Sozialistische Zeitung |
Die sächsische Landesregierung erprobt derzeit das Modell, mit Langzeitarbeitslose einen parallelen,
ungeschützten Arbeitsmarkt zu schaffen. Das Modell nennt sich Tauris und hat mit Kombilohn nichts mehr zu tun.
Seit den 80er Jahren propagiert der derzeitige sächsische
Ministerpräsident und ultraliberale Vordenker Kurt Biedenkopf die Abschaffung der Arbeitslosenunterstützung. Als verbleibende
sozialstaatliche Restgröße sei nur noch die (zu vermindernde) Sozialhilfe zu akzeptieren - das ist seine Vorstellung von einer
Grundsicherung.
Sein Freund Meinhard Miegel, mit dem zusammen er die Kommission
für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen betreibt, hält Vollbeschäftigung für eine sozialromantische
Utopie. Die "Wissensgesellschaft" könne nicht effizient existieren ohne die Spaltung der Gesellschaft in gutbezahlte
Wissensarbeiter, in Arbeitnehmer auf unattraktiven, d.h. gering qualifizierten und niedrig bezahlten Arbeitsplätzen und in Arbeitslose.
Niedriglohn hält er für eine Maßnahme zur Verbesserung der Beschäftigungslage in Deutschland. Damit aber für
weite Teile der Erwerbsbevölkerung eine Senkung des Lebensstandards und der Einkommen hinnehmbar wird, sei die Senkung der
Sozial- und Arbeitslosenhilfesätze eine Voraussetzung.
Der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer hält es
für falsch, Menschen über 50 noch einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt vermitteln zu wollen.
In der zweiten Jahreshälfte 1999 brachte die sächsische
Landesregierung daher ein "Pilotprojekt zur Auslotung und Erschließung von Aufgabenfeldern außerhalb der traditionellen
Erwerbsarbeit" auf den Weg. "Ausgelotet" werden soll die Bereitschaft von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern,
"freiwillig" Aufgaben "außerhalb der traditionellen Erwerbsarbeit" anzunehmen, was meint: Erwerbsarbeit wie
Sportplatzsanierungen, Museums- und Bibliotheksarbeiten, Sozialarbeit u.a. Sie werden mit einer minimalen Vergütung gelockt - genug,
damit sie einen Job überhaupt annehmen, und so wenig, dass sie damit niemals eine eigene Existenz aufbauen können.
Tauris ist ein Modellprojekt in der Erprobungsphase. Es richtet sich an
Langzeitarbeitslose, die in verschiedenen Arbeitsbereichen der Kommunen beschäftigt werden sollen. Was die Vergütung betrifft,
gibt es drei Modelle: Modell A sagt, es gibt keine Vergütung. Modell B sagt, es gibt 150 Mark im Monat zusätzlich zur
Stütze. Modell C sagt, es gibt einen Arbeitsvertrag mit einer Vergütung in Höhe der Arbeitslosenhilfe.
Erprobt wird derzeit das Modell B, wobei die Betroffenen für die
150 Mark maximal 14 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. dass ihnen Arbeitsplätze "außerhalb der traditonellen
Erwerbsarbeit" angeboten werden, bedeutet nicht, dass es hier keine Vollzeitarbeitsplätze zu tariflichen Bedingungen gäbe;
es bedeutet nur, dass die neuen Billiglöhner unter keine Regelung und Schutzmaßnahme des ersten Arbeitsmarkts mehr fallen: Es
gilt kein Kündigungsschutz, kein Unfallschutz, keine geregelte Arbeitszeit, natürlich kein Tarifvertrag.
Das Modell verabschiedet sich offen von der im
Arbeitsförderungsgesetz niedergelegten Verpflichtung, wonach das Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen die Reintegration in
den ersten Arbeitsmarkt ist. Das heißt, die Menschen, die sich zu solchen Maßnahmen melden, müssen arbeiten gehen,
obwohl sie nie mehr die Chance zu einem regulären Arbeitsverhältnis bekommen. Ihre Beschäftigungsaussichten sind nicht
besser als die derer, die zu Hause bleiben. Warum sollten sie solche Angebote also annehmen? Weil in Sachsen eine wachsende Zahl von
Menschen am Rande des bzw. unter dem sozialen und kulturellen Existenzminimum lebt.
