Sozialistische Zeitung |
Äthiopien und Eritrea unterzeichneten am vergangenen Wochenende einen Waffenstillstand. Die
Vereinbarung wurde in Algier besiegelt. Sie kam unter Vermittlung der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) zustande. Beide Staaten
hatten zuvor einem Friedensplan der OAU zugestimmt. Der sieht eine Stationierung von UN-Soldaten in einer 30 Kilometer breiten
"Sicherheitszone" vor. Über die Hintergründe eines Krieges, der mehr als hunderttausend Menschen das Leben kostete.
Mitte Mai dieses Jahres veröffentlichte der Internationale
Währungsfonds ein Dossier mit zusammenfassenden Statistiken über die notleidende Volkswirtschaft Eritreas im vergangenen Jahr.
Die Einzelheiten sind sehr aufschlussreich: Während die
äthiopischen Daten das Wachstum der Wirtschaft durchweg in Größen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angeben, verwendet
Eritrea entweder das BIP oder das Bruttosozialprodukt (BSP) - je nach dem, welcher Indikator die günstigeren Statistiken ergibt. Der
Grund: Das BSP bezieht Einkünfte aus dem Ausland mit ein und lässt so etwa das Budgetdefizit kleiner aussehen als es ist. Diese
Möglichkeit hat Äthiopien nicht: Seit einiger Zeit blockiert Eritrea den Zugang des Bruderlands zum Meer und behindert damit
dessen Außenhandel - eine der Ursachen für den Krieg.
Auch die ausländischen Einkünfte Eritreas sind in den letzten
drei Jahren stark zurückgegangen. Eritreas ausländische Verschuldung hat sich in den letzten drei Jahren gar vervierfacht. Sie
erreichte im vergangenen Jahr 230 Millionen Dollar. Das ist rund ein Drittel des BSP. Auf diesem hohen Niveau wird sich die Verschuldung
unmöglich aufrechterhalten lassen, wenn erst einmal die ersten Raten der Rückzahlung getätigt werden müssen.
Zur Finanzierung weitete Eritrea in den letzten zwei Jahren seine
Staatsanleihen aus. Unter anderem Libyen pumpte im vergangenen Jahr 15 Millionen Dollar für unbekannte Zwecke in das Land,
während andere arabische Länder im selben Zeitraum insgesamt 34 Millionen Dollar beisteuerten. Dass dieses Geld zur
Finanzierung des Krieges verwendet wird, ist offensichtlich. Die Waffen kommen hauptsächlich aus den USA und Russland, die daran gut
verdienen.
Grenzstreitigkeiten
Der vordergründige Anlass für den Krieg der beiden Länder sind
Grenzstreitigkeiten. In dieser Hinsicht erscheint der Konflikt als Resultat einer groß angelegten militärischen Invasion Eritreas auf
äthiopisches Territorium. Eritrea erhob Ansprüche auf diese Gebiete, die bisher von Äthiopien verwaltet wurden und fiel im
Mai vorletzten Jahres dort ein.
Nach der Invasion verkündete die eritreische Regierung stolz, sie
habe "große Teile des umstrittenen Territoriums unter ihre Kontrolle gebracht". Eritrea behauptet, Äthiopien habe die
Invasion provoziert - durch einen Zusammenstoß Anfang Mai 1998 zwischen äthiopischen Polizisten und eritreischen
Armeeeinheiten in Badime.
Unzweifelhaft waren Badime und Umgebung zu diesem Zeitpunkt unter
friedlicher äthiopischer Verwaltung. Das wurde auch von einer Untersuchungskommission der OAU festgestellt. Eritrea konnte keine
logische Erklärung dafür liefern, warum es zu diesem Zeitpunkt Anfang Mai als erster bewaffnete Einheiten nach Badime sandte.
Von Beginn an gab es einen Friedensplan der internationalen Gemeinschaft.
Der sogenannte US-Rwanda-Friedensplan wurde nach vierwöchigen diplomatischen Bemühungen und Konsultationen beider Seiten
ausgearbeitet. Die OAU billigte ihn, und auch die UNO unterstützten den Plan. Äthiopien akzeptierte den Plan vollständig.
Eritrea lehnte ihn ab.
Darüber hinaus verkündete der Präsident Eritreas, seine
Truppen würden sich niemals aus den besetzten Gebieten zurückziehen, wie es der Plan empfahl: "Nicht einmal dann, wenn
die Sonne nicht mehr aufgeht." Inzwischen wurde der US-Rwanda-Plan durch den OAU-Friedensplan vom November 1998 ersetzt.
Parallel zur Kriegsberichterstattung machten Meldungen über eine
neue Hungerkatastrophe in Äthiopien Schlagzeilen. Hunger gibt es dort tatsächlich. Aber nicht wegen Getreidemangels, sondern
ausschließlich wegen des Krieges. Am Horn von Afrika wiederholt sich damit ein altbekanntes Drama.
Auf der einen Seite hungern Menschen oder sind von Hunger bedroht. Auf
der anderen Seite profitieren diejenigen von der Nothilfe, die an der Misere mit Schuld tragen, weil sie den absurden Grenzkrieg führen
und auch bei anderen Konflikten im Land keinen Kompromiss kennen.
