Sozialistische Zeitung |
Die "Weltausstellungsgegner wollen die Eröffnung der Expo verhindern", meldete die
Hannoversche Allgemeine Zeitung am 19.Januar. Auch der Verfassungsschutz äußert seit Wochen immer wieder seine Besorgnis
über das zunehmende Interesse linker Gruppen am Widerstand gegen die am 1.Juni beginnende Weltausstellung "Expo 2000"
in Hannover. Bei der Panikmache bleibt es nicht. In Tübingen und Hamburg gab es schon Razzien bei Expo-GegnerInnen. Beamte
beschlagnahmten Broschüren und Aufkleber. Anfang Mai wurde ein spezielles Gefängnis für Expo-GegnerInnen am
Flughafen von Hannover der Öffentlichkeit vorgestellt, das nach dem Ende der Weltausstellung als Abschiebeknast benutzt werden soll.
Allen behördlichen Warnungen und Maßnahmen zum Trotz
steckt der Widerstand gegen die Expo auch wenige Tage vor der Eröffnung des Mammutereignisses noch in den Anfängen.
Dafür haben sich die AktivistInnen im Vorfeld noch einmal kräftig über die richtige Widerstandsstrategie zerstritten.
Dabei gibt es mehr als ein Jahrzehnt Widerstand gegen die Expo. Schon
Anfang der 90er Jahre war die Weltausstellung Ziel einer linken Kampagne, die im Wesentlichen von regionalen Initiativen aus Hannover und
Umgebung getragen wurden. "Zu teuer, zu gigantisch, zu unökologisch", lauteten damals die Gegenargumente.
Höhepunkt der frühen Anti-Expo-Proteste war eine rechtlich
nicht bindende Postkartenaktion. Mitte Juni 1992 sprach sich eine knappe Mehrheit von 51,5% der Hannoveraner Bevölkerung für
die Expo aus. Daraufhin verebbte der Widerstand.
Vorbild Seattle?
Seit dem letzten Herbst ist die Expo in verschiedenen
Teilen der Linken wieder Thema. Ende Oktober 1999 versammelten sich in Hannover über 300 Menschen zum Bundeskongress der
entwicklungspolitischen Gruppen (Buko) unter dem programmatischen Titel "Perspektiven gegen die schöne, neue Expo-
Welt". Im Vergleich zum ersten Anti-Expo-Widerstand hat jedoch eine Akzentverschiebung eingesetzt. Nicht mehr die hohen Kosten
standen im Mittelpunkt der Kritik, sondern die Ablehnung der durch die Expo vermittelten technokratischen Ideologie.
Die Abschlusserklärung des Buko bringt den Argumentationsstrang
auf den Punkt: "Als Schaufenster des modernen Kapitalismus behauptet die Expo, es gäbe keine Alternative zur
marktwirtschaftlichen Globalisierung. Von den VerliererInnen der Globalisierung, von den gesellschaftlichen Ursachen sozialer Ausgrenzung
und Verelendung ist auf der ‚Zukunftsmesse keine Rede."
Dieser Argumentationsrahmen wurde auch von den Basis-AktivistInnen, die
sich in unregelmäßigen Abständen in Bielefeld und Hannover zu bundesweiten Vorbereitungstreffen versammelt haben,
aufgegriffen. Durch die erfolgreichen Proteste gegen die Welthandelskonferenz (WTO) letzten November in Seattle hat auch die Anti-Expo-
Bewegung Auftrieb bekommen. In zahlreichen Aufrufen und Flugblättern wird nun die Verbindung Seattle-Hannover gezogen.
Für den Expo-Widerstand hatten die AktivistInnen einen
ambitionierten Fahrplan ausgearbeitet. Schon einen Monat vor der Expo-Eröffnung sollte mit einem Global Action Day am 1.Mai der
Neoliberalismus international ins Visier genommen werden. Der letzte internationale Aktionstag dieser Art fand anlässlich der WTO-
Konferenz am 30.November 1999 statt. Doch auch dieses Mal gab es in Deutschland - im Gegensatz zu London und einigen
außereuropäischen Städten - nur wenig Resonanz auf den Aktionstag.
