Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 22.06.2000, Seite 6

Bundeskonferenz der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen

Gegen Arbeitszwang und Billiglohn

Auf einer bundesweiten Arbeitskonferenz diskutierten am Wochenende 120 VertreterInnen von Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen aktuelle Entwicklungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Dies ist das erste gemeinsame Treffen seit dem Amtsantritt der "rot"-grünen Bundesregierung. Die Initiatoren, der Runde Tisch der Erwerbslosenorganisationen, hatte zur Tagung eingeladen, um den neuen Ansatz "Arbeitplätze durch Billigjobs", den man heute bei allen Regierungen in Europa beobachten kann, kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Die Konferenz kam zum Ergebnis, dass die Billigjobpolitik nicht geeignet sei, die Zahl der Arbeitslosen zu dezimieren. Die staatlich geförderte Ausweitung des Niedriglohnsektors führe vermehrt zu Einkommen unter der Armutsgrenze und zur Absenkung des Tarifgefüges.
Darüber hinaus drohe durch die Pauschalierung von Leistungen und durch Änderungen am Regelsatz der Sozialhilfe eine Absenkung des Sozialhilfeniveaus, insbesondere zu Lasten von Kindern und Jugendlichen. Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe scheint zwar in dieser Legislaturperiode nicht spruchreif, ist aber keineswegs zu den Akten gelegt.
Die Forderung nach einem "existenzsichernden Einkommen für Menschen mit und ohne Erwerbsarbeit" zog sich deshalb wie ein roter Faden durch die Konferenz. Die verschiedenen Modelle, die es dazu gibt, wurden in einem eigenen Forum untersucht. Dessen Moderator, Harald Rein von der BAG unabhängige Erwerbslosengruppen (BAG-E), konstatierte, es habe sich etwas verändert: Anfang der 90er Jahre sei die Forderung nach einem Mindesteinkommen noch belächelt worden, nun gebe es immerhin eine breitere Debatte in vielen Ländern Europas.
Das dokumentierte auch die Teilnahme von Vertretern der Katholischen Arbeitnehmerbewegung und der Nationalen Armutskonferenz, die sich ebenfalls mit Modellen zum Mindesteinkommen beschäftigen.
Die BAG-E und die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen wollen in den kommenden Monaten die Forderung in einem Flugblatt näher erläutern. Es soll die Diskussion in den Initiativen vor Ort anregen; die Initiatoren streben einen Kongress dazu im kommenden Jahr an, zu dem auch RentnerInnen und Beschäftigte geladen werden sollen.
Von besonderer Bedeutung war die Teilnahme eines Vertreters der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge. Es ist trotz einiger Ansätze nicht gelungen, die Problematik Migration und Arbeitsmarkt in die Konferenz zu integrieren. Andererseits ist diese auch so weitläufig, dass eine gesonderte Behandlung des Problems angebracht wäre.
Immerhin konnte auf der Konferenz das Bewusstsein geschärft werden, dass gegen Lohn- und Sozialdumping kein Kraut gewachsen sein wird, solange Menschen illegalisiert und auf dem Arbeitsmarkt wie Sklaven behandelt werden können.
Bewusst haben die Teilnehmenden der Konferenz in fünf Arbeitsgruppen die verschiedenen Einkommensarten untersucht und wie sie unter Druck geraten: die Sozialhilfe, die Arbeitslosenhilfe, die Löhne. Es würde in die Irre führen, betrachtete man jedes einzelne Problem für sich und isoliert, wo es doch gerade darum geht, den Gesamtplan zu veranschaulichen, der hinter den vielen einzelnen Angriffen steht, den Zusammenhang klar zu machen und eine Gesamtstrategie dagegen zu entwerfen, die all Betroffenen und Bedrohten zu einigen versteht.
Für die "Einheit der Erwerbslosen" plädierte deshalb massiv der Sprecher des Arbeitslosenverbands (ALV) Mecklenburg-Vorpommern, der auf die positiven Erfahrungen mit Erwerbslosenparlamenten in Mecklenburg und in Thüringen verweisen konnte, die seit 1998 das gemeinsame Handeln aller auf dem Arbeitsmarkt Dskriminierten und davon Ausgegrenzten organisieren.
