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Die "rot"-grüne Regierungskoalition will in Zukunft die Renten massiv senken. Dies geht aus
den Plänen hervor, die nach einer Klausurtagung der Sozialpolitiker unter Walter Riester veröffentlicht wurden.
Die Sozialrenten sollen nach 2001 durch einen steigenden Betrag von bis zu
4% des Bruttolohnes für die private Eigenvorsorge ergänzt werden. Diese Eigenbeiträge sollen für eine
kapitalgedeckte Altersvorsorge dienen - die daraus ab 2020 folgenden Renten unterliegen also dem Kapitalmarktrisiko. Dafür sollen vor
allem die Beiträge der Arbeitgeber unter 10% gehalten werden, während wenig Verdienende einen staatlichen Zuschuss zu dem
Beitrag in die private Anlageform erhalten sollen.
Im Ergebnis müssen die heutigen jungen Beitragszahler, die in etwa
dreißig Jahren in Rente gehen, mit Kürzungen bei den Sozialrenten von 400 bis 1600 Mark rechnen.
Dazu kommt eine Neuberechnung des Nettoeinkommens, nach denen sich
die Rentenerhöhungen ab 2002 richten sollen, mit dem Ergebnis, dass auch die laufenden Renten deutlich weniger erhöht werden
als nach altem Recht.
Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Engelen-Kefer kritisierte nach
Bekanntwerden der "rot"-grünen Pläne die Ergebnisse. Die Leidtragenden seien Geringverdiener, deren Renten massiv
gedrückt würden. Das Rentenniveau würde bis 2030 auf 63% von heute 69% fallen.
Seit etwa einem Monat ist das "Memorandum 2000" in der
Öffentlichkeit. Dieses alternative Wirtschaftsgutachten der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik" (Memo-Gruppe)
kommt jedes Jahr heraus, um sich kritisch mit der offiziellen Wirtschaftstheorie und -politik auseinander zu setzen.
Auch in diesem Jahr ist ein kleines Buch daraus geworden, das sich kritisch
mit der Riesterschen Rentenreform befassen.
Unter der Überschrift "Belastung der Arbeitnehmer und Rentner
und Entlastung der Unternehmer" heißt es:
"Leitlinie rot-grüner Rentenpolitik ist augenscheinlich nicht
mehr die Aufrechterhaltung der lebensstandardsichernden Funktion der gesetzlichen Rentenversicherung für sog.
Standarderwerbsbiografien, sondern das ideologische Diktat der Beitragssatzsenkung bzw. -stabilisierung. diesem Diktat werden im Rahmen
der Rentenreform 2000 alle anderen Ziele untergeordnet. Im Ergebnis bewirkt eine solche Politik die zunehmende Privatisierung der sozialen
Sicherung bei Erwerbsminderung, im Alter und im Hinterbliebenenfall sowie eine Kostenentlastung der Arbeitgeber, die damit zudem ihrem
Ziel einer Reduktion der gesetzlichen Rente auf ein Basissicherungsniveau einen entscheidenden Schritt näher kommen
dürften."
Zur Aussetzung der Netto-Anpassung 2000 und 2001:
"Die Rentenpolitik der alten Bundesregierung kann zurecht und aus
vielerlei Gründen kritisiert werden; dass aber die Rentensteigerungen häufig unter der Inflatuionsrate lagen, war nicht politischer
Anpassungswillkür geschuldet, sondern ist einzig und allein das Ergebnis entsprechend niedriger Nettolohnsteigerungen. Hierbei waren
die Reallohnverluste der 90er Jahre zweifellos auch Ergebnis einer verfehlten Abgabenpolitik der Kohl-Regierung. ausgerechnet aber zu dem
Zeitpunkt, zu dem die Nettolöhne und -gehälter wieder stärker steigen als die Inflationsrate, werden die Renten von der rot-
grünen Koalition zum Zwecke der Haushaltssanierung von der Lohnentwicklung abgekoppelt und auf einen vermeintlichen
‚Inflationsausgleich verwiesen. Eine solche Rente nach Kassenlage … durch den Bruch mit dem Prinzip der Nettolohnorientierung
(führt dazu, dass) die Absoluthöhe der Renten zudem für die nächsten rund 10 Jahre deutlich stärker gesenkt, als
dies unter Beibehaltung des demografischen Faktors der Fall gewesen wäre."
"Nicht ohne Pikanterie ist auch der Umstand, dass ausgerechnet
diejenigen, die in den vergangenen Jahren nicht müde wurden, vehement die Schließung der durch unstete Erwerbsverläufe -
vor allem bedingt durch Arbeitslosigkeit - aufgerissenen Lücken in der Alterssicherung zu proklamieren*, mit dem
Haushaltssanierungsgesetz (HSanG) ihren ganz eigenen Beitrag dazu geleistet haben, dass diese Lücken künftig noch
größer ausfallen. So werden die Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose statt nach 80% des
Bemessungsentgelts seit Jahresbeginn nur noch nach der tatsächlichen Zahlbetragshöhe der Arbeitslosenhilfe bemessen.
