Sozialistische Zeitung |
Der Vorstoß des bayrischen Innenministers, die NPD zu verbieten, hat eine breite Auseinandersetzung
mit Rechtsextremismus und Faschismus in Gang gesetzt, die die gesamte Gesellschaft erfasst. Die Frage ist nicht mehr: Soll man etwas gegen
Nazis und Rechtsextreme tun, die Frage ist: Was soll man tun?
Der Nebeneffekt war von Beckstein sicherlich unbeabsichtigt,
wahrscheinlich kommt er ihm auch höchst unerwünscht und ungelegen, eröffnet er doch wieder Spielräume für
eine antifaschistische Politik von links. Dennoch bleibt, dass dieser Nebeneffekt positiv ist: Jeder Miniverein entdeckt jetzt seine
Verantwortung, etwas gegen rechts zu tun. Für die deutsche Gesellschaft, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die notwendige
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Wurzeln immer wieder mit der Gleichsetzung von links und rechts zugedeckt hat,
wäre es ein erheblicher Fortschritt, wenn der neue Aufbruch gegen rechts nicht wieder in derselben Sackgasse mündete, sondern
tatsächlich ein gesellschaftlicher Konsens erreicht werden könnte, dass rechtsextremes Gedankengut in all seinen
Ausprägungen zu ächten und zu bekämpfen ist.
Es lohnt, sich in den Streit einzumischen. Gepaart mit neuen Aktionsformen
und -bündnissen könnte er durchaus zu einem Rückgrat für eine Reaktivierung und Neuorganisierung der deutschen
Linken werden.
Verfehlte Ansätze
Eine kapitalismuskritische Linke hat ihren Ansatz verfehlt, wenn sie es nicht vermag,
den Aufschwung des Rechtsextremismus in den 90er Jahren in Beziehung zur Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft in der BRD zu
setzen. Das bedeutet, dass sie sich von zwei Ansätzen, Politik "gegen rechts" zu machen, deutlich absetzen muss:
1.
Der Ansatz, der der Verbotsforderung selbst zugrunde liegt - der Einfachheit halber sei er hier der autoritäre Ansatz genannt. Ihn vertreten
nicht nur Konservative, sondern auch nicht wenige, vor allem regierende, Sozialdemokraten. Schily und Beckstein bilden ein Paar. Sie teilen
mit der NPD nicht nur ausländerfeindliche und deutschnationale Gesinnung, sie sind selbst der wirkungsvollste Verstärker der
chauvinistischen Propaganda: Das Boot ist voll.
Verboten werden soll die NPD nicht wegen der rechtsextremen Gesinnung,
die sie verbreitet, sondern wegen der Gewaltakte, die sich in ihrem Umfeld konzentrieren. Es ist für das Image des Wirtschaftsstandorts
Deutschland einfach nicht zuträglich, dass wöchentlich Ausländer überfallen und zu Tode geprügelt werden.
Schließlich globalisiert sich auch der Arbeitsmarkt, und ein "weltoffenes" Klima ist eine zentrale Voraussetzung dafür,
den Wettbewerb um das "Humankapital" aus dem Ausland zu gewinnen, wie es in der menschenverachtenden Sprache der
Wirtschaft heißt. Es ist kein Zufall, dass wir gerade die Greencarddebatte hatten.
Eine solche "Bekämpfung" des Rechtsextremismus, die
nur darauf abzielt, ihr Gewaltpotenzial auszuschalten, ist freilich etwas ganz anderes als der Kampf gegen die zunehmende Ausbreitung
rechtsextremen Gedankenguts.
Die CSU zielt darauf ab, eine unliebsame Konkurrenz auf der Rechten
loszuwerden (vgl. auch den Vorschlag von Michael Glos, Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, die DVU gleich mitzuverbieten).
Schily verteidigt das Gewaltmonopol des Staates. Derselbe Beckstein, der das Verbot der NPD fordert, fordert auch die Abschaffung des
Asylrechts.
Auf diese Weise wird nur einer anderen Variante des Rechtsextremismus
der Weg geebnet, die sich in bürgerlicher Wohlanständigkeit übt. Das Ergebnis könnte eine deutsche FPÖ sein,
gegen die die bürgerlich-demokratische Öffentlichkeit hilflos ist. Wie sie schon einmal war: Es sei daran erinnert, auch Hitler ist
legal an die Macht gekommen.
