Sozialistische Zeitung |
Nach dem Erfolg von Buena Vista Social Club von Wim Wenders hat eine weiterer Film über
kubanischen Son einen Verleiher in der BRD gefunden: Lágrimas Negras (Schwarze Tränen) von der niederländischen
Filmemacherin Sonia Herman Dolz. Die Stars diese Films sind die alten Herren der Kapelle Vieja Trova Santiaguera.
Der Film ist älter als der von Wim Wenders. Er wurde bereits im
Jahr 1997 fertig gestellt. Er war bisher aber nur auf Festivals und sehr selten in Programmkinos zu sehen. Nun ist er regulär in den Kinos
angelaufen.
Wenn man den Film von Wenders kennt, wird klar, warum die
Dokumentation von Dolz so viele Schwierigkeiten hatte in die Kinos zu kommen. Während Wenders viele europäische Klischees
über die Karibik bedient und mit Vorliebe immer wieder alte Autos aus den 60ern vor den zerfallenden Häusern Havannas zeigt,
teilt Lágrimas Negras mehr über die soziale Wirklichkeit Kubas mit.
So erfahren wir, dass die MusikerInnen am Anfang der 60er Jahre zu
Staatsangestellten gemacht wurden, was sie nicht an der Entfaltung ihrer Kreativität hinderte, aber ihre materielle Existenz sicherte.
Entgegen westlichen Klischeevorstellungen muss nämlich staatliche Existenzfürsorge im Realsozialismus nicht zwangsläufig
Bevormundung bedeuten.
Sie kann - zumindest in Kuba - auch Kreativität freisetzen, da die
KünstlerInnen von der Sorge um ihre materielle Existenz befreit werden und sich so ganz der Musik widmen können.
Das Ergebnis ist durchaus eindrucksvoll. Die fünf alten Herren der
Vieja Trova Santiaguera - der älteste ist weit über 80, der "Benjamin" 62 - strahlen eine erfrischende Vitalität
aus und machen wundervolle Musik. Die Texte sind allerdings nicht sehr anspruchsvoll, sondern behandeln das altbekannte Herz-Schmerz-
Thema.
Wir sehen außerdem Straßenszenen, die zeigen, dass die
KubanerInnen zwar nicht reich aber auch nicht so verelendet wie viele andere LateinamerikanerInnen sind. Wir sehen eine 1.Mai-
Demonstration, die sich in ihrer Lockerheit angenehm sowohl von den zackigen Aufmärschen in der früheren DDR und UdSSR als
auch von den piefigen DGB-Spaziergängen hierzulande unterscheidet.
Wir sehen auch, dass der Son in Kuba nicht nur von alten Männern
sondern auch von der kommunistischen Jugend und den Jungen Pionieren gepflegt wird. Zwölfährige Steppkes, die - mit rotem
Halstuch - voller Inbrunst von Herz, Schmerz und Liebesleid singen, dürften außerhalb Kubas ziemlich selten sein.
Auch über Machismo erfahren wir einiges, wenn die alten Son-
Musiker so ihre Ansichten über Frauen kundgeben. Auch scheint es bei Vieja Trova Santiaguera zum guten Ton zu gehören, gleich
mit mehreren Frauen Kinder zu zeugen, worüber sie recht freimütig berichten.
Wir begleiten die Mitglieder der Band auch nach London, wo sie im
Doppeldeckerbus Sightseeing machen und ehrfürchtig am Grab von "Carlos" Marx stehen, zu dem ihnen aber nicht mehr
einfällt, als dass er ein großer Sohn des Weltproletariats gewesen sei.
Die Kamera bleibt stets auf Distanz. Sie berichtet mit Sympathie über
Land, Leute, Politik und - vor allem - Musik in Kuba, ohne irgendetwas zu idealisieren.
Während sich der Genuss an Wenders Film darauf
beschränkte, dass man bei schöner Musik eine Weile die Seele baumeln lassen konnte, erfährt man in Lágrimas
Negras zusätzlich noch etwas über Kuba und bekommt Lust noch mehr über dieses karibische Experiment in Sachen
Sozialismus zu erfahren, das hoffentlich noch nicht gescheitert ist.
Andreas Bodden