Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 22.06.2000, Seite 3

Hände weg von der Rente!

Mitte Juni einigte sich die "rot"-grün geführte Bundesregierung mit der CDU/CSU- Opposition auf eine "Rentenreform", die erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik eine Teilprivatisierung der Altersvorsorge einleitet. Damit findet ein Systemwandel weg von der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente hin zur kapitalgedeckten privaten Altersvorsorge statt. Die Privatisierung wird von den Unternehmern, aber auch der EU und dem IWF, im Namen der Senkung der Lohnnebenkosten schon lange gefordert; er verschafft vor allem der privaten Versicherungswirtschaft einen lukrativen Zugang zu den Geldern der Rentenversicherungen.
Bundesarbeitsminister Riester plant den Einstieg in den Systemwandel schon für dieses Jahr - der Abstand zu den Bundestagswahlen soll groß genug sein und der CDU/CSU-Opposition möglichst wenig Gelegenheit gegeben werden, die Rente zum Wahlkampfschlager zu machen.
Riesters Pläne werden für breite Bevölkerungsschichten gravierende Auswirkungen haben: Sie führen schon bei heutigen RentnerInnen zu niedrigeren Renten, bei den Beschäftigten zu höheren Beitragszahlungen und erst recht zu einem deutlich steigenden Aufwand für die Altersvorsorge der jüngeren Generationen. Trotz höherer Beitragsbelastungen wird das Rentenniveau mittel- und langfristig sinken - Schätzungen gehen von heute 70% des letzten Nettoeinkommens auf bis zu 44% im Jahr 2030 aus.
Weil die gesetzliche Rente nicht mehr ausreichen wird, den bisherigen Lebensstandard zu halten, sieht Riesters "Reform" einen Pflichtanteil von zusätzlich 4% des Bruttoeinkommens als Investition in eine private Altersrente vor. Dieser Zwang zur Einzahlung in die private Zusatzversicherung betrifft nur die Beschäftigten, nicht den Arbeitgeber; damit sinkt deren Nettoeinkommen - somit die Berechnung der aktuellen Rentensteigerungen - weiter. Für Geringverdienende mit einem Bruttoeinkommen von unter 70000 Mark im Jahr will Finanzminister Hans Eichel bis zum Jahr 2008 aus steuerlichen Mitteln einen Gesamtzuschuss von 19 Milliarden Mark locker machen.
Das freut die Profiteure der neuen Regelung, vor allem die privaten Rentenversicherer des Allianz-Konzerns und vieler großer Bankhäuser; sie alle halten mittlerweile spezielle Angebote für ihre Kundschaft bereit - Angebote, die sämtlich den schwer kalkulierbaren Risiken der Kapital- und Finanzmärkte unterliegen.
Riester bietet nicht nur den privaten Versicherungskonzernen einen Milliardenmarkt zum Einstieg in das Geschäft mit den Rentenfonds, er entlastet auch die Unternehmer weiter von ihrem Anteil an den Lohnnebenkosten - genauer gesagt: er schenkt ihnen einen Teil des Soziallohns. Er erlaubt ihnen, dass sie sich endgültig aus der paritätischen Finanzierung der Altersvorsorge verabschieden und die Folgen der demographischen Entwicklung allein auf die abhängig Beschäftigten und Scheinselbstständigen abwälzen.
Es geht nicht darum, das bestehende Rentensystem gegen Verbesserungen oder Änderungen "zu verteidigen", sondern Verschlechterungen für viele Betroffene abzuwehren und der tendenziellen Zerschlagung der paritätisch finanzierten Rentenversicherung nicht tatenlos zuzusehen.
Auch im neuen Rentenmodell bleiben die Beiträge trotz ihrer Absenkungen an die Einkommen aus Lohnarbeit gebunden. Dabei haben schon heute weniger als 50% der Beschäftigten eine ungebrochene Erwerbsbiografie. Alle anderen sind zwischenzeitlich erwerbslos oder bilden sich fort oder arbeiten zu Niedriglöhnen, die eine angemessene Rente nicht mehr ermöglichen.
Besonders hart wird die Altersarmut Frauen treffen, die Kinder großziehen. Die Anzahl der Renten, die in zwanzig bis dreißig Jahren unter dem Existenzminimum liegen, wird sprunghaft steigen. Angebracht ist angesichts dessen die Einführung einer garantierten Mindestrente.
Es ist darüber hinaus eine kalkulierte Frechheit, von einer "angemessenen Belastung aller" zu reden, wenn Arbeitnehmer mit 4% vom Bruttoeinkommen zusätzlich zu ihrem Rentenbeitrag von 10% zur Kasse gebeten, die Beiträge der Unternehmen hingegen auf maximal 10% eingefroren werden; das konnte nicht einmal jeder Gewerkschaftsvorstand einfach schlucken. Riester bekommt nun Gegenfeuer aus dem eigenen Stall.
Während des "Rentengipfels" tagte in Berlin auch ein "Gegengipfel", getragen von Gewerkschaften und Sozialverbänden. Sie erklärten, die Riesterschen Pläne seien "nicht hinnehmbar". Insbesondere für Geringverdiener bedeute die Reform "trotz vorgesehener Förderung eine Verschlechterung ihrer Absicherung im Alter, da sie zu einer zusätzlichen Vorsorge nicht in der Lage sein werden", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Die Abteilung Frauenpolitik beim DGB kritisiert zusätzlich, dass man vom Aufbau eigenständiger Anwartschaften der Frauen weiter entfernt sei als zuvor.
Doch die Haltung der Gewerkschaften entspricht nicht unbedingt ihrer politischen Praxis. Wie können sie über ihre Mitglieder-Service-Organisationen mit dem Hinweis auf die Unsicherheit der künftigen Rente private Rentenversicherungen anbieten und gleichzeitig glaubhaft gegen Riesters Pläne protestieren?
Anlass zu Protest und Widerstand nicht nur der heutigen, sondern auch der künftigen RentnerInnen, gibt es genug. Versuche, alt gegen jung gegeneinander auszuspielen, müssen verhindert und über die wahren Profiteure der "Rentenreform" aufgeklärt werden. Im Herbst, anlässlich der sogenannten "Halbzeit" der rot-grünen Regierung, müssten die Proteste schon über papierne Erklärungen hinausgehen, wenn da noch was verändert werden soll.
Das Erfurter Bündnis "Aufstehen für eine andere Politik", das schon vor der letzten Bundestagswahl zu einer Großdemonstration nach Berlin mobilisierte, plant am 23.September wieder Aktionen in der Hauptstadt. Diesmal gegen die Politik der neuen Bundesregierung.
Ob sich die Gewerkschaften, die noch vor eineinhalb Jahren mit einer groß angelegten Werbekampagne zur Wahl der jetzigen Regierung beitrugen, an den Straßenprotesten beteiligen werden, bleibt abzuwarten. Das verbale Säbelrasseln einiger Gewerkschafter in Berlin reicht nicht aus, zu sehr haben sich ihre rhetorischen Floskeln abgenutzt. Nun ist Handeln gefragt.

Rolf Euler/d.Red.


zum Anfang