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Die Dämme sind gebrochen: Seitdem sich Bundeskanzler Gerhard Schröder im März
für die Einführung einer Greencard stark gemacht hat, scheint auch ein umfassenderes Einwanderungsgesetz nur noch eine Frage der
Zeit. SPD, FDP, Grüne und der größte Teil der CDU - die damit ihren deutschnationalen Flügel brüskiert -
sprechen sich für eine geregelte Zuwanderung aus. Auch DGB-Chef Dieter Schulte ist einverstanden und im linksliberalen Milieu erfreut
sich die Idee für ein Einwanderungsgesetz ebenfalls größter Zustimmung.
In der letzten Legislaturperiode hatten die Grünen einen
Gesetzentwurf eingebracht. Er sollte Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen sowie Menschen, die vor geschlechtsspezifischer
Verfolgung, Armut oder ökologischen Katastrophen fliehen, einen sicheren Zugang ohne das bürokratische Prozedere eines
Asylverfahrens ermöglichen.
Alle nun geäußerten Vorschläge für ein
Einwanderungsgesetz entsprechen allerdings eher den wirtschaftsliberalen Vorstellungen der Wirtschaftswoche, die sich schon Anfang der 90er
Jahre für Einwanderung stark gemacht hatte. Die Kriterien für das neue Gesetz sollen nicht länger aus Sicht der Antragsteller
- wie beim Asylrecht, sondern aus der Interessenlage des Staates heraus definiert werden, fordert der Fraktionschef der CDU/CSU im
Bundestag, Friedrich Merz. Das sagen auch die anderen Parteien - wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit.
Am weitesten gehen CDU und CSU, die gleichzeitig mit einem
Einwanderungsgesetz das individuelle Recht auf Asyl abschaffen wollen. Dies hat zwar der um moralische Integrität bemühte
Bundespräsident Johannes Rau nicht vor. Doch in seiner "Berliner Rede" betont auch er die "eigenen" Interessen
der Deutschen beim Thema Einwanderung.
Zentraler Aspekt seiner Rede war die Integration der Einwanderer.
"Es ist kein Zeichen von Ausländerfeindlichkeit, wenn Lehrer und Schulleiter darauf achten, dass in der Schule deutsch gesprochen
wird. Ganz im Gegenteil: Wo das nicht geschieht, scheitert die Integration von Anfang an", so Rau.
Auf die Idee, bspw. Türkisch zum Pflichtfach zu machen, um eine
bessere Verständigung der Kulturen zu bewerkstelligen, kommt der Bundespräsident nicht. Sein Einwanderungs- und
Integrationsprogramm ist ausgeprägt kulturchauvinistisch: Einwanderer können von den Deutschen alles, Deutsche aber nichts von
der Kultur der Einwanderer lernen. Im Gegenteil, die Kultur der Einwanderer birgt für Rau dort, wo sie verstärkt zu Tage tritt,
Bedrohungspotenziale für "manche alt eingesessene Deutsche", die sich "nicht mehr zu Hause fühlen, sondern wie
Fremde im eigenen Land". Fremde Sprachen und Musik, Essensgerüche, Lärm und religiöse Gebräuche
zählt er in fast einem Atemzug als Belege für seine These auf.
Sein Hauptargument für die "Anerkennung der deutschen
Werteordnung" (SPD-Parteikollege und innenpolitischer Sprecher Dieter Wiefelspütz) ist jedoch die Frauenrolle. "Jeder
muss wissen, dass wir es nicht dulden, wenn Frauen aus traditionellen oder kulturellen Gründen nur mindere Rechte haben sollen",
so Rau in seiner Rede.
Obwohl Rau an keiner Stelle Zweifel daran lässt, dass Einwanderung
vor allem dem Vorteil des deutschen Staates und seiner Wirtschaft dienen muss, schwingt in seiner Rede der Ton des Gönners mit, der
gnädig und uneigennützig den Verdammten dieser Erde die Pforten öffnet.
Die neuerliche Absicht der Regierungskoalition, Asylbewerbern nach
eineinhalb bis zwei Jahren eine Arbeitserlaubnis zu geben und damit das Verbot des ehemaligen CDU-Arbeitsministers Norbert Blüm
aufzuheben, wäre geradezu sympathisch, wenn die zeitliche Befristung wegfallen würde.
Tatsächlich bedeutet die Aufhebung des Arbeitsverbots eine partielle
und schrittweise Überwindung der erzwungenen Isolation von schätzungsweise 70000 bis 80000 Asylsuchenden. Doch auch das hat
handfeste Gründe. Die SPD will so die Engpässe bei ungelernten Tätigkeiten im Pflege-, Reinigungs- und Wartungsbereich
füllen.
Darüber hinaus dürfte es auch ein parteitaktischer Zug der SPD
gewesen sein. Denn die CDU hat spätestens nach dem NRW-Wahlkampf erkannt, dass sie mit einer Frontstellung zum Thema
Einwanderung keine Mehrheiten mehr gewinnen kann.
Die Aufhebung des Arbeitsverbots setzt jedoch neue Zentrifugalkräfte
frei. Die CSU hat bereits die Blockade der Greencardinitiative im Bundesrat angekündigt, sollte die Bundesregierung tatsächlich
das Arbeitsverbot lockern. Auch der CDU-Rechtspolitiker Rupert Scholz übte scharfe Kritik. Hingegen begrüßte
Arbeitgeberpräsident Hundt das Vorhaben der Regierung, weil in vielen Branchen ein Mangel an Arbeitskräften bestehe.
Die Linke wird, so kompliziert die Gemengelage auch ist, die Forderung
nach offenen Grenzen zum Ausgangspunkt ihrer Argumentation machen müssen. Als Schritt in diese Richtung ist jedoch weniger ein von
deutschen Kapitalinteressen dominiertes Einwanderungsrecht zu bewerten, sondern vielmehr der Erhalt und die Ausweitung des Asylrechts um
wirtschaftliche Fluchtgründe.
Aufgabe der Gewerkschaften sollte es sein, auch für Asylsuchende
und alle, die in Deutschland arbeiten und sich niederlassen wollen, gleiche politische und gewerkschaftliche Rechte einzufordern, wie sie auch
die übrigen Gewerkschaftsmitglieder genießen. Dies wird mittel- und langfristig der einzige Weg sein, um den an der
Gewerkschaftsbasis virulenten Rassismus einzudämmen.
Gerhard Klas