Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2000, Seite 15

Dancer in the dark

USA/Schweden 2000, Regie: Lars von Trier; mit Björk, Catherine Deneuve u.a., Musik: Björk (Start: 28.9.2000).

Ein Melodrama, das als Dokumentarfilm daherkommt. So in etwa könnte man Lars von Triers neues Werk Dancer in the dark charakterisieren.
Die Hauptperson Selma Jezkova - dargestellt von der isländischen Sängerin Björk - ist eine tschechische Einwandererin in den USA in den 50er Jahren. Sie leidet unter einer unheilbaren Augenkrankheit, die zur Erblindung führen wird. Ihr Sohn leidet unter der gleichen Krankheit. Er kann aber noch geheilt werden, wenn er spätestens mit 13 operiert wird. Deshalb macht Selma - eine einfache Fabrikarbeiterin - Überstunden und Sonderschichten.
Sie lebt nur dafür, das notwendige Geld für die Operation ihres Sohnes zusammenzubekommen. Als sie den Betrag fast zusammen hat, wird er ihr von ihrem Vermieter und vermeintlichen Freund gestohlen. Dieser - ein Polizeibeamter mit Herz, gewissermaßen die US-amerikanische Variante von Oskar, dem freundlichen Polizisten - steckt in Geldschwierigkeiten und Selmas Ersparnisse in der Keksdose kommen ihm da gerade recht.
Von Selma wegen des Diebstahls zur Rede gestellt, versucht er nicht, seine Tat zu leugnen. Er will sie nur überreden, ihm das Geld zu leihen. Das lehnt sie kategorisch ab und nimmt die Summe wieder an sich. Daraufhin droht er mit der Polizei, der er sagen will, Selma habe ihn bestohlen, da sie ja nicht beweisen kann, dass das Geld ihr gehört. Schließlich zieht er seine Waffe.
Es beginnt ein merkwürdiges Duell zwischen einer kleinen, schmächtigen und halbblinden Frau und einem großen, kräftigen, vor Gesundheit strotzenden Mann. Trotzdem verletzt Selma ihren Gegner mit seiner eigenen Waffe. Daraufhin bittet dieser sie, ihn zu töten, was sie auch macht. Selma verlässt das Haus, um zu ihrer Musicalprobe zu fahren. Dort wird sie von der Polizei festgenommen, vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Nachdem sie es abgelehnt hat, durch einen Anwalt die Wiederaufnahme des Verfahrens betreiben zu lassen, weil dazu das für die Heilung ihres Sohnes bestimmte Geld verwendet werden müsste, wird sie schließlich gehängt.
Wenn die geneigte Leserin oder der geneigte Leser jetzt denkt, dass die Handlung etwas wirr und teilweise kitschig ist, so hat sie/er Recht. Das ganze wird allerdings durch bestimmte stilistische Eigenarten des dänischen Kultregisseurs und Mitbegründers der Dogma-Gruppe etwas abgemildert. Er arbeitet auch in diesem Film überwiegend mit Handkameras, mit schnellen Schnitten, ungewöhnlichen Perspektiven und z.T. bewusst verwackelten Bildern. Dadurch gewinnt der Film vermeintliche Autentizität. Man gewinnt den Eindruck, als sei bei dem gesamten Geschehen "zufällig" ein Kameramann anwesend gewesen. Durch diesen Trick wird die Melodramatik der Handlung abgeschwächt, d.h. sie ist weniger klar und man wird stärker in den Film hinein gezogen. Ein Verfremdungseffekt trägt also dazu bei, eine völlig unglaubwürdige Handlung glaubwürdig zu machen.
Ein weiteres wichtiges Element des Films ist die positive Bezugnahme auf die US- amerikanischen Musicals der 40er und 50er Jahre. Selmas einziges Vergnügen im Leben sind diese Musicals und sie gehört selber einer Laiengruppe an, die ein solches Stück probt. Ein wichtiges Stilmittel des Films ist die Darstellung von Selmas Tagträumen als Musicalszenen. Dabei entstehen durchaus eindrucksvolle Bilder, wie die von tanzenden Holzfällern auf einem fahrenden Güterwaggon.
Von Trier stellt eine Figur in den Mittelpunkt, die eine Art Wiedergeburt der heiligen Jungfrau Maria ist. Sie ist keusch - sie lehnt es ab, einen "boy friend" zu haben -, opfert sich völlig für die Gesundheit ihres Sohnes auf bis hin zur Aufgabe ihres eigenen Lebens. So wird sie zum Opfer einer barbarischen Justiz. Diese letzte Opfer ist aber nur die Krönung eines Lebens, in dem Selma nie etwas anderes als Opfer war und sein wollte. Von Emanzipation ist weit und breit keine Spur.
So hat Lars von Trier eine ästhetisch und filmtechnisch durchaus anspruchsvollen Film geschaffen. Auch Björks Leistung als Hauptdarstellerin ist auf jeden Fall eindrucksvoll. Inhaltlich dürfte der Film jedoch vor allem dem Papst und seinen Geistesverwandten gefallen, nicht von ungefähr ist Lars von Trier vor einigen Jahren zum Katholizismus konvertiert.

Andreas Bodden

Dancer in the dark, USA/Schweden 2000, Regie: Lars von Trier; mit Björk, Catherine Deneuve u.a., Musik: Björk (Start: 28.9.2000).


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