Gegenüber dem bisher geltenden Recht beläuft sich der damit bewirkte monatliche Rentenverlust pro Jahr Arbeitslosenhilfebezug
auf zwischen über 40% und fast zwei Drittel."
"Grundrente statt Mindestsicherung … Es wäre allerdings eine
völlige Zielverkehrung, wenn die Einführung der sozialen Grundsicherung missbraucht würde zur Rechtfertigung des
weiteren Abbaus bislang beitragsgedeckter Leistungen, wie dies bei Bezug von Arbeitslosenhilfe bereits heute geschieht … Eine
Grundsicherung, die bisher beitragsfinanzierte Leistungen ersetzt, mutiert auf Perspektive unweigerlich zur Grundrente, die - statt einer
Lebensstandardsicherung für viele - nur noch Sozialhilfeniveau für alle vor Augen hätte."
Zur Umfinanzierung von Renten durch die Ökosteuer schreiben die
Autoren, die "Erhöhung des Bundeszuschusses" ist "aus verteilungspolitischen Gründen … nur vertretbar, wenn
sie aus dem (zu erhöhenden) Aufkommen an direkten Steuern erfolgt. Die alte wie auch die neue Bundesregierung sind
demgegenüber den verteilungspolitisch problematischen Weg über die Erhöhung indirekter Steuern gegangen … Die durch
die Umfinanzierung bewirkte Entlastung der Beitragszahler zur Rentenversicherung (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) beläuft sich im Jahre
2000 auf insgesamt 35 Mrd. DM (2003 gut 50 Mrd. DM); dies entspricht dem gegenwärtigen Aufkommen von etwa 2,2 (3,3)
Beitragspunkten.
"Die Finanzierung dieser Entlastung auf der Beitragsseite erfolgt
über allgemeine Verbrauchssteuern (Mehrwertsteuer, Ökosteuer). Diese Verbrauchssteuern aber belasten die Arbeitnehmer und
Rentner sowie deren Familien - und nicht die Arbeitgeber; schon heute finanzieren also Arbeitnehmer und Rentner die Beitragsentlastung der
Arbeitgeber im Umgfang von rund 1,1 bzw. 1,6 Beitragspunkten."
"Einig sind sich … alle an den Rentenkonsensgesprächen
Beteiligten in dem Ziel, die private kapitalgedeckte Vorsorge zu stärken. … Eine obligatorische Privatvorsorge aller ArbeitnehmerInnen
würde über den Rückkoppelungsprozess der (dadurch geminderten) Nettolohnanpassung … dazu führen, dass die
Absoluthöhe der Rente … mittel- bis langfristig auf fast genau jenen Wert gedrosselt würde, den schon die alte Koalition … im
Auge hatte.
Die (mit) Einführung eines alleine von den ArbeitnehmerInnen zu
finanzierenden privaten Kapitalvorsorgebeitrags … bezweckte Wirkung wäre vergleichbar einer im Umfang entsprechenden
Erhöhung des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung."
Unter Berücksichtigung der oben genannten Rentenkürzung
kommen die Memorandum-Autoren zum Ergebnis (S.92): "Spätestens an dieser Stelle entpuppt sich der Charakter einer
vermeintlich zusätzlichen kapitalgedeckten Privatvorsorge: Nicht Ergänzung der sozialen Alterssicherung, sondern - weil alleine
von den ArbeitnehmerInnen finanzierter - teurer Ersatz für bislang paritätisch finanzierte und jetzt gekürzte Leistungen der
sozialen Rentenversicherung. Einen solchen Effekt bergen im übrigen auch all jene gut gemeinten Absichten, die mit der Einführung
flächendeckender Tariffonds zum Aufbau einer ‚zusätzlichen Alterssicherung der abhängig Beschäftigten
liebäugeln."
"Wie man es auch dreht und wendet: Der von der Koalition im
Konsens mit der bürgerlichen Opposition angestrebten Rentenreform 2000 geht es ganz offensichtlich nicht um eine Konsolidierung der
sozialen Alterssicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf einem lebensstandardsichernden Niveau, sondern um eine Umverteilung
ihrer Kosten zu Lasten der Beschäftigten und zugunsten der Unternehmen."
Diese Zitate werden ergänzt durch überzeugendes
Zahlenmaterial sowie weitere Argumente gegen die private kapitalorientierte Zusatzversicherung. Das "Memorandum 2000" kann in
der politischen Debatte herangezogen werden, da es - nicht nur in der Rentenfrage - viele gute Analysen enthält, wie die neoliberale
Politik unter anderem Vorzeichen mit der "rot"-grünen Regierung ihre Fortsetzung findet.
Nötig aber wäre vor allem: die Schaffung einer
tatsächlichen Bewegung unter den Betroffenen gegen diese sog. "Reformen". Solange sich der Protest auf schriftliche
Äußerungen der zweiten DGB-Vorsitzenden beschränkt, kann diese Regierung ihr "Bündnis für
Arbeit" offensichtlich zu massiven Rentenkürzungen benutzen.
* Der ehemalige 2.IGM-Vorsitzende Riester kann damit eigentlich nicht gemeint sein…