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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.13 vom 22.06.2000, Seite 14

Turbochristen und Kommerzhomos

So bunt und lebendig sie auch heute noch anzuschauen sind, so frappierend rasant verlieren die jährlichen Christopher-Street-Day-Umzüge von Mal zu Mal ihre politische Substanz. Weitgehend kommerzialisierte und sich mit den tragenden Kräften der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft arrangierende Karnevalsveranstaltungen - viel mehr kommt heutzutage nicht mehr zustande.
In mathematischer Strenge: mag das offene Bekenntnis zum Schwul- oder Lesbischsein für die persönliche Emanzipation noch unerlässlich und gut sein, so ist es für ein kollektives sozial- emanzipatives Projekt nur noch notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingung. Selbst ohne die besonderen Liebeserklärungen an "schwules Unternehmertum", "rosa Börsentips" und ohne die Lobpreisung der ehelich-familiären Spießeridylle, die überall sprießen, geraten die CSD-Aktionen immer mehr zu einer Friedenserklärung an die herrschenden Verhältnisse - unter Verkennung der wirklichen Gesinnungslage der Bevölkerungsmehrheit.
So sind es leider auch nur die Reaktionen der fundamentalistischen Gegenseite, die mehr oder weniger ungewollt politische Aufklärung betreiben. Wenn in Köln ein Streit bei den Stadtoberen entbrennt, ob die Fahne der schwulen Bewegung, das Regenbogenbanner, am CSD-Tag an öffentliche Gebäuden geflaggt werden darf, oder ob der Dom-Vorplatz den Schwulen und Lesben zur Verfügung gestellt werden darf, macht es Spaß.
Mehr noch, wenn die Sektenfreunde vom Papst Johannes Paul gegen die Gay-pride-Demonstration in Rom im Juli dieses Jahres zu Felde ziehen. Ihr katholischer Kampf gegen die "Abweichung vom Naturgesetz" (so das Papstwort zur Sache) beleuchtet mehr als der Anlass ihres Kreuzzugs selbst, wie wenig bekömmlich fürs gute Menschendasein eben dieses "Naturgesetz" ist.
An das Naturgesetzliche erinnert auch die köstliche Antwort von Janis Walworth an den US-amerikanischen Turbo-Christen Pat Robertson. Dieser hatte 1998 - vor seinem spektakulären Absturz im öffentlichen Ansehen - speziell die Stadt Orlando in Florida gewarnt, öffentlich die Gay-pride-Fahne zu hissen, weil Gott diesen Frevel unverzüglich mit Tornados, Erdbeben, Meteoriteneinschlägen und sogar "Bombenanschlägen durch Terroristen" bestrafen würde.
Walworths Entgegnung war ein schnöder Blick auf die Statistik der Tornadoforscher. Sie ergab keinerlei Zusammenhang zwischen der Anzahl von homosexuellen Gruppen und Aktivitäten in einem US- Staat und der Anzahl von Tornados.
Allerdings einen Zusammenhang zwischen dem Schwulen- und Lesbenanteil bezogen auf die Gesamtbevölkerung und den Wirbelstürmen im jeweiligen Staat. Allerdings in umgekehrter Richtung: je höher der Homosexuellenanteil war, desto geringer die Tornadogefahr. Schlussfolgerung: "Ein Staat wie zum Beispiel Alabama könnte pro Jahr zwei Tornados allein dadurch abwehren, dass die Anzahl der homosexuellen Initiativen verdoppelt wird." Gleichzeitig enthüllte die Statistik, dass weder der Anteil von Juden noch der von Katholiken offensichtlich Auswirkungen auf die Tornadohäufigkeit hat.
Wohl aber der von Protestanten, genauer von Baptisten und anderen Sekten, während Methodisten und Lutheraner wiederum schuldlos am Wettergeschehen sind. Ergebnis: "Das bedeutet, dass Texas die jährliche Tornadoanzahl von 139 dadurch verringern könnte, dass ein paar hunderttausend Baptisten irgendwo anders hin geschickt werden." Schwule protestantische Gruppen wiederum beeinflussen die Wirbelstürme nicht, "vielleicht weil Protestanten für Gott weniger strafwürdig sind, wenn sie schwul sind."
Deshalb erklärt die Statistik auch eindeutig, dass es zur Naturkatastrophenabwehr günstiger ist, Protestanten zum Schwulsein zu bekehren als umgekehrt Schwule für die Kirche zu gewinnen.
Aber bitte keine voreiligen Schlussfolgerungen: die statistischen Aussagen, begründen nicht unbedingt die Aussage, dass Baptisten für die vielen Tornados verantwortlich sind, weil sie Gott ärgerten. Es könnte auch sein, dass sie einfach nur bevorzugt in Staaten ziehen, die von Tornados heimgesucht werden, was etwas mit ihrem IQ zu tun hätte. Das allerdings bedeutet Christen Sind Dumm und CSD-Fahnen an den Straßen zeugen von Schläue.
Quod erat demonstrandum.

Thies Gleiss


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