Diese Einwände sprechen nicht dagegen, die NPD zu verbieten. Es
ist nicht einzusehen, warum eine rechtsextreme Partei mit dem Parteienprivileg ausgestattet sein soll. Man soll nur nicht Becksteins Initiative
als eine gegen rechtsextreme Gesinnung und Politik missverstehen. Man soll nicht übersehen, dass für viele der Ruf nach dem
Verbot der NPD der Ruf nach dem starken Staat ist, der es richten soll, weil sie selbst nicht mit solchen Fragen belästigt werden wollen.
Und man muss verhindern, dass hier ein billiger Vorwand für die Wiedereinführung von Schnellgerichtsverfahren und andere
undemokratische Instrumente gefunden wird.
2. Erstaunlich viele haben sich in der Debatte zu Wort gemeldet, die die
Oberflächlichkeit und Heuchelei der bayrischen Initiative anprangern und eine Ächtung des Rechtsextremismus fordern. Die
meisten bleiben jedoch dabei stehen, dass sie geschichtliche Kenntnisse und demokratische Werte für unzureichend vermittelt halten.
Sorgfältig blenden sie dabei aus, dass Einstellungen nicht etwas sind, was vom Himmel fällt, sondern - gerade bei Jugendlichen -
ein Resultat der Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Umfeld, der Sicht auf die eigenen Zukunftschancen und der
Glaubwürdigkeit von Identifikationsangeboten.
Verständlicherweise tut es unserer wohlmeinenden, politisch
liberalen und aufgeklärten gesellschaftlichen Elite, zu der auch die Führungetagen des DGB gehören, weh zugeben zu
müssen, dass diese Gesellschaft für einen wachsenden Teil junger Menschen weder eine sinnvolle gesellschaftliche Aufgabe, noch
eine gesicherte Existenz, noch eine soziale Identität zu bieten hat.
Verschiedene neuere Studien über Ursachen des Rechtsextremismus
belegen den Zusammenhang von "Statusverlust, Deprivation, Frustration und rechtsextremer Einstellung". Nicht in dem Sinne, dass
sich ein einfacher Bindestrich ziehen ließe zwischen Einkommen, Arbeit und Einstellung. Da sind die Zusammenhänge
komplizierter. Sehr wohl aber ist die Haltung verbreitet, die Gesellschaftsordnung der BRD sei "ungerecht", man selbst fühlt
sich zurückgesetzt.
Wo Markt und Geld alles, Solidarität hingegen ein Unwort ist, wird
Identität gewonnen aus der Abgrenzung gegen die Schwächeren im Konkurrenzkampf um Aufstiegschancen, Verdienst und Einfluss.
Das steht durchaus im Einklang mit dem offiziellen Credo der neoliberalen Ideologie, die seit zwanzig Jahren nicht müde wird zu
predigen, dass es keine Gesellschaft mehr gibt, dass es nur darauf ankommt, sich zu bereichern und den Weg an die Spitze zu erkämpfen.
Dabei ist das Individuum auf sich allein gestellt, führt einen Kampf
aller gegen alle. Es ist ein gesellschaftlicher Kriegszustand, in dem sich eine brutale Hackordnung herausbildet. Menschen sind nicht mehr
gleich-, sondern verschiedenwertig, Leben ist unwert, wenn es nicht bestimmten Leistungsanforderungen entspricht, Menschen sind
überzählig und am besten auszurotten, damit es den anderen, "den Leistungsträgern", besser gehen kann.
Ist der Skinhead, der im Kampf um "deutsche Arbeitsplätze
für Deutsche" den Angolaner erschlägt, wirklich soweit entfernt von dem deutschen Konzern, der im Kampf um den
"Wirtschaftsstandort Deutschland" den Menschen in Afrika, Asien, Lateinamerika die Lebensgrundlagen raubt?
Deutsche Konzernchefs sprechen mittlerweile unverblümt vom
"Krieg", den sie um Rohstoffe und billige Arbeitskräfte führen müssten, und all ihr Bestreben geht dahin, die
Belegschaften und die Öffentlichkeit in diesem Krieg hinter sich zu scharen. Lohnkonkurrenz ist ein wichtiges Element darin - was
Wunder, dass der Kampf um den besten Platz dabei auch mal mit gewalttätigen Mitteln geführt wird?
