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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.17 vom 17.08.2000, Seite 13

Ein Marshall-Plan pro Jahr

Trotz Schuldenerlass weiter Nettotransfer in den Norden

Zum Abschluss des diesjährigen G8-Gipfels auf Okinawa haben die führenden Staats- und Regierungschefs eine weltweite Verbreitung des Internet sowie Initiativen gegen Krankheiten, bewaffnete Konflikte und Terror beschlossen. Der eigentliche "politische Erfolg" des Treffens besteht allerdings darin, dass Russland nunmehr Aussichten hat, als vollwertiges Mitglied in die Runde aufgenommen zu werden (wahrscheinlich nächstes Jahr in Genua). Der wesentliche politische Misserfolg betraf den 1999 in Köln beschlossenen Schuldenerlass. Er war Gegenstand einer der zahlreichen Demonstrationen, die den Gipfel von Okinawa begleitet haben.
Die Erlassjahrkampagne Jubilee 2000 hatte im Juni 1999 den G7-Gipfel in Köln über 17 Millionen Unterschriften für die Aufhebung der untragbaren Schulden der 50 ärmsten Länder der Welt übergeben. Der Gipfel versprach, 90% der Schulden der 41 ärmsten Länder der Welt (HIPC, hochverschuldete arme Länder) zu streichen, das wollte er sich 70 Milliarden Dollar kosten lassen. Die Erlassjahrkampagne begrüßte die Initiative relativ kritiklos, was zu einer Spaltung der Bewegung führte. Seither ist Ernüchterung eingetreten und die Positionen von Jubilee 2000 haben sich radikalisiert.
In Okinawa brandmarkte Jubilee 2000 sowohl das mit 1,6 Milliarden Mark teuerste Gipfeltreffen als Vergeudung von Geld und Zeit, wie auch die verabschiedete Okinawa-Charta, in der die "globale Informationsgesellschaft" als Weg aus der Armut gepriesen wird. "Die hungernde Armen brauchen zunächst lebenswichtige Dinge wie Nahrung, Wohnungen und Strom. Sie können keine Computerkuchen essen", erklärte eine Sprecherin von Jubilee 2000.
Im Vorfeld des Gipfels von Okinawa legte das belgische Komitee für Schuldenstreichung, CADTM, eine Bilanz der Kölner Entschuldungsinitiative vor. Sie ist vernichtend.
Die Kölner Initiative war bekanntlich an Bedingungen gebunden, weshalb viele Gruppen, die für die Schuldenstreichung eintreten, sie abgelehnt haben: In den Genuss der Entschuldung kommt nur, wer drei Jahre lang das Strukturanpassungsprogramm des IWF hat über sich ergehen lassen. Eben dieses Programm, so lautet die Kritik, ist aber an vorderster Stelle für Verschuldung und Verarmung verantwortlich: durch drastische Anhebung der indirekte Besteuerung, durch ein Sparprogramm, das Ausgaben vor allem im Gesundheitswesen und in der Ausbildung kürzt, durch massive Privatisierungen, die zu Massenentlassungen führen, und durch eine ausschließlich exportorientierte Wirtschaftspolitik, die die lokale Produktion zerstört.
Bei fallenden Rohstoffpreisen gehen die Staatseinkünfte zurück und die Verschuldung nimmt zu. Die Länder südlich der Sahara geben jedes Jahr viermal soviel Geld für die Rückzahlung der Schulden aus wie für Gesundheit und Bildung.
Ein Jahr nach Köln sind nur fünf Länder überhaupt in den Genuss des Programms gekommen: Bolivien (27%), Uganda (62%), Mauretanien (31%), Tanzania (7%) und Mosambik (60%). Diesen Ländern wurden aber nicht 90% sondern zwischen 7% und 62% der Schulden erlassen - insgesamt weniger als 6% aller Schulden der HIPC-Länder und 0,7% der Weltschulden! Jede Senkung der Rohstoffpreise fängt den Schuldenerlass sofort wieder auf!
Als sechstes Land ist der Senegal für einen Teilschuldenerlass vorgesehen, allerdings nur wenn es den neuen "Strukturreformen" zustimmt. Mitte Juli sollten Burkina Faso und Honduras hinzukommen, danach Benin. Statt 90% wird diesen Ländern dann 45% ihrer Schulden erlassen sein.
Es gibt aber auch politische Auflagen. Vor dem UN-Sozialgipfel in Genf erklärte der Vertreter von Uganda, der seinem Land in Aussicht gestellte Schuldenerlass sei suspendiert worden, weil Uganda in dem Konflikt um die Großen Seen Partei ist. Dafür ist allerdings die dünne Elite des Landes verantwortlich, unter der Schuldenlast aber stöhnt die mehrheitlich arme Bevölkerung.
