Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 31.08.2000, Seite 15

Gründlichkeit und menschliche Wärme

Zum Tode von Fred Gebhard

Was man heute - wie üblich modernisiert- als politische Sozialisation bezeichnet: Ich bin in ein linkes Milieu hineingeboren", bemerkte Fred Gebhard erst kürzlich bei einem Gespräch, obgleich er sonst immer sehr zurückhaltend auf Fragen nach seiner Herkunft und Kindheit reagierte. Denn es lag ihm fern, seine politische Herkunft unter Beweis zu stellen, wie das viele in seiner Umgebung betrieben. "Wer weiß, was dabei herauskommen möchte, wenn man deren Daten und Taten mal genauer überprüfen würde", meinte Gebhard gelegentlich in Zeiten, als es für einen Aufstieg in der SPD noch nützlich erschien, auf eine linke Vergangenheit zu verweisen. Fred Gebhards Großvater mütterlicherseits, Friedrich Puchta, gehörte bereits als engagierter jüdischer Sozialist dem Reichstag an. Der Abgeordnete Puchta starb im Frühjahr 1945 im KZ Buchenwald, kurz vor der Befreiung. An "Lungenentzündung", ist in den Akten vermerkt.
Fred Gebhard kam 1928 in der Nähe von Bayreuth (Oberfranken) zur Welt. Dort wurde er zwar eingeschult; doch als Naziterror und Judenhass in der näheren Umgebung wuchsen, suchte die Mutter mit ihren drei Kindern - Fred hatte zwei Schwestern - in Berlin Zuflucht. Die Familie entkam den Nazi-Schergen, weil sie bis 1945 "verdeckt" lebte. Aber eine zurückgedrängte Angst ist Fred aus dieser Zeit geblieben. Um so entschiedener trat er in seinem gesamten politischen Leben gegen jede Art von Rassismus und Neofaschismus auf.
Der Tradition des Friedrich Puchta folgend, wurden Fred und seine Mutter 1946 Mitglieder der SPD. Fred, der zunächst auch Mitglied der FDJ wurde, protestierte damals gegen die Art und Weise, wie die Vereinigung von SPD und KPD in Berlin vollzogen wurde. 1947 verliess er Berlin und nahm in Stuttgart seinen Wohnsitz. Dort engagierte er sich bei der sozialistischen Jugendorganisation "Die Falken" und stieg bis in deren Bundesvorstand auf. Als der Kalte Krieg auch in diese Organisation hineinschwappte, versuchte Fred mit Gleichgesinnten eine sozialistische Abwehrkraft dagegen aufzubauen. "Besonders in Deutschland", pflegte er zu sagen, "ist der Antikommunismus stets benutzt worden, um einem viel weitreichenderen Antisozialismus freie Bahn zu schaffen".
Auch in seinen späteren Funktionen in der SPD (Frankfurter SPD- Vorsitzender, Landtagsabgeordneter in Hessen und ehrenamtliches Magistratsmitglied in Frankfurt) hielt er linken Kurs. Fred Gebhard schöpfte neue Hoffnung, als Willy Brandt, mit dem er persönlich gut bekannt war, eine neue Politik in dieser Partei einleitete. Er hielt u.a. auch engen Kontakt mit Oskar Lafontaine.
"Doch dann", sagte er, "ist die SPD Schritt für Schritt an mir vorbei nach rechts marschiert, bis in neoliberale Gefilde hinein. Und im Jugoslawien-Krieg hat meine frühere Partei die in ihr verbliebenen Friedens- und Völkerrechtspositionen selbst mit niedergebombt." 1998 hatte Fred Gebhard trotz aller persönlichen Verwurzelungen die SPD verlassen. Danach war er froh darüber, in der PDS-Bundestagsfraktion im Sinne seiner Überzeugungen mitarbeiten zu können. Er engagierte sich im Ausschuss für Menschenrechte und in der Außenpolitik. Vor allem befasste er sich mit Fragen des Nahen Ostens, mit denen er gut vertraut war.
Gelegentlich verbarg sich hinter seinem Schnurrbart ein leichtes Lächeln, wenn ihm junge Genossen mit stürmischem Elan einen sich zu langsam bewegenden "Sozialdemokratismus" vorwarfen. Was Mancher für Zögern hielt, war tatsächlich Fred Gebhards Vorliebe für eine gründliche Auseinandersetzung mit politischen Problemen: aus seiner Erfahrung resultierte eine Skepsis gegenüber jeglicher Absolutheit und all zu goßer Spontaneität. Seine politischen Überlegungen waren stets gepaart mit anrührender Wärme und Menschlichkeit.
Fred Gebhard ist gestern nach langer Krankheit gestorben. Nicht nur seine Frau Esther und zwei Töchter und Schwestern trauern um ihn. Er hinterlässt eine schmerzhaft fühlbare Lücke in den Reihen der Sozialisten, weit über die PDS hinaus.

Heiner Halberstadt


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