Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 25.05.2000, Seite 2

Fischer-Rede

Zu kurz gesprungen

von ANGELA KLEIN

Es sollte mal wieder der Mantel der Geschichte wehen. 50 Jahre nachdem Robert Schuman seine Vision einer Europäischen Föderation verkündet hat, wollte ein deutscher Außenminister in seine Fußstapfen treten - die Vision erneuern, dabei die "Methode Schuman" ad acta legen.
Fischer fordert einen bewussten Schritt vom Staatenbund zur Europäischen Föderation. Er sieht darin die einzige Möglichkeit, die wachsenden Widersprüche der in Teilintegrationen befangenen EU bei anhaltendem Fehlen einer Gesamtkonstruktion und gleichzeitiger Ausdehnung ihres Wirkungsbereichs zu überwinden. Er sprach das Demokratiedefizit an und dass Institutionen, die für sechs Länder geschaffn wurden, nicht für 30 taugen. Doch keiner seiner Lösungsvorschläge packt die Probleme an, die wirklich eine Hindernis für eine Europäische Integration sind.
Da ist zunächst die Steuer- und Sozialpolitik. Neoliberales Credo und nationalstaatliche Borniertheit sind sich einig, dem Haus Europa das "Prinzip der Subsidiarität" zugrundezulegen. Daran will Fischer nicht rütteln. Es ist aber gerade die Weigerung, die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf dieselbe Ramgstufe wie die Wirtschaftpolitik zu stellen und zu einem ebenbürtigen "Konvergenzfaktor" zu machen, der Legitimität und Nützlichkeit der europäischen Institutionen in den Augen der Normalbevölkerung stark belastet. Nicht einmal in dem anvisierten Kerneuropa würden gleichartige Lebensverhältnisse verwirklicht; es würde nur die Euro-Zone in jeder Hinsicht deutlicher von den Anwärtern geschieden - damit wirtschafts- wie außenpolitisch ein Europa zweiter Klasse und eine neue Spaltung auf dem europäischen Kontinent geschaffen.
Das von ihm vorgesclagene Zweikammersystem löst auch nicht die formalen Demokratiedefizite der heutigen Union. Die erste Kammer wäre ein Parlament mit Abgeordneten aus den Nationalparlamenten, von dem weder klar ist, ob es direkt gewählt würde, noch ob es endlich die klassischen Partlamentsbefugnisse (Haushalts- und Steuerrecht) erhielte. Die zweite Kammer soll entweder ein Senat nach US-amerikanischem Vorbild oder ein Bundesrat nach deutschem Modell sein. Beide Kammern wären vom Bürger weiter weg als das jetzige Europaparlament.
Die Exekutive soll entweder eine europäische Regierung sein, die sich aus den Regierungen der Nationalstaaten zusammensetzt (also nicht von der 1.Kammer gewählt wird!), oder gleich ein direkt gewählter EU-Präsident, der über nahezu absolute Vollmachten verfügte, ohne ein gleich starkes Parlament als wirksamen Gegenspieler zu haben.
Ein europäischer Grundvertrag, der ein solches Konstrukt festlegt, ohne Ziel und Weg für eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu formulieren und ohne den Bürgern einen direkten Einfluss auf das europäische Geschehen zu ermöglichen, trägt den Spaltpilz und die Verletzung demokratischer Normen schon in sich.



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