Sozialistische Zeitung |
Seit Wochen protestieren verschiedene Gruppen und Verbände gegen die von der "rot-
grünen" Regierung geplanten Neuregelungen zum Rentenversicherungssystem. Verschiedene Frauenorganisationen,
zusammengeschlossen im Frauenrat, haben eine fundierte Kritik des Regierungsentwurfs vorgelegt.
Frauen werden durch das geltende Rentenrecht benachteiligt. Frauen leben
von Renten, die im Durchschnitt etwa halb so hoch sind wie die der Männer. Der durchschnittliche Zahlbetrag der Frauenrenten lag 1998
bei 959 Mark im Gegensatz zu Männerrenten von 1784 Mark. Frauen sind in der großen Mehrheit auf die
Hinterbliebenenversorgung aus einer Ehe, also auf Witwenrenten angewiesen. Kindererziehungszeiten werden erst seit 1992 in
größerem Umfang anerkannt - da fast nur Frauen diese in Anspruch nehmen, wird ihre Familienarbeit bei der Rente kaum oder zu
wenig berücksichtigt. Hauptsächlich Frauen gehören im Alter zu den (versteckten) Armen, die zusätzlich zur Rente
ergänzende Sozialhilfe beantragen müssen.
Die geltenden Rentenfaktoren setzten sich zusammen aus Beitragszeiten und
Einkommenshöhe. Beide sind bei Frauen geringer als bei Männern. So kommen viele Frauen auf kürzere Beitragszeiten, weil
ihre Familienarbeit nicht angerechnet wird. Der Verzicht auf Erwerbstätigkeit wegen Familie, und die häufige
sozialversicherungsfreie Arbeit wirken sich ebenfalls entsprechend aus. Die Beiträge und damit auch die spätere Rente sind
niedriger als bei Männern, weil Frauen durchweg weniger verdienen, weil sie mehr und länger Teilzeitarbeit verrichten, und weil
sie oft nur in 590-Mark-Jobs beschäftigt waren.
Ebenfalls gilt, dass eine Frau um so weniger Rente erhält, desto mehr
Kinder sie aufgezogen hat - insbesondere in den alten Bundesländern. Aber auch in den neuen Bundesländern, wo die
Versicherungsdauer der Rentnerinnen nicht so stark von der der Rentner abweicht, sind die Renten der Frauen niedriger als die der
Männer, wenn auch höher als im Westen.
Mit der Bindung der Renten an die Dauer der Erwerbsarbeit und die
Höhe der Einkommen wird das Rentenrecht dem Leben von Frauen nicht gerecht. Mit der Bindung der Hinterbliebenenversorgung an eine
Ehe wird den Realitäten und Lebensentwicklungen, aber auch dem Selbstverständnis von Frauen ebenfalls nicht mehr entsprochen.
Das Rentenrecht setzt die gesellschaftliche Diskriminierung der Frauen als
in der Regel höchstens dazuverdienende Ehefrau fort, und die gesetzliche Rentenversicherung schafft mit nur wenigen umverteilenden
Faktoren (Einbeziehung der Erziehungszeiten, Rente nach Mindesteinkommen) keinen Ausgleich. Insbesondere der Beitrag kindererziehender
Frauen wird weder während der Erziehungszeit noch während der Rentenbezugszeit ausreichend berücksichtigt. Das alles ist
lange bekannt, und Frauenverbände stellen - nicht erst seit diesem Jahr - einen dringenden Handlungsbedarf für eine Rentenreform
fest.
Die Vorschläge der Bundesregierung können den vorhandenen
Reformbedarf nicht erfüllen. Das größte Problem ergibt sich aus dem generellen Sinken der gesetzlichen Renten. Das
Rentenniveau soll im Jahre 2030 - also wenn die heutigen jungen Mütter und aktiven Berufsjahrgänge in Rente gehen - bei real 61%
des Nettoverdienstes bei einem sog. "Normalrentner" liegen, gegenüber heute 70%. Man kennt diesen Normalrentner
inzwischen: 45 Versicherungsjahre hat er mit dem jeweiligen Durchschnittsverdienst erreicht, wenn er in Rente geht. Frauen erreichen diese
Werte nur selten - 1997 hatten die Neurentnerinnen im Durchschnitt nur rund 25 Versicherungsjahre erreicht, bei einem
Jahresverdienstdurchschnitt von knapp 70%.
