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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.11 vom 25.05.2000, Seite 13

Österreich

Schwarzblau nach hundert Tagen

Zum ersten Mal seit 1950 hat der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) eine "Betriebsräte-, Personalvertreter- und Jugendvertrauensleutekonferenz" einberufen. Mehr als 4000 GewerkschafterInnen nahmen an der Konferenz teil, die Zeichen standen ganz auf "Aktionismus", von Streik war allerdings nicht die Rede.
Die Organisation, die der FPÖVP-Regierung tatsächlich ein Ende bereiten könnte - der ÖGB mit seinen über eine Million Mitgliedern - taktierte in den letzten Wochen mit aller Vorsicht. Die Basis machte auf zahlreichen Betriebsversammlungen, z.B. bei den Eisenbahnern, deutlich, dass sie für Kampfmaßnahmen gegen die Regierung zu haben ist.
Doch die ÖGB-Spitze benutzt den Unmut der Kollegen vor allem dazu, der Regierung mit Drohgebärden zu imponieren. ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch kritisierte in einem Interview mit Österreichs größtem Boulevardblatt, der "Kronenzeitung", ausgerechnet am 1.Mai, die FPÖVP-Regierung sehe im Gewerkschaftschaftsbund einen Feind statt einen Verhandlungspartner. "Zurück zur Sozialpartnerschaft" lautet die Forderung der ÖGB-Führung an Regierung und Unternehmerverbände.
Der traditionelle "Maiaufmarsch" von SPÖ und ÖGB am 1.Mai in Wien wurde zu einer Machtdemonstration der Sozialdemokratie. 100000 Menschen folgten dem Aufruf der SPÖ, "gegen Schwarzblau" auf die Straße zu gehen. Entsprechend waren die Parolen und Transparente der DemonstrantInnen: Sie protestierten nicht nur gegen den Sozialabbau, sie forderten auch eine "Linkswende".
Großen Erfolg verzeichneten die Sozialdemokraten in den letzten Wochen auch bei den Wahlen zur Arbeiterkammer in mehreren Bundesländern: es gab Stimmenzuwachs bei den SPÖ- GewerkschafterInnen, Stimmenzuwachs auch bei den "Alternativen und Grünen GewerkschafterInnen", Stimmenrückgang bei den "Freiheitlichen Arbeitnehmern".

1000 Nadelstiche

Um der Stimmung an der Basis Rechnung zu tragen, rief der ÖGB zu einem Aktionstag am 16.Mai auf, mit dem sie eine "Politik der 1000 Nadelstiche" gegen die Regierung beginnen wollte. Auf vielen Straßen und Plätzen postierten sich Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit Transparenten, vor Spitälern warnten sie vor der Einführung einer Eigenbeteiligung.
Wenige Tage vorher machte der Vorsitzende einer der wichtigsten Gewerkschaften, der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, allerdings einen Rückzieher und sprach sich sehr positiv über das "Gesprächsklima" mit Bundeskanzler Schüssel aus.
Die FPÖVP-Regierung wirbelte in der Zwischenzeit nicht nur durch Haushaltsdebatten Staub auf. Mehr noch als über Einsparungen bei Zivildienstleistenden und Eigenbeteiligung im bisher für Beschäftigte weitgehend kostenlosen Gesundheitswesen diskutierte sie darüber, ob der Wiener FPÖ-Vorsitzende Hilmar Kabas den Bundespräsidenten Klestil als "Lump" bezeichnet habe oder nicht. Mit einer Frechheit, die sich kein Schüler leisten könnte, behauptete Kabas, er habe wahrscheinlich "Hump" oder "Dump" gesagt. Kurz davor war Kabas selbst zu einer äußerst wehleidigen und klagefreudigen "Zielscheibe der Kritik" geworden: Mit den Worten: "Wer Rassismus sät, wird Torten ernten!", wurde Kabas beim Auftritt auf einem Wiener Markt eine braune Schokoladentorte ins Gesicht geworfen.
Das "einfache FPÖ-Mitglied" Jörg Haider verschaffte sich Aufmerksamkeit mit der Forderung nach "Sanktionen für Politiker", die "dem Land nicht dienen". Ausgehend vom österreichischen Eiertanz um die EU-Sanktionen griff Haider wieder tief ins nazistische Sprachrepertoir und ortete "Hochverrat". Tatsächlich ist es der Regierung gelungen, die "Sanktionen der EU" in ein nationalistisches Propagandainstrument zu verkehren; Umfragen ergaben, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung gegen die Sanktionen aussprechen. SPÖ und Grüne zogen daraus den Schluss, sich als die "besseren" Außenpolitiker zu präsentieren, die die Sanktionen "wegverhandeln".
Die Widerstandsbewegung auf der Straße lebt weiter. Nach wie vor demonstrieren jeden Donnerstag tausende von Menschen in Wien gegen die Regierung. Es entstehen Komitees, kleinere Widerstandsaktionen finden mehrmals in der Woche statt. Die große Schwäche der Bewegung liegt darin, dass sie nur geringe Verbindung zum ÖGB hat und darauf "warten" muss, ob die Gewerkschaft ihren Widerstand zuspitzt. Die Bewegung ist auch in erster Linie auf Wien beschränkt, allenfalls gibt es noch Aktionen in den Landeshauptstädten.

