (Froschhüpfen) getauft haben?
Der Glaube an technische Wunder angesichts bewundernswerter
Neuentwicklungen im Zuge der Chiprevolution greift allgemein um sich. Das macht es notwendig, einige Größenordnungen
zurechtzurücken.
Elektrizität: Etwa 70% der Afrikaner leben in ländlichen
Gebieten ohne elektrische Versorgung. Computer reagieren auf Spannungsschwankungen noch sehr sensibel, daher sind auch
Ersatzversorgungen z.B. über Dieselgeneratoren nur aufwendig zu realisieren. Damit ist bereits mehr als die Hälfte der
afrikanischen Bevölkerung von diesem technologischen Wandel ausgeschlossen.
Telefondichte: In Monaco - um einen Maßstab im Herzen Europas zu
wählen - kommen auf 100 EinwohnerInnen 99 Telefongeräte. In 35 Ländern Afrikas gibt es weniger als einen
Telefonanschluss je 100 Einwohner; selbst unter Berücksichtigung der Kaprepublik sind es gerade einmal 1,6 Anschlüsse je 100
Köpfe.
Der Spiegel rechnete die nackten Zahlen für uns gewohnt plakativ
um: "Vor jedem öffentlichen Telefonhäuschen Schwarzafrikas steht - statistisch gesehen - eine Warteschlange von 17000
Menschen."
Einmal abgesehen von öffentlichen Telefonzellen - südlich der
Sahara leben und arbeiten 740 Millionen Menschen, bei gerade einmal 14 Millionen Telefonanschlüssen. Und davon kommen auf das
Schwellenland Südafrika allein bereits 1 Million Zugänge.
Zusätzlich sind jüngst 5 Millionen Handys verkauft worden.
Die privaten Anbieter von Mobilnetzen - mit uns wohlbekannten Namen wie Vodafone, France Télécom oder Airtouch -
beweisen sich dabei unter rauhen Bedingungen: Im staatsfreien Somalia, von Bürgerkrieg, UNO-Einsätzen und Clankämpfen
zerrissen, leisten ihre Handys allen Parteien ihren Dienst. Und auch im Zwischenkriegs-Rwanda boomt nichts außer Mobiltelefonen.
Telefongebühren: Aufgrund großer Entfernungen und niedriger
Stückzahlen kommen die monatlichen Gebühren etwa viermal so teuer wie hierzulande. Die Faustregel könnte lauten:
"Je ärmer das Land desto saftiger die Gebühren." Das Zeitunglesen über Internet bleibt also auch auf
längere Sicht allemal teurer als das Abonnieren einer gedruckten Zeitung.
Hardware: In den Industriezentren wandern wir spätestens alle vier
Jahre vergleichend durch den nächstgelegenen Medienmarkt, suchen neue Rechner und ein Modem aus den Regalen und werden an der
Scannerkasse um bis zu 2000 Mark ärmer. Legen wir das durchschnittliche Einkommen in den Industriezentren zum Vergleich an das in
Afrika an, so werden die Eintrittskosten zum Netz dort relativ 60- bis 100mal teurer. Damit verschieben sich auch die Ergebnisse von
Kalkulationen der Kosten zu den möglichen Nutzen.
Ökologie: Alle drei Jahre ersetzt so eine neue Hardwaregeneration
ihre entwerteten Vorgänger. IBM, Microsoft und Co. geben sich redlich Mühe, ihre Produkt nicht nachhaltig sondern schnell- und
kurzlebig zu entwickeln. Der nördlich sich ansammelnde Computerschrott wird zunehmend als mildtätige
"Entwicklungshilfe" nach Süden verschifft.
Alphabetisierung: Nur eine Minderheit der afrikanischen Jugend besucht
einen Schulunterricht. Um Lesen und Schreiben zu lernen, müssen sie keinen PC bedienen; erst umgekehrt wird ein Schuh daraus.
Für die meisten Grundschulen in Afrika wäre daher die
tägliche Schulspeisung, Hefte und Stifte weit sinnvoller als ein aus den Industrienationen gesponserter Web-Anschluss. Tatsächlich
sind eine Reihe afrikanischer Schulen bereits mit PCs und Internet ausgerüstet - Privatschulen für die Kinder der Eliten.
Sprache: 80-90% alle Angebote im Internet sind auf Englisch, einer
Sprache, die gerade einmal von jedem zehnten auf der Welt verstanden wird. 5% der Websites sind in Französisch, gerade 2% auf
Spanisch. Schon die deutschen Umlaute machen Kunstgriffe notwendig, da sie im üblichen einfachen ASCII-Zeichensatz fehlen. Umso
mehr werden jene Sprachen benachteiligt, die überhaupt nicht auf die lateinische Schrift aufbauen.
Die kommerziell motivierte Entscheidung bei Microsoft, keine
Programmversionen mehr in Isländisch zu entwickeln, löste einen Proteststurm in der isländischen Regierung aus. An
Standardsoftware in den afrikanischen Landessprachen war bisher nicht einmal zu denken.
