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Der schnelle Tarifabschluss Ende März in der Metallindustrie hat die Mitglieder der IG Metall und die
Funktionäre an der Basis völlig überrascht. Zu Beginn der Tarifrunde 2000 konnten die Belegschaften und die
Öffentlichkeit noch davon ausgehen, dass mit einer harten Tarifauseinandersetzung gerechnet werden müsste. Während
wichtige Betriebe in den süddeutschen Tarifgebieten schon Warnstreiks vorbereiteten, schloss der Bezirk NRW unter Führung des
Bezirksleiters Harald Schartau jedoch ab - und ging damit nach 23 Jahren erstmals wieder in Führungsposition. Nach dem Tarifritual galt
der Abschluss als Pilotabschluss.
Bekanntlich hat die Große Tarifkommission in NRW das
Verhandlungsergebnis angenommen; selbst kritische Kollegen, die sich in der Vergangenheit oft mit Harald Schartau angelegt haben, stimmten
ihm zu.
Der Überraschungseffekt hat zunächst dazu geführt, dass
es an der Tariffront ruhig war. Der neue Tarifvertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Aus der "Rente mit 60" wurde eine
erweiterte Altersteilzeit. Deren Auswirkungen sind noch nicht genau abzuschätzen. Zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit wird sie
wenig beitragen, denn die Unternehmer sind nicht verpflichtet, jüngere KollegInnen einzustellen, wenn ältere ausscheiden.
Außerdem ist die Regelung materiell so wenig attraktiv, dass nur Wenige davon Gebrauch machen werden.
In der Monatszeitschrift Sozialismus (Nr.5, 2000) schreibt Dieter
Knauß treffend: "Tarifabschluss 2000: Punktlandung im Bündnis." Er weist nach, dass die wichtigsten Eckpunkte dieses
Abschlusses in Bündnisgesprächen festgelegt wurden. Hinzu kommt, dass die IG Metall diesmal die Tarifführerschaft an die
IG BCE abgegeben hat - die Eckpunkte des Tarifvertrags tragen die Handschrift von deren Vorsitzenden Hubertus Schmoldt.
In der Führung der IG Metall ist nun ein offener Streit über die
Tarifpolitik ausgebrochen. Führende Funktionäre beklagen, die Tarifrunde sei schlecht vorbereitet worden. Horst Schmitthenner
vom Geschäftsführenden Vorstand kritisiert "strategische Fehler" und die "unprofessionelle Art", mit der
die "Rente mit 60" auf den Weg gebracht wurde.
Er sagt: In der IG Metall hat sich in den letzten zwanzig Jahren die Unsitte
eingebürgert, Forderungen in der Presse und im Fernsehen zu verkünden, bevor sie in der Organisation diskutiert werden. Zwickel
betreibe eine Telepolitik, ohne die Mitglieder zu befragen - damit meint er seine Vorstöße zum Bündnis für Arbeit und
zur 32-Stunden-Woche, die er ohne Absprache vor den Kameras und in Interviews verkündet hat.
Inzwischen werden die Proteste gegen den Tarifabschluss lauter. Die
Große Tarifkommission von Baden-Württemberg hat dem Vorstand der IG Metall eine Resolution geschickt, in der sie gegen den
Abschluss und gegen die Haltung des Vorstands protestiert. Die Resolution ist von namhaften Betriebsratsvorsitzenden unterzeichnet; Proteste
an den Vorstand richteten die Vertrauenskörperleitungen von SEL, Bosch und der Porsche AG.
Neue Tarifpolitik
Auf
die Proteste von unten und die vielen Presseberichte, in denen die IG Metall nicht gut wegkommt, hat der Vorstand mit der Ankündigung
einer neuen Tarifpolitik geantwortet. Am 15.Mai veranstaltete die IG Metall in Frankfurt eine Pressekonferenz. In ihr trat der Zweite
Vorsitzende, Jürgen Peters, auf und erklärte, es werde bei der IG Metall keinen tarifpolitischen Stillstand geben. Die IG Metall
wolle ab sofort ihre tarifpolitischen Schwerpunkte für die kommenden drei Jahre diskutieren. Peters sagte auf der Pressekonferenz, die
Schwerpunkte sollten auf Mitgliederversammlungen, Funktionärskonferenzen und in Tarifkommissionen diskutiert werden - erst dann
wolle der Vorstand entscheiden, welche er bis zum Jahr 2003 anpackt.
Zu den Schwerpunkten gehören: die Reform des Flächentarifs,
neue Initiativen zur Qualifizierung, gemeinsame Entgelttarifverträge für Arbeiter und Angestellte, die Beteiligung von
Arbeitnehmern an Kapital und Vermögen. Die Arbeitszeitpolitik soll nach Angaben von Peters ein weiterer Schwerpunkt der
künftigen tarifpolitischen Diskussion bleiben. Diese Aussage ist sehr wichtig in Anbetracht der Tatsache, dass der DGB-Vorsitzende
Dieter Schulte schon von einer möglichen 50-Stunden-Woche spricht.