Dennoch rechnen die GegnerInnen mit einem bunten Treiben parallel zur
Expo-Eröffnung. "Die Expo wird nicht eröffnet", lautet das trotzige Motto der Protestbewegung am 1.Juni. Nicht eine
Großaktion, sondern viele nebeneinanderstehende sich gegenseitig ergänzender Aktionen soll es geben. Während die
Spaßfraktion nach dem Motto "Reclaim the Street" Straßenfeste organisieren will, plant die entwicklungspolitische
Zeitschrift Alaska am ersten Juniwochenende für die Theoretiker der Bewegung einen Strategiekongress über internationalistische
Perspektiven.
Streit um das Konzept
Ein auf dezentrale Aktionen ausgerichtetes Konzept war unter den Expo-GegnerInnen nie
unumstritten. Auf dem letzten bundesweiten Anti-Expo-Treffen Anfang Mai in Hannover kam es dann zum großen Konflikt. "Weil
die anstehende Woche nicht nur politisch ein Desaster zu werden droht, vielmehr um die Sicherheit der in mangelhaft organisierten Strukturen
anreisenden FreundInnen und GenossInnen gefürchtet werden muss, sehen wir uns als Teil der revolutionären, undogmatischen
radikalen Linken (und manche von uns eben als Autonome) gezwungen, über den Zustand des autonomen Expo-Widerstands in Hannover
aus unserer Sicht aufzuklären."
Diese dramatisch klingenden Sätze waren in einem Offenen Brief zu
lesen, der von drei linken Gruppen aus Hannover verteilt wurde und mittlerweile auch im Internet nachzulesen ist. Der Widerstand wird in dem
Papier schon verloren gegeben. "Das Potenzial der Expo für die Linke, die Verknüpfung der einzelnen notwendigen
gesellschaftlichen Kämpfe hatte keine Ausstrahlungskraft mehr, um zu einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zu kommen. Wir sind an
unserer Kraftlosigkeit gescheitert. Eine demonstrativ zur Schau gestellte Stärke ist Theater und unverantwortlich."
Dabei ist es wohl eine Premiere in der Geschichte der bundesdeutschen
Protestbewegungen, dass Teile des autonomen Spektrums zur Demonstration einige Tage vor Expo-Beginn aufrufen. "Kommt zur Demo
am 27.5. Alles andere überlegt euch gut", heißt es am Ende ihres Aufrufs. Bisher favorisierten die Autonomen immer direkte
Aktionen statt Großdemonstration im Vorfeld.
Noch heftigere Töne waren in der Hannoveraner Autonomenzeitung
razz (Zeitung für ein radikales Hannover) unter der Überschrift "Lachend gegen die Expo - tanzend in den Schwachsinn"
über Teile des Anti-Expo-Widerstands zu lesen. "Am 3.6. wird in Hannover eine Reclaim-the-Streets-Party stattfinden, wer noch
einen Funken verstand hat und diesen nicht aufs Spiel setzen möchte, sollte diesem Ereignis weitläufig fernbleiben." Es wird
sogar die Benutzung der linken Infrastrukturen aufgekündigt: "Wir fordern den Ermittlungsausschuss Hannover [der sich um
Festnahmen und Polizeirepression während der Aktionen kümmert] auf, weder Zeit noch Geld und Mühe in Bezug auf die
Reclaim-the-Streets-Party zu verschwenden."
Heftige Auseinandersetzung löste auch die von Teilen der Anti-Expo-
Szene anvisierte Zusammenarbeit mit den Chaos-Tage-Aktivisten aus. Zwischen der linken Szene Hannovers und den Punks gibt es seit Jahren
keine Zusammenarbeit mehr. Nach militanten Auseinandersetzungen zwischen Punks und Autonomen in dem besetzten Fabrikgelände
Sprengel in Hannover vor einigen Jahren gab es endgültig keine Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen den beiden Fraktionen.
