Sozialistische Zeitung |
Am 25.Jahrestag der Eröffnung der Stammheimer Strafprozesse gegen die Führungsriege der Roten
Armee Fraktion (RAF) lässt die Süddeutsche Zeitung eine lang verstummte Stimme aus dem Off erklingen. Horst Herold, 1971-
1981 Präsident des Bundeskriminalamts, darf auf zwei Seiten den "Terrorismus" der 70er Jahre analysieren.
Und siehe da: ihn treibt immer noch der alte Wahnwitz. Einerseits
gebildeter Sozialdemokrat legt er eine wunderschöne Analyse der politischen und sozialen Schwächen der RAF vor, die in
wenigen Absätzen präziser und politischer ist als hunderte von Bänden mit der bekannten Mischung aus naiver Sympathie
und moralischer Hemmung gegenüber kleinbürgerlich-terroristischen Taktiken der Linken.
Sie mündet in den anerkennenden Worten: "Heute gelesen,
nahmen die Schriften von Ulrike Meinhof die Einsicht in die singuläre Größe der NS-Verbrechen voraus, die die deutsche
Gesellschaft erst sehr viel später nach dem Tode der Meinhof in schmerzhaften Lernprozessen gewann. Die in den 90er Jahren von den
Resten der RAF aufgestellte Behauptung, sie habe stets in der Tradition des kämpferischen Antifaschismus gestanden, traf indessen nie
zu, weil die Einsicht der Gruppe nicht weiter als die der Gesellschaft reichte."
Andererseits träumt der Vater aller Rasterfahnder immer noch von
verpassten Möglichkeiten seiner Zeit. Die RAF wäre nur durch Sympathisantenszene und Medien erzeugt worden. Hätten alle
überwacht und die Presse zensiert werden dürfen, dann wäre sie schnell verschwunden. Heinrich Böll und seinem viel
zitierten Wort von den "Sechs gegen 60 Millionen", mit der er die Relationen zurechtrücken wollte, antwortet Herold allen
Ernstes, es wären nicht sechs sondern 60 UntergrundkämpferInnen gewesen.
Und die wären sofort ertappt worden, wenn er damals so gedurft
hätte wie er konnte. Damals entwickelte er seine "Sonnenstaatsfantasien", in der die Polizei so viel und so rechtzeitig
über die Menschen Informationen sammelt, dass sie eher am Tatort ist als der Täter.
Dass alles zu wissen und zu speichern ungefähr gleichbedeutend ist
mit gar nichts zu wissen, könnte Herold an den Erfahrungen seines Amtskollegen Mielke im zweiten deutschen Staat nachvollziehen.
Stattdessen treibt ihn die Geschichte der DDR und der osteuropäischen nichtkapitalistischen Staaten zu einer neuen, verblüffenden
Kombination von Wahn und erfrischender Analyse:
"Schon immer hatte der historische Erklärungsversuch auf das
geschichtliche Material verwiesen, das alle bisherigen Terrorismusformen als Präludium, Signal, Ankündigung von tief greifenden
Veränderungen vom Ausmaß eines Bebens erklärt. Aber nur selten ist diese Einordnung historisch so eindeutig
bestätigt worden wie durch die weltgeschichtlichen Umbrüche des Jahres 1989, die der Aktionszeit des deutschen Terrorismus
folgten. Unter dem spontanen Aufbruch ihrer Bürger verschwand die DDR von der Landkarte. Der Kommunismus ging beinahe über
Nacht und ohne äußeren Anstoß zu Grunde."
Liebe Leute von der RAF: ihr ward eine spießig-linksradikale Sekte,
deren politische Analyse und Strategie so falsch waren wie die angewandte Taktik und Mittel, aber dass eure Aktionen oder gar euer
späteres Exil in der DDR diese zu Tode getrieben haben, ist schon starker Tobak.
Doch dann kommt wieder so eine schöne Schlussfolgerung, die uns
den Herold noch ein langes Leben wünschen lässt: "Hatten diese Veränderungen zunächst noch die Hoffnungen
genährt, die Welt könne sich einer gesitteten Zivilgesellschaft nähern, so fielen mit dem globalen Sieg des Kapitalismus auch
dessen soziale Fesseln, die ihm die bloße Existenz der anderen, sich auf den Sozialismus berufenden Welthälfte auferlegt hatte. Zur
Stunde ist ungewiss, ob die ‚Globalisierung, die diesen Neuen Kapitalismus beschreibt, Segen sein wird oder Fluch. Sicher ist nur, dass
der Zusammenbruch des Kommunismus in seinem ursprünglichen Machtbereich, aber auch weltweit die Probleme hinterlässt, die
einst zu seiner Entstehung führten."
Wo er Recht hat, hat er Recht.
Thies Gleiss