Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.12 vom 08.06.2000, Seite 15

Kosovo mon amour

Die diesjährigen Ruhrfestspiele stehen unter dem Motto "Fremden-Liebe".
Eine Aufführung des Roma-Theaters Pralipe greift anhand des Kosovo-Krieges das Motto auf. Diese Theater-Gruppe wurde 1971 im ehemals jugoslawischen Skopje gegründet und ist seit 1991 im Mülheimer Theater an der Ruhr zu Hause - auch außerhalb der Spielzeit der Ruhrfestspiele eine wichtige Theater-Adresse für engagiertes und gutes Theater. Die Truppe arbeitet seit Jahren bei den Ruhrfestspielen mit - in Roma-Sprache und mit deutschen Fragmenten, Szenenteilen - verständlich für den Besucher durch das eindringliche Spiel.
Sie spielen von der Situation der Roma im Kosovo. Ein Roma-Wirt mit Frau und Tochter, mit serbischen und albanischen Nachbarn, mit der Hoffnung auf Erhalt der Heimat - "Kosovo mon amour" - gerät zwischen alle Fronten, muss an die eine Seite Schutzgeld zahlen, an die andere verliert er den Bruder, die Eltern seiner Frau kommen bei einem Angriff ums Leben. Als er sich weder der serbischen Mobilisierung noch der UÇK anschließen will, bleibt die Tochter in einem Versteck als einizge am Leben - "gerettet" von einem zynischen deutschen Fernsehreporter, der hauptsächlich seine Sendung fertig machen muss.
Eingebettet in die Fetzen der Reportage - Uranbomben und ihre Wirkung, Wasserversorgung der deutschen Truppe, Zeitungsmeldungen und Militärkommentare sind das Thema, nicht aber die Lage der Betroffenen - entwickelt sich ein Bild des Kosovo-Kriegs, wie es ein Jahr später nichts an Dringlichkeit verloren hat.
Die Roma-Familie kann sich in Romanes (ihrer eigenen Sprache) gerade noch allein unterhalten. Ein serbischer Soldat zwingt sie, die Bestimmungen des Kriegsrechts und die serbische Hymne zu lesen und zu singen. Der albanische Nachbar erzwingt Geld, albanischen Gesang und will den Mann nur als UÇK-Anhänger. Die Rolle der Roma - zwischen den Fronten ist kein Bleiben, Flucht wäre der einzige Weg gewesen - und die Ignoranz des Westens werden gegeneinander gesetzt.
Die SchauspielerInnen des Roma-Theaters schaffen es, mit eindringlichen Szenen dem deutschen Publikum zu vermitteln, wo die Aktualität des Krieges ist, der doch schon wieder so weit entfernt scheint.
Eine Verbindung zu dem berühmten Film Hiroshima mon amour (von Alain Resnais) von vor 40 Jahren sollte wohl durch die Titelwahl gezogen werden, was die Unmöglichkeit der Bewältigung von Kriegsfolgen angeht, allerdings kennt diesen Film wohl kaum noch jemand aus dem Publikum.
Eine der wichtigeren Aufführungen der Ruhrfestspiele, und nach dem Auftritt des Belgrader Staatstheaters letztes Jahr mitten im Krieg mit der "Belgrader Trilogie" ein weiterer Versuch, mit Theater politisch zu wirken.
Der Festspielleiter Hansgünter Heyme schreibt dazu: "Fremden-Liebe. So lautet unser Thema im Jahr 2000. Wir kennen nur Fremdenhass. Warum? Im antiken Denken war Fremdenliebe Selbstverständlichkeit, sittliches Gebot. Wieweit sind wir davon entfernt? ... Ohne ein gänzlich verändertes Verhältnis zu dem Fremden neben und in uns - ist kaum eine Zukunft möglich."

Rolf Euler


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