Sozialistische Zeitung |
Zum ersten Mal seit über 30 Jahren fand am 6.Mai wieder ein Aufmarsch der NPD im Ruhrgebiet statt.
"Gegen Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau", so die Überschrift des Aufrufs, demonstrierten zwischen 200 und 700
Nazis in Essen gegen die "unsozialen Verhaltensweisen der Etablierten". Ein breites Bündnis von Antifagruppen,
Gewerkschaften, DKP, PDS bis zur SPD hatte zur Gegendemonstration unter dem Motto "Der Ruhrpott stellt sich quer" aufgerufen.
Die Demonstrationsstrecke der NPD war von der Polizei im Vorfeld
kurzfristig umgelegt worden, um beide Demonstrationen durch die Bahnstrecke in Essen räumlich zu trennen. Diese Strategie der Polizei,
deren Einsatz unbeteiligte Passanten in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung als "Bürgerkriegsübung" bezeichneten,
ging auf: Auf der Südseite sammelte sich die NPD, im Norden fand die Gegendemonstration statt. Nur einmal gelang es AntifaschistInnen
nahe genug an den Aufmarsch zu gelangen, um Leuchtraketen und Steine zu werfen.
Aus Sicht der NPD sollte bei dieser Veranstaltung "alles anders
werden", heißt es in in einer internen Einschätzung der Jungen Nationaldemokraten Duisburg. Die auf der Demonstration
gerufenen Sprüche sollten einheitlich gesteuert werden und dem Motto der Demonstration angepasst sein.
Ausdrücklich nicht erwünscht waren nach diesem Papier
Ausrufe mit strafbarem Inhalt. Es wird ausdrücklich betont, dass "wir hier nicht gegen die Wehrmachtsausstellung oder im
Gedenken an Rudolf Hess marschieren werden".
In einer Presseerklärung beklagte die NPD den "Sozialverrat
der Herrschenden" und erklärte, die unhaltbare soziale Situation und Massenarbeitslosigkeit beenden zu wollen; die
GegendemonstrantInnen werden als Links- oder Rotfaschisten bezeichnet.
Schon länger gibt sich die Partei als "Schicksalgemeinschaft
der Opfer des Kapitalismus" und versucht sich an einer Verknüpfung von nationaler und sozialer Frage. "Sozialabbau"
wird angeprangert, gleichzeitig werden die "Auswüchse des bürokratischen Wohlfahrtsstaats" beklagt.
Essen und das Ruhrgebiet besitzen hierbei eine besondere Bedeutung
für die NPD und die organisierte Naziszene. Landesparteitage der NPD fanden regelmäßig in Essener Kneipen statt.
Ortsgruppen der NPD und ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) oder auch unorganisierte Nazi-Gruppen sind nach
Informationen der Antifa außer in Essen mittlerweile in Unna, Dortmund, Bochum, Dorsten, Gelsenkirchen, Recklinghausen, Herne und
Castrop-Rauxel aktiv.
Die Landesparteizentrale der NPD befindet sich in Bochum-Wattenscheid.
1998 hatte die NPD/JN laut Verfassungsschutzbericht auf Landesebene bereits 700 Mitglieder. Außerdem gibt es in Essen eine
große unorganisierte Nazi-Szene, die sich nach Informationen der Essener Antifa regelmässig in einer Kneipe am Hauptbahnhof
trifft.
Nach den Verboten gegen die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP),
die Nationale Liste (NL), die Wiking-Jugend (WJ) und andere neonazistische Organisationen öffnete sich die bis dahin von militanten
Organisationen als "legalistisch" geschmähte NPD unter der Führung von Udo Voigt auch militanten Neonazis. Die
FAP-Mitglieder im Ruhrgebiet wechselten bspw. nahezu komplett in die NPD. Bestehende Abgrenzungsbeschlüsse wurden nicht mehr
eingehalten.
Die Integration der neuen Mitglieder verlief nicht ohne
Flügelkämpfe. Vor allem zwischen den Vertretern eines "progressiven Nationalismus", die nationalrevolutionäre
Positionen verfolgen und den so genannten "Neo-Nationalsozialisten" oder "Nationalen Sozialisten" kam es zu
Auseinandersetzungen, die über Führungsrivalitäten weit hinausgingen. Insbesondere wurde der Sinn von
Massenaufmärschen von dem nationalrevolutionär ausgerichteten Flügel in Frage gestellt.
Die "progressiven Nationalisten" wollten eine "Abkehr
von der parteipolitisch geprägten Rechten". Stattdessen sollten "flexible und strukturlose Gruppen die nationale Politik
voranbringen", wie es in einem Positionspapier heißt. Auch das "progressiv linke Spektrum" sollte angesprochen
werden. Themen der Linken sollten aufgegriffen und mit eigenen Positionen gefüllt werden, um einen breiten Adressatenkreis zu
erreichen. Die "Neo-Nationalsozialisten" bezeichneten sie als politikunfähig.
Besonders scharf fiel ihre Kritik an Nazi-Aufmärschen, wie dem
alljährlichen Rudolf-Heß-Marsch aus: "Man will lediglich provozieren, verschrecken, Aufmerksamkeit erregen".
Besonders "beschämend sei, dass eine negative Wirkung auf
die Bevölkerung geradezu gewünscht sei. Die VertreterInnen des "progressiven" Flügels sind mittlerweile zu
einem großen Teil entmachtet. Trotzdem kommt es immer wieder zu Debatten um den Sinn von Aufmärschen wie dem Rudolf-
Heß-Marsch.
In jüngster Zeit setzte die NPD jedoch wieder verstärkt auf
Aktivitäten in der Öffentlichkeit, wie bspw. Aufmärsche. Die NPD hat ihr Parteikonzept dahingehend geändert, dass
immer mehr Veranstaltungen im öffentlichen Raum stattfinden. Während sie letztes Jahr am 1.Mai noch zu einer, letztendlich
verbotenen, zentralen Demonstration nach Bremen mobilisierte, fanden dieses Jahr dezentrale 1.Mai-Aufmärsche in Berlin/Hellersdorf,
Grimma, Dresden, Fürth, Wetzlar und Ludwigshafen statt.
Die sächsische NPD hatte vor der Landtagswahl in Sachsen aus
"wahltaktischen Gründen" keine Aufmärsche mehr durchgeführt, erklärte der Vorsitzende des NPD-
Landesverbands Sachsen, Winfried Petzold, in der Sachsenstimme. Solche Gemeinschaftserlebnisse seien aber zur Stärkung der
Kampfmoral nicht zu unterschätzen.
Dahinter steht die Erkenntnis, dass "ein Wandel zum Besseren durch
Wahlen nicht zu erreichen" sei. Im Unterschied zur DVU oder den "Republikanern" arbeitet die NPD nicht für
möglichst schnelle Wahlerfolge, sondern für den Aufbau einer "nationalen außerparlamentarischen Opposition. Die
NPD ist daher für Petzold auch kein "Wahlverein", sondern versteht sich als "Kampf- und Sammlungsbewegung aller
nationalen Kräfte".
Patrick Hagen