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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 25.05.2000, Seite 4

Gegen "Linksfaschisten" und Kapital

NPD marschiert im Pott

Zum ersten Mal seit über 30 Jahren fand am 6.Mai wieder ein Aufmarsch der NPD im Ruhrgebiet statt. "Gegen Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau", so die Überschrift des Aufrufs, demonstrierten zwischen 200 und 700 Nazis in Essen gegen die "unsozialen Verhaltensweisen der Etablierten". Ein breites Bündnis von Antifagruppen, Gewerkschaften, DKP, PDS bis zur SPD hatte zur Gegendemonstration unter dem Motto "Der Ruhrpott stellt sich quer" aufgerufen.
Die Demonstrationsstrecke der NPD war von der Polizei im Vorfeld kurzfristig umgelegt worden, um beide Demonstrationen durch die Bahnstrecke in Essen räumlich zu trennen. Diese Strategie der Polizei, deren Einsatz unbeteiligte Passanten in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung als "Bürgerkriegsübung" bezeichneten, ging auf: Auf der Südseite sammelte sich die NPD, im Norden fand die Gegendemonstration statt. Nur einmal gelang es AntifaschistInnen nahe genug an den Aufmarsch zu gelangen, um Leuchtraketen und Steine zu werfen.
Aus Sicht der NPD sollte bei dieser Veranstaltung "alles anders werden", heißt es in in einer internen Einschätzung der Jungen Nationaldemokraten Duisburg. Die auf der Demonstration gerufenen Sprüche sollten einheitlich gesteuert werden und dem Motto der Demonstration angepasst sein.
Ausdrücklich nicht erwünscht waren nach diesem Papier Ausrufe mit strafbarem Inhalt. Es wird ausdrücklich betont, dass "wir hier nicht gegen die Wehrmachtsausstellung oder im Gedenken an Rudolf Hess marschieren werden".
In einer Presseerklärung beklagte die NPD den "Sozialverrat der Herrschenden" und erklärte, die unhaltbare soziale Situation und Massenarbeitslosigkeit beenden zu wollen; die GegendemonstrantInnen werden als Links- oder Rotfaschisten bezeichnet.
Schon länger gibt sich die Partei als "Schicksalgemeinschaft der Opfer des Kapitalismus" und versucht sich an einer Verknüpfung von nationaler und sozialer Frage. "Sozialabbau" wird angeprangert, gleichzeitig werden die "Auswüchse des bürokratischen Wohlfahrtsstaats" beklagt.
Essen und das Ruhrgebiet besitzen hierbei eine besondere Bedeutung für die NPD und die organisierte Naziszene. Landesparteitage der NPD fanden regelmäßig in Essener Kneipen statt. Ortsgruppen der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) oder auch unorganisierte Nazi-Gruppen sind nach Informationen der Antifa außer in Essen mittlerweile in Unna, Dortmund, Bochum, Dorsten, Gelsenkirchen, Recklinghausen, Herne und Castrop-Rauxel aktiv.
Die Landesparteizentrale der NPD befindet sich in Bochum-Wattenscheid. 1998 hatte die NPD/JN laut Verfassungsschutzbericht auf Landesebene bereits 700 Mitglieder. Außerdem gibt es in Essen eine große unorganisierte Nazi-Szene, die sich nach Informationen der Essener Antifa regelmässig in einer Kneipe am Hauptbahnhof trifft.
Nach den Verboten gegen die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), die Nationale Liste (NL), die Wiking-Jugend (WJ) und andere neonazistische Organisationen öffnete sich die bis dahin von militanten Organisationen als "legalistisch" geschmähte NPD unter der Führung von Udo Voigt auch militanten Neonazis. Die FAP-Mitglieder im Ruhrgebiet wechselten bspw. nahezu komplett in die NPD. Bestehende Abgrenzungsbeschlüsse wurden nicht mehr eingehalten.
Die Integration der neuen Mitglieder verlief nicht ohne Flügelkämpfe. Vor allem zwischen den Vertretern eines "progressiven Nationalismus", die nationalrevolutionäre Positionen verfolgen und den so genannten "Neo-Nationalsozialisten" oder "Nationalen Sozialisten" kam es zu Auseinandersetzungen, die über Führungsrivalitäten weit hinausgingen. Insbesondere wurde der Sinn von Massenaufmärschen von dem nationalrevolutionär ausgerichteten Flügel in Frage gestellt.
Die "progressiven Nationalisten" wollten eine "Abkehr von der parteipolitisch geprägten Rechten". Stattdessen sollten "flexible und strukturlose Gruppen die nationale Politik voranbringen", wie es in einem Positionspapier heißt. Auch das "progressiv linke Spektrum" sollte angesprochen werden. Themen der Linken sollten aufgegriffen und mit eigenen Positionen gefüllt werden, um einen breiten Adressatenkreis zu erreichen. Die "Neo-Nationalsozialisten" bezeichneten sie als politikunfähig.
Besonders scharf fiel ihre Kritik an Nazi-Aufmärschen, wie dem alljährlichen Rudolf-Heß-Marsch aus: "Man will lediglich provozieren, verschrecken, Aufmerksamkeit erregen".
Besonders "beschämend sei, dass eine negative Wirkung auf die Bevölkerung geradezu gewünscht sei. Die VertreterInnen des "progressiven" Flügels sind mittlerweile zu einem großen Teil entmachtet. Trotzdem kommt es immer wieder zu Debatten um den Sinn von Aufmärschen wie dem Rudolf- Heß-Marsch.
In jüngster Zeit setzte die NPD jedoch wieder verstärkt auf Aktivitäten in der Öffentlichkeit, wie bspw. Aufmärsche. Die NPD hat ihr Parteikonzept dahingehend geändert, dass immer mehr Veranstaltungen im öffentlichen Raum stattfinden. Während sie letztes Jahr am 1.Mai noch zu einer, letztendlich verbotenen, zentralen Demonstration nach Bremen mobilisierte, fanden dieses Jahr dezentrale 1.Mai-Aufmärsche in Berlin/Hellersdorf, Grimma, Dresden, Fürth, Wetzlar und Ludwigshafen statt.
Die sächsische NPD hatte vor der Landtagswahl in Sachsen aus "wahltaktischen Gründen" keine Aufmärsche mehr durchgeführt, erklärte der Vorsitzende des NPD- Landesverbands Sachsen, Winfried Petzold, in der Sachsenstimme. Solche Gemeinschaftserlebnisse seien aber zur Stärkung der Kampfmoral nicht zu unterschätzen.
Dahinter steht die Erkenntnis, dass "ein Wandel zum Besseren durch Wahlen nicht zu erreichen" sei. Im Unterschied zur DVU oder den "Republikanern" arbeitet die NPD nicht für möglichst schnelle Wahlerfolge, sondern für den Aufbau einer "nationalen außerparlamentarischen Opposition. Die NPD ist daher für Petzold auch kein "Wahlverein", sondern versteht sich als "Kampf- und Sammlungsbewegung aller nationalen Kräfte".

Patrick Hagen


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