Einer von ihnen, der äthiopische Außenminister Seyoum
Mesfin, warf beim Gipfeltreffen der Europäischen Union mit Afrika im April der internationalen Gemeinschaft vor, sie reagieren erst,
"wenn Sie Skelette auf den Bildschirmen sehen".
Gemachte Hungersnot
Und er hatte Erfolg. Denn es war wieder
einmal die BBC, die zuvor Schreckensbilder abgemagerter Kinder aus Gode in der äthiopischen Region Ogaden verbreitet hatte. Zwei
Reporter, John Stackhouse und Marcus Gee, berichteten am Ende April in der kanadischen Zeitung The Globe and Mail, wie die BBC die
Kampagne startete. Im März erhielt der Sender ein Video über die Situation in Gode, das eine lokale Nichtregierungsorganisation,
die Ogaden Welfare Society, gefilmt hatte.
Unverzüglich wurde ein BBC-Filmteam nach Gode entsandt, dem
rasch weitere folgten - viele auf dem Rückweg von der Flutkatastrophe in Mosambik -, die meist keine Ahnung von der Situation in
Äthiopien hatten. Ihre stereotype Schreckensmeldung: Nach einer vierjährigen Dürre ist eine Hungersnot ausgebrochen oder
droht in der Größenordnung der Katastrophe vor 16 Jahren, bei der rund zwei Millionen Menschen verhungerten. Natürlich
wollte sich jetzt niemand mehr dem Vorwurf aussetzen, nicht auch rechtzeitig berichtet und gewarnt zu haben und vor allem Nothilfe zu leisten.
In den letzten neun Jahren erhielt Äthiopien von der BRD rund eine
Milliarde Mark bilateraler Entwicklungshilfe. Darüber hinaus leistete die BRD einen umfangreichen Beitrag zur multilateralen Hilfe
für Äthiopien. Die BRD wurde damit für dieses Land zum zweitwichtigsten Geber nach den USA.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Äthiopien ging lange
mit einer Haltung des wohlwollenden Übersehens unschöner Aspekte der äthiopischen Politik Hand in Hand. Schwere
Menschenrechtsverletzungen der Regierung und die von ihr praktizierte Manipulation der Wahlen wurden von amtlicher deutscher Seite kaum
zur Sprache gebracht.
Selbst die Parlamentswahlen vor fünf Jahren, bei denen angeblich
99% der Stimmen für die Regierung abgegeben worden waren, waren kein Grund, deren demokratische Legitimität anzuzweifeln.
Als die deutsche Regierung ihren Kurs wegen des Grenzkonflikts mit Eritrea im vorletzten Jahr änderte, zeigte sich die äthiopische
Regierung unbeeindruckt.
Sie verzichtete von sich aus auf weitere deutsche Hilfe, als die BRD ihr im
vorletzten Jahr deren Einstellung signalisierte. Addis Abeba gab zu verstehen, dass Äthiopien die deutsche Hilfe nicht benötige und
sich im Übrigen ihr Handeln im Krieg mit Eritrea nicht vorschreiben lasse.
Vorstöße des deutschen Außenministers in diesem
Frühjahr an die Adresse des Weltsicherheitsrats, der Regierungen Äthiopiens und Eritreas und der OAU, den Grenzkrieg
über eine politische Lösung zu beenden, wurden von der äthiopischen Regierung mit der Rückberufung ihres
Botschafters in Berlin beantwortet.
Zugunsten eines totalen Krieges in Eritrea verspielten die Regierungen in
dieser Zeit jede Friedenschance. Zahlreiche Vermittlungen scheiterten. Galten doch die Schützengräben der eritreischen Armee an
der Grenze zu Äthiopien zunächst für unüberwindbar. Auf diese militärische "Sicherheit" oder gar
Überlegenheit stützte sich die politische Taktik der eritreischen Regierung im Grenzkonflikt.
Aber schon im Februar 1999 war es den äthiopischen
Streitkräften mit einer grauenhaften Taktik von menschlichen Angriffswellen gelungen, im umstrittenen Bademe-Grenzgebiet die Front zu
durchbrechen und die eritreische Armee zum Rückzug zu zwingen. Im Mai dieses Jahres schaffte die äthiopische Armee erneut den
Durchbruch.
Innerhalb von zwei Wochen musste sich die eritreische Armee aus dem
überwiegend flachen, westlichen Tiefland zurückziehen und evakuierte dabei auch die Zivilbevölkerung. Fast die
Hälfte der eritreischen Bevölkerung ist jetzt auf der Flucht. Die Zahl der gefallenen Soldaten war schon bis zum erneuten Ausbruch
der Kampfhandlungen auf hunderttausend geschätzt worden, inzwischen dürften es noch mehr sein.
Die Entwicklungszusammenarbeit stützt dabei die Diktaturen in
beiden Ländern. Besonders beim Grenzkrieg gibt es einen zumindest indirekten Zusammenhang zwischen finanzieller Zusammenarbeit
und kriegerischer Eskalation. Das wird von der Entwicklungsdiplomatie bisher gerade in Äthiopien übersehen oder
vernachlässigt.
Christoph Ruhkamp