Die Gesamtstrategie, wie sie auch von der Europäischen Union zielgenau vorangetrieben wird, erläuterte Michel Rousseau vom Europäischen Sekretariat der Europäischen Märsche (siehe S.11). Deren Verlautbarungen benennen immer sehr deutlich den Zusammenhang zwischen der Senkung der unteren Löhne und der Senkung des Niveaus der Sozialhilfe.
Die Konferenz war sich dessen wohl bewusst: Sie hatte eine Reihe von GewerkschafterInnen eingeladen, die berichten sollten, wie die Gewerkschaft sich gegen die Einführung von Billiglohn (z.B. in Callcentern) zur Wehr setzt, wie sie auch versucht, mit der Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn (die NGG fordert 2500 DM brutto im Monat) Schwächen der gewerkschaftlichen Gegenwehr auszugleichen.
Die Gewerkschaft ÖTV erhebt inzwischen offiziell die Forderung nach einer sozialen Grundsicherung, Die Massenarbeitslosigkeit drückt auf die Löhne, die niedrigen Löhne wiederum drücken auf das Niveau der Sozialhilfe. Dieser Teufelskreis bringt es mit sich, dass an allen Enden zugleich angesetzt werden muss, um ihn zu durchbrechen.
An allen Enden aber sind die Schwächen groß. Die Gewerkschaftsvertreter mussten sich viel Kritik anhören - an den jüngsten Tarifabschlüssen, die das Lohnniveau weiter senken, und das in Zeiten boomender Konjunktur; an ihrer Beteiligung am Bündnis für Arbeit, das die Einführung eines Billiglohnsektors auf der Tagesordnung hatte; auch an ihrer Beteiligung an den Modellprojekten, die nun in vier Bundesländern erprobt werden.
Die Erwerbslosen andererseits mussten selbstkritisch feststellen, dass ihre Mobilisierungsfähigkeit ziemlich auf den Hund gekommen ist. Da ist die Suche nach Kooperation mehr wert als die Zuweisung von Schuld.
Eine gewerkschaftliche Strategie gegen Billiglohn wäre Dreh- und Angelpunkt einer gemeinsamen Abwehr, doch die Gewerkschaften sind noch ziemlich weit davon entfernt, eine solche zu haben oder auch nur zu wollen. Dennoch gab es Kooperationsangebote.
Renate Knapper vom Hauptvorstand der ÖTV sprach davon, dass die Interessengemeinschaft der Beschäftigten und der Erwerbslosen eine materielle Grundlage habe und zählte auf, wo Positionen der Konferenz von der ÖTV unterstützt würden: Ablehnung des Kombilohns, Ablehnung der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, der Einbau einer Sockelung (Mindestsicherung) in die Sozialversicherung. Das ist mehr, als manch andere Gewerkschaft zu bieten hat; als praktischen Ansatz für gemeinsames Handeln vor Ort nannte sie die Zusammenarbeit mit den Beschäftigten der Arbeitsämter.
Die BAG SHI nannte die Zusammenarbeit von Betriebsräten und Sozialhilfeinitiativen in der Beratung solcher KollegInnen, deren Lohn unterhalb des Sozialhilfeanspruchs liegt - das könnte am ehesten von der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken aufgegriffen werden. Für diese erklärte Heinz Günther Lang, sie hätte ein "offenes Ohr für Fragen, die über den Betrieb hinausgehen" und sagte die Unterstützung von Aktionen des Runden Tischs zu.
Trotz gemeinsamem Motto und gemeinsamer Zielsetzung konnte die Konferenz noch keine zündende Idee für eine politische Kampagne erarbeiten. So bleibt zunächst die Kärrnerarbeit vor Ort: Information, Aufklärung und möglicherweise Proteste gegen die Modellprojekte von Bund und Ländern, gegen die Vermittlungspraxis der Arbeitsämter, gegen die Trainingsmaßnahmen, die oft eher der Ausgrenzung aus dem Leistungsbezug als der Integration in reguläre Beschäftigung dienen.
Um die Bewegung der Erwerbslosen auf breitere Füsse zu stellen, kündigte der Runde Tisch für die zweite Jahreshälfte Regionalkonferenzen an, mit denen er seine Arbeit und die Forderung nach einem Mindesteinkommen einer größeren Anzahl von Betroffenen zugänglich machen will.
Auch die Öffentlichkeit soll wieder die Stimme der Erwerbslosen zu hören bekommen: Die Organisationen stellten ihre Teilnahme an einer Demonstration der Initiative "Aufstehen gegen eine andere Politik" zur Halbzeit der Bundesregierung in Berlin sowie die Mobilisierung gegen den Europäischen Regierungsgipfel in Nizza in Aussicht.

Angela Klein


zum Anfang