Eine in der Zeitschrift WSI vorgestellte Studie stellt ausdrücklich den
Zusammenhang zwischen dem Programm "Zukunftssicherung des Standorts Deutschland" und der Mobilisierung von nationalen
Einstellungen her. Auch das "Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit" setzt sich zum Ziel, alle nationalen
Ressourcen im Wirtschaftskrieg gegen die beiden großen Kontrahenten USA und Japan zu mobilisieren.
Eine jüngst von Sozialwissenschaftlern an der Freien
Universität Berlin veröffentlichten Studie kommt deshalb zu dem Ergebnis, der Kampf gegen Rechtsextremismus müsse in
der Mitte der Gesellschaft ansetzen und die Krise der Demokratie anpacken, statt sich auf das NPD-Verbot zu konzentrieren.
Ein
kleiner Aktionskatalog
Das trifft genau des Pudels Kern: Der heutige Rechtsextremismus ist kein Aufbäumen ewig Gestriger, er
hat seine Wurzeln in der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung. Er ist eine - verheerende - Antwort auf die Krise des kapitalistischen
Entwicklungsmodells und seine Folgen. Eine Antwort, die man nur bekämpfen kann, wenn man einen anderen Ausweg aus der Krise
zeigt.
Eine antifaschistische Strategie, die an den Ursachen ansetzen will,
müsste sich mindestens folgende Aufgaben vornehmen:
1. Die Lohnkonkurrenz muss gestoppt werden. Auf dem sich
globalisierenden Arbeitsmarkt müssen Schutzmechanismen eingeführt werden, die für alle Menschen gleichermaßen
gelten, die hier leben und arbeiten.
Dies ist natürlich vorrangig eine Aufgabe für die
Gewerkschaften. Allerdings bedeutet das, dass Gewerkschaften in anderer Weise als bisher ihre Tarif- und Sozialpolitik mit Fragen der
Migration und vor allem der internationalen Handlungsfähigkeit verknüpfen müssen.
Die Antwort auf die Losung "Deutsche Arbeitsplätze für
Deutsche" heißt: Aufhebung der Lohnkonkurrenz durch internationalen Zusammenschluss der Arbeitervertretungen, gemeinsame
Lohn- und Sozialstandards. Die Bereitschaft der Gewerkschaften, mit den Konzernherrn einen nationalen Pakt gegen die Menschen in der
Dritten Welt einzugehen ist das größte Hindernis, das es dabei zu überwinden gilt.
2. Antifaschismus und Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit darf nicht
länger nur die Aufgabe von spezialisierten Initiativen sein; er muss integraler Bestandteil gewerkschaftlicher und sozialer
Auseinandersetzungen werden.
3. Der Staat muss vor allem die Möglichkeiten der Betroffenen
fördern, sich selbst zu verteidigen, und er muss antifaschistische Initiativen und Einrichtungen unterstützen, dass ihr
gesellschaftlicher Wirkungsgrad steigt. Dies ist zugleich ein wichtiger Hebel, demokratische Werte und fortschrittliche Identifikationspunkte zu
entwickeln. Die Behinderungen linker Gegendemonstrationen und die Bagatellisierung rechter Straftaten sind unerträglich und
müssen gestoppt werden.
4. Die rechtliche und materielle Gleichstellung hier lebender
"Ausländer" und vor allem der Erhalt und die Ausweitung des Asylrechts sind wichtige Meilensteine in der Schaffung eines
gesellschaftlichen Klimas, das ausländerfreundlich und nazifeindlich ist.
5. Die Gewerkschaften müssen sich nicht wundern, dass
rechtsextremes Gedankengut in der Gewerkschaftsjugend so weite Verbreitung gefunden hat. Mit der Entpolitisierung und dem massiven Abbau
ihrer Bildungsarbeit tragen sie ein erhebliches Maß an Verantwortung dafür. Sie müssen jetzt die Initiative ergreifen, dass in
den Gewerkschaften eine breite Debatte über Ursachen und Strategien gegen Rechtsextremismus in Gang kommt.
Gleichzeitig muss man würdigen, dass einzelne
Landesverbände, gerade auch im Osten, seit Jahren eine vorbildliche antifaschistische Arbeit leisten, die es wert ist, mit allen Mitteln
unterstützt zu werden. Vielleicht könnte von diesen der Impuls zu einer Koordinierung aller fortschrittlichen antifaschistischen und
antirassistischen Intiativen auf Bundesebene ausgehen. Je stärker die Gewerkschaften sich im antifaschistischen Kampf engagieren, desto
eher werden sie wieder Zulauf von jungen Menschen erhalten.
Angela Klein