Für die Weltbank sind die Schulden ein Geschäft. 1998 zahlten die 41 ärmsten Länder der Welt 1,68 Millionen Dollar mehr an sie zurück, als sie erhielten. 1999 leisteten alle Dritte-Welt- Länder zusammen einen Nettotransfer von 114 Millionen Dollar an den Norden - das ist pro Jahr ein Marschall-Plan! An Zins und Tilgung zahlten alle Dritte-Welt-Länder 1999 zusammen 350 Milliarden Dollar - die gesamte staatliche Entwicklungshilfe des Nordens belief sich in dem Jahr auf nur 50 Milliarden Dollar!
Vor dem UN-Sozialgipfel bekannte der Vertreter der Weltbank, die reichen Länder hätten es nicht eilig mit dem Schuldenerlass. Tatsächlich wurden die vollmundigen Erklärungen der Regierungen nach dem Kölner Gipfel bald Lügen gestraft.
n Für die USA hatte Clinton angekündigt, sein Land wolle die Schulden der ärmsten Länder einseitig zu 100% streichen; 250 Millionen Dollar würden sofort bewilligt. Doch der Kongress bewilligte nur 63 Millionen für das Jahr 2000 und 69 Millionen für das Jahr 2001, obwohl die US-Regierung in den nächsten zehn Jahren mit einem Haushaltsüberschuss von 100 Milliarden Dollar rechnen kann. Der Rüstungshaushalt der USA beträgt jährlich 280 Milliarden Dollar, 50 Milliarden fließen allein in die Raketenabwehr. Keiner der Gläubiger des Nordens investiert mehr als 1% seines Rüstungshaushalts in den Schuldenerlass.
n Die EU beschloss Anfang Juli die Zahlung von einer Milliarde Euro in einen Sonderfonds der Weltbank. 630 Millionen Euro sind davon für Entwicklungsbanken in Afrika und der Karibik vorgesehen, 54 Millionen für Entwicklungsbanken in Lateinamerika, nur 348 Millionen für den eigentlichen Schuldenerlass.
n Japan hat eine 100%ige Schuldenstreichung angekündigt, sie jedoch an Exportkredite gebunden, die sich auf insgesamt 1,4 Milliarden Dollar belaufen.
Eine ähnliche Politik betreiben die westeuropäischen Regierungen. Sie verwenden die für den Schuldenerlass in Aussicht gestellten Gelder dafür, deutsche, französische und belgische Privatunternehmen zu entlasten, die in Ländern, die jetzt aus der Schuldenfalle nicht mehr herauskommen, in sog. "Weiße-Elefanten-Projekten" engagiert waren.
Zu solchen Projekten zählten z.B. der Inga-Staudamm am unteren Kongo oder die Klöckner-Eisen- und -Stahlwerke in Kamerun - alles Projekte, die vollständig an den lokalen Bedürfnissen vorbeigeplant waren. Die Regierungen vor Ort haben die Anlagen mit Krediten gekauft, die ihnen die Konzerne zur Verfügung stellten. Diese Kredite können nicht zurückgezahlt werden. Die wenigen Gelder, die für den Schuldenerlass eingesetzt werden, kommen jetzt nicht der lokalen Bevölkerung, sondern den Konzernen zugute, die für die katastrophale Lage dieser Länder in hohem Maß verantwortlich sind.
Nicht weniger befremdlich mutet es an, dass die Gelder für den Schuldenerlass mindestens zum Teil den Haushalten für Entwicklungshilfe entnommen werden. Die "rot-grüne" Bundesregierung hat diesen Haushalt um 8,5% gekürzt!
Frankreich und Japan haben einen Modus für den Schuldenerlass gewählt, der auf eine andere Form der Exporthilfe für ihre Waren hinausläuft. Die Länder des Südens müssen ihre Schulden weiter bedienen, ein Teil dieser Gelder wird ihnen zurückgespendet, aber nur, wenn sie damit Güter und Dienstleistungen französischer und japanischer Konzerne kaufen. So landet das Geld wieder bei den Reichen.
In diesem Licht ist auch Japans Ankündigung zu sehen, die Verbreitung des Internet in der Dritten Welt mit 15 Milliarden Dollar zu unterstützen. Es handelt sich dabei um eine Exporthilfe für die japanische Computerindustrie. Präsident Chirac macht den Schuldenerlass davon abhängig, dass die afrikanischen Länder ihre öffentlichen Dienste privatisieren und für französische Multis öffnen. Auf diese Weise haben Bouyges, Vivendi u.a. große Teile der Wirtschaften der früheren französischen Kolonien in Afrika zu Discountpreisen gekauft.

Quelle: Nachrichten der CADTM, cadtm@skynet.be.


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