Es waren dann auch vor allem die Hannoveraner AktivistInnen, die sich
jeglicher Kooperation mit dem Chaos-Tage-Spektrum erfolgreich widersetzten. Während so auf einige Bündnispartner freiwillig
verzichtet wird, sind andere nicht mehr bereit, gegen die Expo zu agieren.
NGO und Expo
Ein Teil der ehemaligen
AktivistInnen aus Umwelt- und der Internationalismusbewegung, die 1988 in Westberlin noch jeden Dialog mit IWF und Weltbank abgelehnt
hatten, sitzt heute als Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit im Expo-Boot. In den 90er Jahren begann der Aufstieg der
NGOs und ihrer den Protestbewegungen entstammenden Moderatoren. Als Durchbruch der NGO-Bewegung kann der Umweltgipfel von Rio
gelten, der unter dem Motto "Mensch - Natur - Technik" stand.
So lautet auch das Motto der Expo, was sicher nicht wenigen einstigen
Bürgerinitiativlern die konstruktive Mitarbeit erleichtert hat. So erklärte Misereor-Chef Reinhard Hermle, dass die Weltausstellung
mit dem Rekurs auf Rio und die Agenda 21 einen faszinierenden Ansatz habe und einen entwicklungspolitischen Kernpunkt treffe. Doch was die
Umsetzung betrifft, sind ihm mittlerweile Zweifel gekommen. "Das große Geld kommt von Gruppen, die Interesse haben, eine
industrielle Leistungsschau daraus zu machen."
Ernüchterung auch bei Hella Lipper von der Nord-Süd-
Initiative Germanwatch, die zur kritischen Beobachtung der Expo-Aktivitäten und Effektivierung ihrer Lobbyarbeit ein "Expo-
Watch-Büro" in Hannover eingerichtet hat. "Entschuldung, Sozialklauseln für die Wirtschaft oder Handelsfragen
werden bei der Expo völlig ausgeblendet. Die Auswirkungen unseres Lebensstil auf die Länder des Südens werden nicht
thematisiert", so lautet ihr kurzes, knappes Fazit.
Auch die PDS konnte sich bisher nicht zu einer klaren Stellungnahme gegen
die Weltausstellung durchringen. Anti-Expo-Aktivist Jörg Bergstedt wirft dem Parteivorstand vor, ein vom Institut für
Ökologie erarbeitetes Gutachten mit Argumenten gegen die Weltausstellung mit der Begründung, der Expo-Widerstand sei
unseriös, unter Verschluss genommen zu haben.
Die für die Expo zuständige PDS-Mitarbeiterin Gisela
Gremberg betont allerdings, dass eine Positionierung der Partei zur Expo noch erfolgen werde. Es habe längerer Diskussionsbedarf
bestanden. "Zwischen der Forderung nach sozialverträglichen Eintrittskarten und der Ablehnung des Expo als Leistungsschau des
Kapitalismus muss ein gemeinsamer Standpunkt gefunden werden", so Gremberg.
Neonazis wollen zur Expo
Während so die Anti-Expo-AktivistInnen manchen ehemaligen Mitstreiter auf der anderen Seite wissen, haben sich ungeliebte
Gesellen angesagt. Schon am 1.Mai wollte die neonazistische NPD in Hannover auf einer Demonstration unter dem Motto "Gegen
globalen Kapitalismus - für nationale Volkswirtschaft" gegen die Expo demonstrieren.
Nachdem der NPD-Aufmarsch am 1.Mai in Hannover verboten wurde, ist
noch nicht abzusehen, ob die Partei ihre Drohungen umsetzen wird. Auf den von dem Hamburger Neonazikader André Goertz
betriebenen Internetseiten des Nationalen Infotelefons heißt es ohne taktische Finessen: "Der Nationale Widerstand … wird unter
dem Motto ‚Den Feind ausmachen, öffentlich entlarven und angreifen! Der Neoliberalismus/Kapitalismus ist der Feind"
gegen die Expo agieren.
Die linken Expo-GegnerInnen haben schon reagiert.
"Emanzipatorischer Widerstand und sogenannter nationaler Widerstand schließen einander aus", schrieben sie in einer
Presseerklärung.
Peter Nowak