Sozialistische Zeitung |
Es sollte mal wieder der Mantel der Geschichte wehen. 50 Jahre nachdem Robert Schuman seine Vision einer
Europäischen Föderation verkündet hat, wollte ein deutscher Außenminister in seine Fußstapfen treten - die
Vision erneuern, dabei die "Methode Schuman" ad acta legen.
Fischer fordert einen bewussten Schritt vom Staatenbund zur
Europäischen Föderation. Er sieht darin die einzige Möglichkeit, die wachsenden Widersprüche der in
Teilintegrationen befangenen EU bei anhaltendem Fehlen einer Gesamtkonstruktion und gleichzeitiger Ausdehnung ihres Wirkungsbereichs zu
überwinden. Er sprach das Demokratiedefizit an und dass Institutionen, die für sechs Länder geschaffn wurden, nicht
für 30 taugen. Doch keiner seiner Lösungsvorschläge packt die Probleme an, die wirklich eine Hindernis für eine
Europäische Integration sind.
Da ist zunächst die Steuer- und Sozialpolitik. Neoliberales Credo
und nationalstaatliche Borniertheit sind sich einig, dem Haus Europa das "Prinzip der Subsidiarität" zugrundezulegen. Daran
will Fischer nicht rütteln. Es ist aber gerade die Weigerung, die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf dieselbe Ramgstufe wie die
Wirtschaftpolitik zu stellen und zu einem ebenbürtigen "Konvergenzfaktor" zu machen, der Legitimität und
Nützlichkeit der europäischen Institutionen in den Augen der Normalbevölkerung stark belastet. Nicht einmal in dem
anvisierten Kerneuropa würden gleichartige Lebensverhältnisse verwirklicht; es würde nur die Euro-Zone in jeder Hinsicht
deutlicher von den Anwärtern geschieden - damit wirtschafts- wie außenpolitisch ein Europa zweiter Klasse und eine neue
Spaltung auf dem europäischen Kontinent geschaffen.
Das von ihm vorgesclagene Zweikammersystem löst auch nicht die
formalen Demokratiedefizite der heutigen Union. Die erste Kammer wäre ein Parlament mit Abgeordneten aus den Nationalparlamenten,
von dem weder klar ist, ob es direkt gewählt würde, noch ob es endlich die klassischen Partlamentsbefugnisse (Haushalts- und
Steuerrecht) erhielte. Die zweite Kammer soll entweder ein Senat nach US-amerikanischem Vorbild oder ein Bundesrat nach deutschem
Modell sein. Beide Kammern wären vom Bürger weiter weg als das jetzige Europaparlament.
Die Exekutive soll entweder eine europäische Regierung sein, die
sich aus den Regierungen der Nationalstaaten zusammensetzt (also nicht von der 1.Kammer gewählt wird!), oder gleich ein direkt
gewählter EU-Präsident, der über nahezu absolute Vollmachten verfügte, ohne ein gleich starkes Parlament als
wirksamen Gegenspieler zu haben.
Ein europäischer Grundvertrag, der ein solches Konstrukt festlegt,
ohne Ziel und Weg für eine Angleichung der Lebensverhältnisse zu formulieren und ohne den Bürgern einen direkten Einfluss
auf das europäische Geschehen zu ermöglichen, trägt den Spaltpilz und die Verletzung demokratischer Normen schon in
sich.