Sozialistische Zeitung |
So bunt und lebendig sie auch heute noch anzuschauen sind, so frappierend rasant verlieren die
jährlichen Christopher-Street-Day-Umzüge von Mal zu Mal ihre politische Substanz. Weitgehend kommerzialisierte und sich mit
den tragenden Kräften der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft arrangierende Karnevalsveranstaltungen - viel mehr kommt
heutzutage nicht mehr zustande.
In mathematischer Strenge: mag das offene Bekenntnis zum Schwul- oder
Lesbischsein für die persönliche Emanzipation noch unerlässlich und gut sein, so ist es für ein kollektives sozial-
emanzipatives Projekt nur noch notwendige, aber längst nicht hinreichende Bedingung. Selbst ohne die besonderen
Liebeserklärungen an "schwules Unternehmertum", "rosa Börsentips" und ohne die Lobpreisung der
ehelich-familiären Spießeridylle, die überall sprießen, geraten die CSD-Aktionen immer mehr zu einer
Friedenserklärung an die herrschenden Verhältnisse - unter Verkennung der wirklichen Gesinnungslage der
Bevölkerungsmehrheit.
So sind es leider auch nur die Reaktionen der fundamentalistischen
Gegenseite, die mehr oder weniger ungewollt politische Aufklärung betreiben. Wenn in Köln ein Streit bei den Stadtoberen
entbrennt, ob die Fahne der schwulen Bewegung, das Regenbogenbanner, am CSD-Tag an öffentliche Gebäuden geflaggt werden
darf, oder ob der Dom-Vorplatz den Schwulen und Lesben zur Verfügung gestellt werden darf, macht es Spaß.
Mehr noch, wenn die Sektenfreunde vom Papst Johannes Paul gegen die
Gay-pride-Demonstration in Rom im Juli dieses Jahres zu Felde ziehen. Ihr katholischer Kampf gegen die "Abweichung vom
Naturgesetz" (so das Papstwort zur Sache) beleuchtet mehr als der Anlass ihres Kreuzzugs selbst, wie wenig bekömmlich
fürs gute Menschendasein eben dieses "Naturgesetz" ist.
An das Naturgesetzliche erinnert auch die köstliche Antwort von
Janis Walworth an den US-amerikanischen Turbo-Christen Pat Robertson. Dieser hatte 1998 - vor seinem spektakulären Absturz im
öffentlichen Ansehen - speziell die Stadt Orlando in Florida gewarnt, öffentlich die Gay-pride-Fahne zu hissen, weil Gott diesen
Frevel unverzüglich mit Tornados, Erdbeben, Meteoriteneinschlägen und sogar "Bombenanschlägen durch
Terroristen" bestrafen würde.
Walworths Entgegnung war ein schnöder Blick auf die Statistik der
Tornadoforscher. Sie ergab keinerlei Zusammenhang zwischen der Anzahl von homosexuellen Gruppen und Aktivitäten in einem US-
Staat und der Anzahl von Tornados.
Allerdings einen Zusammenhang zwischen dem Schwulen- und
Lesbenanteil bezogen auf die Gesamtbevölkerung und den Wirbelstürmen im jeweiligen Staat. Allerdings in umgekehrter Richtung:
je höher der Homosexuellenanteil war, desto geringer die Tornadogefahr. Schlussfolgerung: "Ein Staat wie zum Beispiel Alabama
könnte pro Jahr zwei Tornados allein dadurch abwehren, dass die Anzahl der homosexuellen Initiativen verdoppelt wird."
Gleichzeitig enthüllte die Statistik, dass weder der Anteil von Juden noch der von Katholiken offensichtlich Auswirkungen auf die
Tornadohäufigkeit hat.
Wohl aber der von Protestanten, genauer von Baptisten und anderen Sekten,
während Methodisten und Lutheraner wiederum schuldlos am Wettergeschehen sind. Ergebnis: "Das bedeutet, dass Texas die
jährliche Tornadoanzahl von 139 dadurch verringern könnte, dass ein paar hunderttausend Baptisten irgendwo anders hin geschickt
werden." Schwule protestantische Gruppen wiederum beeinflussen die Wirbelstürme nicht, "vielleicht weil Protestanten
für Gott weniger strafwürdig sind, wenn sie schwul sind."
Deshalb erklärt die Statistik auch eindeutig, dass es zur
Naturkatastrophenabwehr günstiger ist, Protestanten zum Schwulsein zu bekehren als umgekehrt Schwule für die Kirche zu
gewinnen.
Aber bitte keine voreiligen Schlussfolgerungen: die statistischen Aussagen,
begründen nicht unbedingt die Aussage, dass Baptisten für die vielen Tornados verantwortlich sind, weil sie Gott ärgerten.
Es könnte auch sein, dass sie einfach nur bevorzugt in Staaten ziehen, die von Tornados heimgesucht werden, was etwas mit ihrem IQ zu
tun hätte. Das allerdings bedeutet Christen Sind Dumm und CSD-Fahnen an den Straßen zeugen von Schläue.
Quod erat demonstrandum.
Thies Gleiss