Damit wird eine generelle Entwertung der Beiträge der jetzt aktiven
Beitragszahlerinnen eingeleitet, die sich für die schlechter verdienenden Frauen entsprechend verschärft auswirkt. Denn auch ihre
Ausbildungszeiten und beitragslosen Zeiten werden entsprechend dem persönlichen Durchschnittsverdienst abgewertet. Für
Arbeitslose gilt, dass die Zeit der Arbeitslosigkeit nicht mehr eingerechnet wird, wenn wegen des Familieneinkommens keine Arbeitslosenhilfe
gezahlt wird. Gerade Frauen sind davon häufig betroffen.
Die zusätzliche Privatversicherung kann hier keinen Ersatz leisten.
Grundsätzlich richtet sich eine Privatversicherung nur nach eingezahlten Beiträgen. Wenn diese wegen Kindererziehung,
Teilzeitarbeit oder Arbeitslosigkeit ausfallen, wird die private Zusatzrente ebenfalls niedriger. Da Privatversicherungen für Frauen
wegen der höheren Lebenserwartung höhere Prämien bei gleichen Leistungen berechnen, müssten Frauen hier mit
zusätzlichen Verschlechterungen rechnen. Als Kritiker darauf hinwiesen, versprach die SPD, eine Reform würde nur mit
geschlechtsneutral rechnenden Privatversicherungen eingerichtet. Das Prinzip eines Solidarausgleichs ist bei Privatversicherungen nicht
gegeben - ein Prinzip, das zwar schwach, aber immerhin politisch einklagbar der gesetzlichen Rentenversicherung zugehörig ist.
Auch bei den Betriebsrenten, die für eine Zusatzversorgung im Alter
herangezogen werden, sind die Frauen völlig unterversorgt. 1995 erhielten 10% der Frauen ab 65 Jahren eine Betriebsrente, im
Gegensatz zu 50% der Männer. So verschlechtert sich bei der Ersetzung von Teilen der gesetzlichen Versicherung durch private
Zusatzsysteme die relative Lage der Frauen, und damit zum Gegenteil des speziell von Frauen angemeldeten Reformbedarfs.
Eine Verbesserung verspricht die rot-grüne Regierung bei der
Anrechnung der Kindererziehungszeiten. Wenn während der ersten zehn Lebensjahre eines Kindes Teilzeit gearbeitet wird, sollen diese
Zeiten aufgewertet werden. Damit würde der Doppelbelastung von Müttern etwas mehr Rechnung getragen. Jedoch ist ein
"Pferdefuß" eingebaut: eine Aufwertung ist nur geplant bei einer Mindestversicherungsdauer von 35 Jahren, wie bei der Rente
nach Mindesteinkommen schon geregelt. Diese Mindestversicherungsdauer würde zum Ausschluss vieler Frauen aus einer solchen
"Verbesserung" führen.
Radikale Forderungen gegen den Zustand bei der
Hinterbliebenenversorgung gingen dahin, das Splittingmodell, das bei Scheidungen seit Jahren praktiziert wird, auch für die Zeit einer
Ehe einzuführen. Hauptsächlich Frauen sind als Witwen auf Versorgung aus der Ehe angewiesen, weil sie keine oder zu geringe
eigene Ansprüche aufbauen konnten. Die Einführung eines Splittingsmodells hätte bedeutet, dass die Rentenansprüche
beider Ehepartner unabhängig von der Entscheidung für Erziehungs- oder Lohnarbeit während einer bestehenden Ehe jeweils
zur Hälfte auf beide Partner aufgeteilt würden. Eine solche Regelung würde automatisch zu eigenen Ansprüchen einer
nichtverdienenden Ehefrau führen, und damit die "Versorgungsehe" für den bisher profitierenden Ehemann unattraktiver
machen. Gleichzeitig würde die Entscheidung zu Erziehungsarbeit nicht fast ausschließlich Frauen benachteiligen, da beide
Ehepartner während dieser Zeit Ansprüche erwerben, auch wenn eine nur Teilzeit oder gar nicht arbeitet.