Nun will Klaus Zwickel das Ruder herumreißen, aber seine neuen
Vorschläge, künftig einen Teil des Lohns in Aktien auszahlen zu lassen, sind geradezu eine Provokation. Ausgerechnet Themen wie
Aktienanteile im Lohn, leistungsbezogene Gehaltsanteile, flexiblere Arbeitszeiten will Zwickel zu Elementen einer neuen Tarifpolitik machen.
In einem Interview mit der Metall-Zeitung direkt (17.Mai) sagt er: "Die Einstellung der Bevölkerung zu Aktien hat sich
geändert. Für breite Arbeitnehmerschichten sind Belegschaftsaktien seit Jahren eine Selbstverständlichkeit."
Der Kauf von Aktien ist jedoch eine private Angelegenheit und hat mit Lohn
und Tarifverträgen nichts zu tun. In der IG Metall sind ja nicht nur Beschäftigte mit hohem Monatseinkommen organisiert, sondern
auch Zehntausende, die Monat für Monat darum kämpfen, dass sie ihre Miete und andere notwendige Ausgaben bezahlen
können. Für die Masse der erwerbslosen Metaller, aber auch für ihre Kolleginnen und Kollegen aus anderen
Wirtschaftszweigen, die ohne Arbeit sind und von Stütze leben müssen, ist es geradezu verletzend, wenn die IG-Metall-Spitze sagt,
bei der Verteilung des Reichtums in den vergangenen zwei Jahrzehnten sei "eine Schieflage" entstanden, die von der IG Metall
korrigiert werden müsse. Die Beschäftigten wissen das schon lange. Wenn jetzt wieder von Vermögensbildung und
Pensionsfonds die Rede ist, dann wissen sie aus Erfahrung, dass sie diese Art von Vermögensbildung selbst bezahlen müssen - mit
Verzicht auf Lohnerhöhungen. Mit einer solchen Vermögensbildung wird die "Verteilung des Reichtums" nicht
korrigiert, auch nicht wenn Zwickel und Peters von "zusätzlichen Rentenbausteinen" sprechen.
Zukunft
Der
IG-Metall-Vorstand hat in einer Presseerklärung einen Zukunftskongress angekündigt. Harald Schartau, der besagte Bezirksleiter
aus NRW, hat sich sogleich zu Wort gemeldet. Nicht in einer Zeitung der IG Metall, sondern wie immer im Handelsblatt; dort verkündete
er, wie er sich Zukunft und Tarifpolitik vorstellt. Schartau: Eine einheitliche Arbeitszeitgestaltung für alle hat sich überlebt, so wie
die generelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Mehr und mehr kommen Nacht- und Wochenendarbeit in die Diskussion. Die generelle
Verkürzung der Wochenarbeitszeit dagegen ist, bis auf die Anpassung in Ostdeutschland, vom Tisch.
Ob Schartau das alleine bestimmen kann, muss in der Organisation noch
diskutiert werden. Offensichtlich ist Schartau, der als künftiger Chef der IG Metall gehandelt wird, gegen eine weitere Verkürzung
der Wochenarbeitszeit.
Da steht er mit seiner Meinung allerdings nicht allein; der DGB-
Vorsitzende Dieter Schulte hat erst in diesen Tagen davon gesprochen, man müsse die Wochenarbeitszeit auf 50 Stunden ausdehnen. Im
Unternehmerlagr hat man sich darüber sehr gefreut.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat die Debatte über die
künftige Tarifpolitik in der IG Metall begrüßt - was wunder, war der letzte Tarifabschluss doch ein Geschenk an die
Unternehmer. Gesamtmetall-Präsident Werner Stumpfe sagte, er sei bereit, mit den Gewerkschaften in eine breite Diskussion über
die Reform des Flächentarifs einzusteigen, den auch die Arbeitgeber erhalten wollten. Notwendig sei jedoch eine stärkere
Anpassung an die betriebliche Vielfalt. Was das bedeutet, wissen die Beschäftigten in den Büros und den Fabriken.
Vor Journalisten in Berlin hat sich Stumpfe vor zwei Wochen lobend
über Klaus Zwickel geäußert. Er habe sich in der vergangenen Tarifrunde sehr konstruktiv verhalten und viel zum positiven
Ergebnis beigetragen. Stumpfe: Zwickels Bild in der Öffentlichkeit sei falsch.
Wenn es nun heißt, dass die Vorschläge für eine neue
Tarifpolitik bis Jahresende auf Mitgliederversammlungen und in Funktionärskonferenzen diskutiert werden sollen, und wenn von einem
"Zukunftsmanifest" die Rede ist, das die IG Metall bis Mitte 2001 herausgeben will, dann müssen wir energisch
mitdiskutieren. Es kann nicht sein, dass Zwickel, Peters und Schartau die Politik der IG Metall allein bestimmen.
Willi Scherer