Medienkompetenz: Zum Umgang mit dem Internet gehört wesentlich
mehr als Lesen und Schreiben. Die Anwender müssen banale Störungen in der Hardware und im Betriebssystem beseitigen
können. Sie müssen eine Tastatur bedienen können und auch Sonderzeichen finden. Schwieriger - sie müssen sich in
einem riesigen Wust aus Angeboten orientieren können, müssen Brauchbares herausfiltern, die Daten bewerten nach ihrer Quelle
und den hinter ihr oft verborgenen Interessen.
Im Internet lassen sich enorme Mengen an Informationen schnell abrufen.
Doch dies setzt ein umfassendes Wissen und breite Bildung bei den NutzerInnen voraus. Sonst "verdursten sie im Angesicht der
Quelle", können die Fragen nicht formulieren oder sich die Antworten nicht erschließen.
Fachleute: Für die Anbieter von Internet-Seiten müssen
Spezialisten Server installieren, Informationen für das Internet redigieren und zu Webseiten umgestalten. Diese IT-Fachleute
müssen aufwendig herangebildet werden. Die Green-Card-Initiative der Schröder-Regierung hat jüngst bewiesen, wie wenig
sich die Industrienationen scheuen, frische Spezialisten alsbald aus Dritte-Welt-Ländern abzuwerben. Gegen dieses brain drain
(Gehirnabsaugen) sind die afrikanischen Nationen genauso wehrlos wie gegen die jahrhundertelange Ausplünderung ihrer
Rohstoffe.
Die Inhalte mitbestimmen
Armut, Krankheit, Ungerechtigkeit und Kriege sind keine technischen Probleme. Das
Internet wird die bestehenden Strukturen nicht aufbrechen sondern droht sie zu verhärten.
Gerade einmal 0,02% der Web-Angebote stammen vom schwarzen
Kontinent. Nicht alle Länder sind so eifrig wie Nigeria. Die Regierung dort investiert in vier Server, um selbstbestimmt umfangreiche
Angebote ins Netz zu stellen. So will sie selbst das ihrer Meinung nach schiefe Bild über die alltäglichen
Menschenrechtsverletzungen in Nigeria zurechtrücken. Doch diese technischen Vorposten stehen paradoxerweise darum auch nicht im
eigenen Land, sondern in den Industrienationen; unter anderem in der Botschaft in Bonn.
Die kommerziellen Angebote im Internet überwiegen; weitere 6%
befassen sich mit wissenschaftlichen Themen; mehr als 10% sind heißer Stoff: Politik und Pornografie. Es hängt nur von den
konkreten Umständen ab, was die Mächtigen in Afrika in Zukunft kontrollieren oder beschränken wollen. Die Regierungen in
China und Singapur haben eindrucksvoll gegen ihre Opposition bewiesen, wie eine fast vollständige Überwachung und Zensur
gerade auch im Internet möglich wird.
Africa ONE bietet mit seiner Struktur, dem Ring um den Kontinent und den
wenigen zentralisierten Leitungsabgängen, dafür technisch ideale Voraussetzungen. Die Schnüffelsoftware dazu wird von
unseren Arbeitgebern bereits im betrieblichen Einsatz erprobt, verfeinert und weiterentwickelt. Da wird vollautomatisch blockiert, gefiltert und
protokolliert. Das Ergebnis wird sicher nicht die von der Weltbank versprochenen "informationsfreundliche
Umgebung".
Radio für alle
Rund 2 Milliarden Dollar könnte das gigantische Projekt Africa ONE kosten.
Noch haben die Investoren das Geld nicht ganz zusammen. Sie werden die G7-Regierungen um Finanzspritzen und Bürgschaften angehen.
Wie ehrgeizig das Projekt ist, klingt schon im Namen mit. Werden Africa TWO und THREE folgen?
Eine Alternative zur gigantischen Schlinge rund um den Kontinent bietet ein
in die Jahre gekommener Konkurrent - das Radio: Auf 100 Einwohner Afrikas kommt zwar nur ein Telefon, sie verfügen aber immerhin
über 19 Radiogeräte. Diese sorgen auch in den abgeschnittensten Landstrichen für Nachrichten und Bildung, oft in der
Landessprache.
Sobald sich die Elektronikriesen international auf einen digitalen Standard
eingelassen haben, beginnt auch hier die große Umstellung. Über Kurzwelle, also über ungeheure Entfernungen und politische
Grenzen hinweg, kann zukünftig störungsfrei und in Stereo gesendet werden.
Ab Ende 2001 sollen die Radiosender dazu umgerüstet und die
Radiogeräte ausgetauscht werden. Zehn bis fünfzehn Jahre würde es dauern, bis die analogen Sendungen allmählich
verstummen werden. Die Voraussetzung: es müssen bald und in enormen Stückzahlen Billiggeräte angeboten
werden.
Tobias Michel