Der Deutsche Caritasverband gibt in ein Deutschland gemäß
EU-Kriterien (50% des durchschnittlichen Nettoeinkommens eines Landes) mit 924 DM an. In Sachsen liegt es bei 868 DM, also 56 DM
darunter. 1997 lebten in Sachsen über 10% aller Haushalte (179200) in relativer Einkommensarmut. So verwundert es nicht, dass
Menschen auf das "Angebot" der Landesregierung mit der Bemerkung reagieren: "150 Mark sind für mich viel
Geld."
Die Landesregierung testet also aus, wie wenig sie ausgeben muss, um
Menschen zu einer Arbeitsaufnahme zu unwürdigen Bedingungen zu nötigen. Noch ist die Maßnahme deshalb freiwillig. Kein
Langzeitarbeitsloser ist gezwungen, das "Angebot" anzunehmen. Sollte die Regierung jedoch eine Schwelle finden, die eine
nennenswerte Zahl von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängerinnen attraktiv genug findet, um sich zur Arbeit (zum "Zubrot")
zu melden, würde in einem zweiten Schritt der Zwang einsetzen: Dann würde die Zahlung von Stütze davon abhängig
gemacht, dass Erwerbslose solche Jobs annehmen - und damit die Voraussetzung geschaffen, nunmehr die Sozialhilfe um eben diesen Betrag
abzusenken.
Das ist keine bösartige Unterstellung, sondern wird in einem Land
wie Belgien bereits so praktiziert: Dort haben Arbeitsämter 1994 angefangen, örtliche Beschäftigungsgesellschaften zu
gründen, deren Zweck es ist, Langzeitarbeitslose in schlecht bezahlte und ungeschützte Jobs zu vermitteln. Zunächst waren
dies auch hier Stellen bei den Gemeinden; inzwischen sind es aber zu 80% private Haushalte, die solche Arbeitskräfte nachfragen - als
Nachhilfe, Putzfrau, Boten, Schlepper von Einkäufen, Hilfen beim Heimwerken usw.
Die reichen Haushalte, für die diese neue Form der
Dienstbotengesellschaft geschaffen wird, dürfen diese auch noch von der Steuer absetzen! Anfangs war auch hier die Maßnahme
freiwillig. Mittlerweile ist es so, dass Langzeitarbeitslose (mehr als drei Jahre), die älter als 40 sind, zur Verfügung stehen
müssen, sonst droht ihnen der Entzug der Stütze.
"Die vornehmliche Zielsetzung von Tauris", erklärt der
Sprecher der Sächsischen Armutskonferenz, Ronald Blaschke, ist "Erkenntnisse über die Zusammenführung von
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu gewinnen". "Zusammenlegung" ist hier eine Umschreibung für die Abschaffung der
Arbeitslosenhilfe - was eines der dringendsten sozialpolitischen Ziele der Arbeitgeberverbände ist.
Im Rahmen dieser Zusammenlegung soll auch die gesetzliche
Möglichkeit abgeschafft werden, sich mit ABM oder einer Maßnahme nach dem Modell "Arbeit statt Sozialhilfe" ein
verbessertes Einkommen zu erarbeiten. Tauris ist der derzeit radikalste Ansatz in der BRD zur Schaffung eines parallelen Billigarbeitsmarkts,
Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und Senkung der Sozialhilfe.
Ganz nebenbei verspricht das Modell auch einen Finanzspritze für
die arm gemachten sächsischen Kommunen, die manchen Vollzeitarbeitsplatz liquidieren und durch fast kostenlose Arbeitskräfte
ersetzen können. Der soziale Druck ist so groß, dass auch Beschäftigungsgesellschaften und selbst der sächsische
Arbeitslosenverband dankbar zugreifen.
Die Landesregierung verkauft die Maßnahme als
Bewährungsprobe für Erwerbslose, mit der sie unter Beweis stellen könnten, dass sie nicht faul, sondern arbeitswillig seien.
Sie reiße die Menschen aus ihrer Lethargie und möbele Arbeitslose psychosozial auf - laut Blaschke alles
Sprechblasen.
Angela Klein