Widerstand bremst "Reformen"

Die "100-Tage-Bilanz" der Regierung ist in erster Linie für die Arbeitenden erschütternd, selbst die Presse nennt sie die "Verlierer". Gleichzeitig ist erkennbar, dass die Regierung in einigen ihrer "großen Reformvorhaben", etwa die Rentenreform, vor allem durch Drohungen des ÖGB gebremst wurde; solche Vorhaben hat sie nun aufgeschoben. Vorerst hat sie auch die Bekämpfung der Arbeiterkammern durch einschneidende Mittelkürzungen nicht umgesetzt. Die Zerschlagung der Tarifverträge ist - noch - eine Drohung. Der Haushalt, den sie vor wenigen Tagen gegen die Stimmen der SPÖ und der Grünen beschlossen hat, sieht Steuer- und Gebührenerhöhungen vor: die KfZ-Versicherungssteuer wird angehoben, die Ausstellung von Reisepässen wird teurer, ebenso der Strom.
Dem stehen Einsparungen bei Zivildienstleistenden gegenüber, die vor allem Non-Profit-Organisationen hart treffen werden. Vermutlich zielt die Regierung genau darauf ab, denn in Flüchtlingsbetreuungseinrichtungen, Frauenprojekten, Obdachloseninitiativen usw. sammelt sich ein regierungskritisches Potenzial.
Die Arbeiterkammer hat errechnet, im neuen Haushalt gingen Einsparungen und Steuererhöhungen in Höhe von umgerechnet 2 Milliarden Mark allein auf Kosten der Lohnabhängigen; dem stünden 3 Milliarden Mark gegenüber, von denen allein die Unternehmer profitierten. Unter anderem werden die Lohnnebenkosten gesenkt, Steuern für Werbung und Mietzinseinnahmen abgeschafft.

EU: Noch mehr sparen

Trotzdem handelte sich Österreich erneut einen Rüffel der Europäischen Union ein. Doch diesmal wurde die FPÖVP-Regierung dafür getadelt, dass die Sparmaßnahmen nicht ausreichend wären. Umgehend nutzte Kanzler Schüssel die Kritik, um zukünftige Einsparungen und Verschlechterungen des Lebensstandards der EU in die Schuhe zu schieben. So verwundert es kaum, dass in der österreichischen Bevölkerung, die einst mit Zweidrittelmehrheit für den Beitritt zur EU stimmte, die Anti-EU-Stimmung wächst. Allerdings geht diese Haltung mit einer nationalistischen Tendenz einher, für die sich die FPÖ weiterhin als Sammelbecken anbietet.
Auch nach dem offiziellen Rücktritt Haiders als Parteiobmann gibt sich die FPÖ als politisch treibende Kraft der Regierung. Bundeskanzler Schüssel atmet zwar auf, weil die FPÖ nicht mehr "alle populären Strömungen besetzen" kann, allerdings agiert die FPÖ nach wie vor sehr eigenständig und ohne Rücksichtnahme auf den Koalitionspartner.
In vielen Fragen hat sie und auch Jörg Haider jedoch an Charisma verloren. Dass sie die abhängig Beschäftigten in Scharen zur Sozialdemokratie zurücktreibt, ist ihrer Mitverantwortung für den Sozialabbau und den vielen gebrochenen Versprechen zuzuschreiben. Aber in der Haltung zur Europäischen Union und zur Immigration weiß sich die FPÖ mit ihrer traditionellen Wählerklientel eins.
Diese beiden Themen wurden zum Schwerpunkt der FPÖ-Politik, sie betreibt wie erwartet die nationalistische und rechtsextreme Propaganda nun von der Regierungsbank aus. Der ÖVP, die die Sympathie der EU-freundlichen Unternehmer nicht verlieren darf, sind die Hände gebunden.
Die Medien machen zwei "Flügel" in der FPÖ aus: Mit Vizekanzlerin Rieß-Passer und Finanzminister Grasser hätte die FPÖ eine Vorsitzende und ein wichtiges Regierungsmitglied, die "unbedingt in der Regierung" bleiben wollten und daher auch zu ideologischen Konzessionen bereit wären; die Getreuen um Haider und er selbst, der "jederzeit wieder auftauchen" könnte, stünden hingegen dafür, dass die FPÖ sich als starke rechtsextreme Partei neben der ÖVP profilieren würde.
Es wäre jedoch völlig verfehlt, auch nur anzunehmen, es gebe derzeit eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Flügeln. ÖVP-Kanzler Schüssel macht es dem Koalitionspartner leicht, als rassistische, rechtsextreme Partei in der Koalition zu bleiben, indem er sämtliche halbherzigen Distanzierungsversuche und "Entschuldigungen", wie sie von der FPÖ und Haider seit langem bekannt sind, in der Öffentlichkeit als "Kurswechsel" rechtfertigt.
Abfällig bezeichnete deshalb Jörg Haider beim FPÖ- Parteitag, auf dem Vizekanzlerin Rieß-Passer den Parteivorsitz übernahm, die Koalition als "Susi und Strolchi". Kanzler Schüssel ließ sich auch diese Frechheit gefallen und schenkte "seiner" Vizekanzlerin im Ministerrat ein Comic- Heft.

Boris Jezek (Wien)


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