Dieses Modell soll nicht mehr übernommen werden, angeblich aus
verfassungsmäßigen Bedenken. Diese bestehen darin, dass Männer bisher ihre "eigene" Rente ungekürzt
bekamen, unabhängig vom Tod der Ehefrau in der Rentenzeit. Eine Regelung, wie bei Tod eines Partners verfahren werden kann, ist von
verschiedenen Frauenverbänden vorgeschlagen worden, u.a. vom Juristinnenbund, oder von Fachfrauen des Deutschen Frauenrats. Darin
geht es insbesondere um die Höhe der Rente für die überlebende Partnerin im Verhältnis zur vorherigen
Gesamtversorgung.
Die Riestersche Reform hält im Wesentlichen am bisherigen Modell
fest und lässt ein Rentenanwartschaftssplittig nur auf Wunsch der beiden Ehepartner zu (allerdings mit der Möglichkeit, dass auch
nicht verheiratete Paare dies wählen können). Dieses Modell senkt die Witwenrentensätze von heute 60 auf 55% der Rente,
aus der sie abgeleitet wird. Gleichzeitig werden andere Einkommen der Witwe viel stärker herangezogen, d.h. es erfolgt eine
Bedürftigkeitsprüfung. Der jetzige Freibetrag soll nicht mehr dynamisch wachsen. Dadurch sinkt im Laufe der nächsten Jahre
die Möglichkeit für verheiratete Frauen, Witwenrenten zu beziehen. Andere Einkommensarten werden ebenfalls angerechnet. Dies
führt zu einer zukünftig geringeren Versorgung von Witwen. Bei der privaten Zusatzversicherung ist außerdem völlig
unklar, wie eine Hinterbliebenenversorgung überhaupt einbezogen werden kann - sie stellt offensichtlich keinen Ausweg für das
Problem dar.
Der Bereich der Hinterbliebenenversorgung scheint hauptsächlich als
Sparfaktor vorgesehen zu sein, für eine ausgleichend solidarische Neugestaltung fehlt aber weniger das Geld als vor allem politischer
Wille.
Vorschläge von Frauenverbänden liegen seit Jahren auf dem
Tisch. Zur Zukunftssicherung würde eine Einbeziehung der gesamten Wohnbevölkerung in die gesetzliche Rentenversicherung und
eine Heranziehung aller Einkommen zur Sozialversicherung - Beispiel Schweiz - erheblich mehr beitragen, als alles, was bisher über
private kapitalgedeckte Zusatzversorgung bei gleichzeitiger Kürzung der Sozialanteile bekannt ist.
Die Regierung geht jedoch mehr auf die Vorschläge der
europäischen Globalisierungs-Gewinner vom "European Round Table of Industrialists" ein, als auf die Vorstellungen von
GewerkschafterInnen und Frauenverbänden. Nicht nur Walter Riester, sondern insbesondere die SPD-Fraktion hätte hier
dringenden Nachholbedarf. Frauen stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, über 60% der RentnerInnen, aber ihre
Interessen finden sich im Sozialsystem weniger wieder, als die Interessen der Großindustrie nach Senkung der Lohnnebenkosten, und die
Interessen der Privatversicherungswirtschaft an den Milliarden Versicherungsbeiträgen.
Rolf Euler
Sehr gutes Material zur Rentenreform gibt es beim Deutschen Frauenrat, Simrockstr.5, 53113 Bonn, über Hildegard Witteler, Fon (0228)
949190, E-Mail [kontakt@frauenrat.de]; Ute Klammer, wissenschaftliche Referentin Hans-Böckler-Stiftung, hat zu diesem Thema aktuell
veröffentlicht: "Wenn ein langes Leben zum finanziellen Risiko wird", Frankfurter Rundschau, 2.8.2000, und
"Alterssicherung von Frauen als Aufgabe und Chance der anstehenden Rentenstrukturreform", WSI-Mitteilungen, Nr.3, 2000.
Diesem Aufsatz wurden die Zahlen entnommen.