Sozialistische Zeitung |
Nach 42 Tagen ohne Nahrungsaufnahme hat der tunesische Journalist Taoufik Ben Brik am Montag dieser
Woche seinen Hungerstreik abgebrochen. Das Regime des Generals und Staatspräsidenten Ben Ali hatte zuvor nach und nach und unter
erheblichem internationalem Druck seinen wichtigsten Forderungen nachgeben müssen. Damit ist dem bisher mit beinahe absoluter Macht
herrschenden Regime erstmals durch Oppositionelle eine spürbare politische Niederlage zugefügt worden.
"Der letzte freie Journalist" im Land, wie die Pariser
Abendzeitung Le Monde Ben Brik nannte, hatte dem seit Jahren auf ihm lastenden Druck nicht nachgegeben. In tunesischen Medien hatte er
ohnehin seit 1990 Schreibverbot. In dem nordafrikanischen Polizeistaat, auf dessen Boden sämtliche gedruckten, audiovisuellen und
elektronischen Medien einer nahezu perfekten Gleichschaltung unterliegen, wird selbst das Internet effektiv überwacht und zensiert.
Aber als Korrespondent für die französische, katholische
(Mitte-Links-)Tageszeitung "La Croix" und zwei europäische Nachrichtenagenturen - Infosud und Syfia - suchte Ben Brik
weiterhin der Welt draussen zu berichten, was in Tunesien vor sich ging. Über die Agenturen gelangten seine Texte auch in renommierte
europäische Presseorgane wie die "Neue Zürcher Zeitung" und den französischen "Courrier
international".
Es hat Ben Brik nicht geschützt. Anfang April dieses Jahres erhoben
die tunesischen Behörden wegen zwei seiner (in der Schweiz und in Frankreich publizierten) Artikel Klage - sie orteten die
Straftatbestände "Verbreitung falscher Nachrichten in der Absicht, die öffentliche Ordnung zu stören" und
"Diffamierung von Staatsorganen". Dafür drohten Ben Brik sechs Jahre Haft. Zugleich trafen ihn die üblichen
Schikanen, die gegen zahlreiche weniger prominente KritikerInnen des Regimes ohnehin gang und gäbe sind: Sein Ausweis wurde
eingezogen, seine Telefon- und Faxlinie wurde abgestellt. Daraufhin trat Ben Brik am 3.April in den Hungerstreik.
Nach drei Wochen wurde er am 25.April in die (private) Klinik Saint
Augustin eingeliefert, wo man ihn aber nicht in Ruhe ließ. Zwei Polizisten in Zivil griffen ihn an seinem Krankenbett körperlich an,
während einer der betreuenden Ärzte von den Zivilbeamten in ein Auto gezerrt und 15 Kilometer ausserhalb von Tunis ausgesetzt
wurde. Am folgenden Tag wurde Ben Briks Wohnung, in die er zurückgebracht worden war, von 300 Polizisten umstellt.
Französische und Schweizer Journalisten sowie tunesische, linke und
Menschenrechtsaktivisten wurden von Polizisten gewaltsam am Zutritt zu seinem Domizil gehindert, mehrere von ihnen geschlagen. Ben Briks
Bruder Jellal wurde verhaftet. Namhafte Aktivisten, darunter die Verlegerin Ben Sédrine, wurden im Anschluss auf der Polizeiwache
schwer misshandelt und tragen bis heute die Spuren von Schlägen und Folter.
Angesichts wachsenden internationalen Drucks sah die Regierung sich
gezwungen, einen Teilrückzieher zu machen. Am 30.April erhielt Ben Brik seinen Pass zurück, zugleich wurde das Ausreiseverbot
gegen ihn aufgehoben. Dafür wurde sein Bruder Jellal, der bei den Auseinandersetzungen am 25.April festgenommen worden war, blieb
in Haft. In der ersten Maiwoche wurde er zu drei Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt, wegen "Aggression gegen
Sicherheitsbeamte". Für Jellal Ben Brik, der unter Klaustrophobie leidet, stellte dies eine ernsthafte Bedrohung seiner Gesundheit
dar.
Im vergangenen Oktober war Jellal schon einmal verhaftet worden, wegen
Zugehörigkeit zur verbotenen (trotzkistischen) Revolutionären Kommunistischen Organisation. Damals, sagt sein Bruder Taoufik
Ben Brik, hätten die Polizisten ihm dessen Freilassung angeboten, unter der Bedingung: "Wenn du nicht über die
Präsidentschaftswahl schreibst." Im selben Monat wurde Präsident Ben Ali mit 99,5% der Stimmen "wieder
gewählt". Mit Unterstützung seines Bruders, schrieb der Journalist dann doch über das Ereignis, ohne ein Blatt vor den
Mund zu nehmen. Nun müsse Jellal für sein Nichtstillhalten büßen.
Für Ben Brik stellte "der Knochen, den man mir in Gestalt
meines Passes dafür hinwirft, dass ich meinen Bruder fallenlasse", eine schlimme Beleidigung dar. Trotz beginnender
Beeinträchtigungen seiner Gesundheit und der Gefahr dauernder neurologischer Schäden setzte er seinen Hungerstreik deshalb fort
- vor allem, um die Freilassung seines Bruders zu erreichen. Am 4.Mai reiste er nach Paris aus, auch, um die Verantwortung der früheren
Protektoratsmacht Frankreich als Hauptstütze des tunesischen Regimes, zu unterstreichen. Die am Flughafen versammelte Presse hatte
erwartet, den hungerstreikenden Journalisten auf einer Bahre hereingetragen zu sehen. Aufrecht betrat er jedoch das Flughaufengebäude.
Danach wurde er in das Pariser Krankenhaus La Salpetrière gebracht.
Am letzten Montag sah das Regime Ben Ali sich schliesslich gezwungen,
die Freilassung des inhaftierten Jellal Ben Brik zu verkünden. Am selben Nachmittag brach Taoufik Ben Brik seinen Hungerstreik ab,
nach sechs Wochen Dauer. Das bis dahin als unbesiegbar geltende Regime hat durch diese Ereignisse erhebliche Risse
bekommen.
Bernhard Schmid (Paris)