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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2000, Seite 4

Solidarität als Glaubensbekenntnis

PKK erklärt kritische Fragen zum Komplott

Mitte Juli wandten sich etwa 80 UnterzeichnerInnen eines Offenen Briefs an den Präsidialrat der PKK, um ihrer Besorgnis über das Schicksal von 54 KämpferInnen Ausdruck zu verleihen. In Deutschland lebende Familienmitglieder hatten zuvor die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke kontaktiert, da sie über Informationen verfügten, ihre Angehörigen hätten sich als KritikerInnen von der PKK getrennt und seien bald darauf von loyalen Einheiten verhaftet worden. Andere hielten sich noch in den Bergen Südkurdistans versteckt. Nun seien sie von Seiten der PKK mit dem Tod bedroht worden.
Den entscheidenden Ausschlag, diese Besorgnis sehr ernst zu nehmen und sich unverzüglich mit einem Offenen Brief an das höchste Organ der Arbeiterpartei Kurdistans zu wenden, gaben Äußerungen des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Vorsitzenden selbst. Der hatte in der Juniausgabe der Parteizeitung Serxwerbun unmissverständlich klar gemacht, was mit den AbweichlerInnen zu geschehen habe.
"Selbstverständlich wird die Entwicklung zeigen, welches unter Kriegsbedingungen die Gesetze dafür sind," sinnierte Öcalan über die zu verhängenden Strafen. "Ihre Straftaten sind schwerwiegend, das ist Verrat, innerer Verrat. Was sie gemacht haben, ist ein vollkommener Akt der Liquidation, man muß strengstens dagegen vorgehen. Kriegsbedingungen sind die kritischsten Zeiten. Von daher müssen die härtesten Sanktionen angewandt werden … Es ist ein Mangel der Partei, dass sie die Flüchtigen nicht vorher aufgerieben hat" (Serxwerbun 222, S.12-14).
Mit den PDS-Abgeordneten Jelpke und Hübner, dem Öcalan- Anwalt Eberhard Schulz, den IPPNW-VertreterInnen Prof. Dr.Gottstein und Dr. Pentecker und dem Herausgeber des Kurdistan-Rundbriefs, Rüdiger Lötzer unterzeichneten 75 weitere Personen einen Offenen Brief, in dem sie den Präsidialrat der PKK aufforderten, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Auch die bündnisgrüne Abgeordnete Claudia Roth wandte sich in einem eigenen Brief an die PKK-Führung.
Die Reaktionen kamen prompt. Die UnterzeichnerInnen des Offenen Briefs seien Teil eines internationalen Komplotts gegen die Partei, hieß es in den kurdischen Medien, verbunden mit unterschwelligen Drohungen: "Die Betreiber dieses Komplotts verfolgten das Ziel, die PKK zu zersplittern, indem sie unseren Vorsitzenden angriffen", erklärte Präsidialratsmitglied Cemil Bayik in Medya-TV am 16.Juli. "Diejenigen, die momentan ihre Angriffe auf die PKK fortsetzen, werden bald erkennen, mit wem sie es wirklich zu tun haben. Sehr bald werden sie ihren Irrtum und die Irrealität ihrer Berechnungen einsehen … Nieder mit dem internationalen Komplott und seinen Helfershelfern!" (Presseerklärung, Präsidialrat vom 14.7.2000.)
Die Inhaftierung von parteiinternen KritikerInnen wird von der PKK grundsätzlich bestritten und entsprechende Meldungen werden als Verleumdungen abgetan. Zwar sei für Abtrünnige die "höchste Strafe" gefordert worden, dabei handle es sich jedoch um den Ausschluss aus der Partei. Vor dem Hintergrund von tätlichen Übergriffen und Drohungen gegen AussteigerInnen hier in Europa erscheint diese Erklärung allerdings wenig glaubwürdig. Im übrigen seien die KritikerInnen zu Talabanis PUK übergelaufen.
Auch aus den Reihen der deutschen Kurdistan-Solidarität hagelt es bis heute Proteste gegen die UnterzeichnerInnen. "Der Staat verhaftet und verurteilt, die linken und nationalistischen KritikerInnen beklagen die ‚Kapitulation‘ bzw. Sinnlosigkeit der neuen Politik. Selbst die Vorwürfe, mit denen Stimmung gegen die PKK gemacht wird, sind die selben geblieben: parteiinterne Säuberungen … Die VerfasserInnen des offenen Briefs an den Präsidialrat machten sich nicht einmal die Mühe, die Quellen der Vorwürfe zu benennen", heißt es in einem Schreiben der Informationsstelle Kurdistan.
Wenn ein Komplott in Sicht ist, darf auch Hans Branscheid, Aktivist in Kurdistan-Gruppen, nicht fehlen, der alsbald unter der Überschrift "Fame & Fiction" wissen ließ, dass der Brief den "Verdacht erregt, dass es hier um die Stiftung von Unruhe, Verdacht und Diversion geht, nicht um Tatsachenaufklärung."
Waren die UnterzeichnerInnen wirklich so naiv, sich vor ein Komplott spannen zu lassen? Oder wurden sie gar, wie die englischsprachige Internetausgabe von Özgür Politika am 5.8. meldet dazu gezwungen? Ein Blick in die PKK-Zeitschrift Serxwerbun gibt Auskunft. In derselben Ausgabe, in der Öcalan laut über notwendige Strafmaßnahmen nachdenkt, begründet der Präsidialrat die den KritikerInnen unterstellte Verschwörung mit den später bestrittenen Festnahmen:
"Der von uns geführte Kampf, die von uns durchgeführten Festnahmen und die Informationen, die wir bei den Verhören herausbekommen haben, zeigen dies … so werden wir zu einer Organisation, die jede Art von Komplott besiegt. Selbst wenn einige Agenten und Provokateure in unseren Reihen die Partei von innen zerstören wollen, werden sie sofort verhaftet … und mit ihnen abgerechnet; wir können jede Art von Liquidatorentum und sämtliche Probleme auf diese Weise überwinden."
Die UnterzeichnerInnen wurden vom Präsidialrat aufgefordert, selber nach Südkurdistan zu kommen und sich vor Ort von der Situation zu überzeugen. Seit die Abgeordneten Jelpke und Hübner diese Einladung angenommen haben, schweigt sich die PKK jedoch über die praktische Realisierung einer Delegationsreise aus.

Knut Rauchfuss


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