Sozialistische Zeitung |
Wie Europa die Wirtschaftsmacht USA attackiert", zeigt der Spiegel auf. Er beginnt damit, dass
"wahnwitzige Wirtschaftswunder" darzustellen, mit dem Amerika sowohl militärisch als auch ökonomisch
"unschlagbar" Sieger der Globalisierung wurde:
Die Arbeitslosigkeit beträgt gerade mal noch 4% - nicht einmal halb
soviel wie in Euroland. In den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres wuchs diese Turboökonomie mit 7,3% - mehr als doppelt so
schnell wie die Wirtschaft in der alten Welt.
Die Amerikaner sind einem Konsumrausch verfallen, der geradezu
religiös anmutet. Sie plündern die Regale der Kaufhäuser, pumpen ihr Geld in Aktien und tragen fast schon penetrant ihren
Wohlstand zur Schau: Jets für die Superreichen, Porsche für die Reichen und Eigenheim samt Dienstmädchen für
Millionen Mitglieder der Oberschicht.
Selbst die Regierung in Washington schwimmt inzwischen in Geld. Wenn
keine Rezession dazwischen kommt, wird der Haushaltsüberschuss in den nächsten zehn Jahren auf über 2 Billionen Dollar
wachsen.
Es wird nicht unterschlagen, dass zwei Dinge die "Partylaune
trüben":
Längst nicht alle Bevölkerungsschichten nehmen am neuen
Wohlstand teil - der Boom der letzten Jahre hat die Kluft zwischen Arm und Reich immer weiter wachsen lassen. Das Einkommen der
Mittelschichten ist in dieser Zeit kaum gestiegen und viele Niedriglöhner brauchen einen Zweit- oder gar einen Drittjob, um sich und
ihrer Familien zu ernähren.
In der Tat taugt das unsoziale Amerika, in dem Armut und Gewalt
grassieren und die Todesstrafe vollstreckt wird auch nach all den Boomjahren nicht zum bedingungslosen Vorbild. Niedrige
Mindestlöhne, entmachtete Gewerkschaften und ein Sozialstaat, auf den bis heute kein Verlass ist, schrecken ab.
Deshalb plädiert der Spiegel für einen Kapitalismus mit
menschlichem Antlitz:
Europa muss eine soziale Alternative bieten. Wettbewerb ja, aber nicht die
totale Konkurrenz. Leistung soll sich lohnen, aber wer keine bringen kann, darf deshalb nicht hungern, nicht frieren, muss ein anständiges
Leben auch jenseits von Produktionsziffern führen dürfen.
Besorgt wird jedoch festgestellt, dass der Boom an der Börse vorerst
vorbei ist, die Kurse scheinbar unaufhaltsam sinken, "selbst ein Crash nicht ausgeschlossen ist. Der würde die US-Wirtschaft weit
härter treffen als die europäische: Die Amerikaner müssten ihren Konsum drastisch einschränken, die Unternehmen
würden weniger verdienen. Die Folge wäre eine Rezession, aus der sich die Nation nur mühsam herausarbeiten
könnte."
Der nächste Abschwung wird vor allem jene hart treffen, die schon
vom Aufschwung nicht profitiert haben. Denn den Amerikanern ist es nicht gelungen, den neuen Wohlstand auf die breiten Massen zu verteilen.
Die Gesellschaft ist härter und ungerechter als je zuvor. Vom Boom profitierten vor allem die Spitzenverdiener. Ein Unternehmensboss
kassiert 400 mal so viel wie sein Arbeiter, vor zwölf Jahren war es nur 40 mal so viel.
Die Armutsrate, die wenig über tatsächliche Armut, aber viel
über die Spreizung der Gesellschaft aussagt, liegt über dem Niveau der 70er Jahre.
Obwohl mittlerweile die Hälfte der Amerikaner Wertpapiere besitzt,
ging der Großteil der Kursgewinne an die oberen 5% der Haushalte. Rund 700 neue Millionäre werfen die Wall Street und Silicon
Valley täglich aus, doch die breite Mittelklasse schwelgt mitnichten im Luxus.
Nun ist eine Tatsache, dass die Wachstumsrate der europäischen
Wirtschaft die der USA nicht nur einzuholen, sondern sogar zu überholen beginnt. Ist es aber wirklich möglich die
"Schattenseiten des US-Booms" zu vermeiden? Kann ein Crash des Casinokapitalismus in Europa dank der
"europäischen Tradition des Wohlfahrtsstaats" auf Dauer verhindert werden? Oder wiederholt sich im Westen zwangsweise,
was im Osten Rudolf Bahro sarkastisch der Bürokratie unter die Nase rieb: "Ihr sagt einerseits der Kapitalismus geht einem Abrund
entgegen. Andererseits aber: wir müssen ihn einholen und überholen."
Ist Europa dabei, die globale Überlegenheit der USA einzuholen, ja
zu überholen, um schließlich selbst im Crash zu landen?
Jakob Moneta