Sozialistische Zeitung |
Der frühere Frauenarzt Horst Theissen ist ein einem der größten deutschen
Abtreibungsprozesse nun auch vor dem Bundesverfassungsgericht unterlegen.
Der durch die Memminger Abtreibungsprozesse bekannt gewordene
frühere Frauenarzt Horst Theissen ist mit einer Verfassungsklage gegen die Verwendung seiner Patientinnendatei vor dem
Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die Karlsruher Richter wiesen in einem am 8.Juni veröffentlichten Beschluss die Beschwerde
Theissens zurück. Die Kammer folgte der Argumentation dse Klägers nicht: Es seien keine ausreichenden Gründe
vorgetragen worden, inwiefern die Verwertung von Patientinnendaten eine Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte bedeute.
Das Gericht sah weder die Berufsfreiheit des Arztes eingeschränkt, noch dürfe das Vertrauensverhältnis zwischen Patientin
und Arzt letzteren vor einer strafrechtlichen Verfolgung schützen.
Das Landgericht Memmingen hatte Theissen im Mai 1989 mit der
Begründung, er habe illegal Abtreibungen vorgenommen, zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Aufgeflogen war
der heute 61-jährige Theissen, nachdem auf Grund anonymer Hinweise die Steuerfahndung seine Patientinnenkartei beschlagnahmte. Die
Folge war eine bis dahin einmalige Flut von 277 Ermittlungsverfahren gegen Frauen, von denen 133 zu Geldstrafen verurteilt wurde, Viele der
Frauen wurden während des 62 Tage dauernden Prozesses gezwungen, intime Details preiszugeben. Aufsehen erregte auch, als in der
öffentlichen Verhandlung die Namen von 156 Frauen, die bei Theissen einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen ließen, verlesen
wurden.
Das als "Hexenprozess" bekannt gewordene Verfahren hatte
bundesweit bei Frauenverbänden und Initiativen, die sich für die Abschaffung des §218 einsetzen, zu Protesten geführt.
Zahlreiche Organisationen unterstützten Theissens Kampf gegen die Gerichte.
Die öffentliche Diskussion um die Prozessserie im
südbayerischen Memmingen galt als wichtiger Markstein bei den Bemühungen zur Reform des §218. Theissen, der sich,
seinem ärztlichen Ethos folgend, über die damalige Gesetzeslage hinwegsetzte, erlangte Symbolkraft.
Nach erfolgreicher Revision und der Zurückweisung an das
Landgericht Augsburg erhielt Theissen 1994 eine Bewährungsstrafe. Diese "Rehabilitation" nutzte dem Memminger Arzt
jedoch nicht mehr. Nach dem Verbot, weiter als Gynäkologe tätig zu sein, und der öffntlichen Kampagne gegen ihn musste
sich Theissen eine neue Existenz als Homöopath in Hessen aufbauen.
Tom Strohschneider
Aus: Neues Deutschland
vom 10./11.6.2000.