Sozialistische Zeitung |
Zum erstenmal in der Geschichte haben die meisten Staaten der Welt eine demokratische Ordnung. In den
vergangenen zwanzig Jahren hat die Herrschaft von Einheitsparteien oder Militärjuntas in über 100 Staaten der Wahlurne Platz
gemacht.
Diese stolze Bilanz präsentierte das Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen (UNDP). Sie wird jedoch erheblich dadurch getrübt, dass in vielen Ländern Fortschritte bei bürgerlichen
Freiheiten durch wirtschaftlichen Stillstand oder Rezession bedroht sind. Auch in Demokratien wird Politik hinter verschlossenen Türen
gemacht - ob es hierbei um die Beseitigung von Slums oder um Abholzungen geht, bei denen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren.
Die Achillesferse vieler Demokratien ist die Ausgrenzung von Minderheiten. Das
könne, so der Bericht, zu Gewalt und sogar zu Krieg führen wie in Sri Lanka und in Ex-Jugoslawien. In Westeuropa sind
EinwanderInnen Opfer von Rassismus und Gewalt.
Der diesjährige Jahresbericht des United Nations Development Program
(UNDP) enthält eine Rangordnung von 174 Staaten, die nach Lebenserwartung, Ausbildung, Einkommen und anderen sozialen Faktoren
bewertet werden. Der Bericht schließt daraus, dass der Reichtum so ungleich verteilt ist wie noch nie zuvor. Trotz Fortschritten in der
Alphabetisierung von Erwachsenen (sie stieg von 64 auf 78%) und im Gesundheitswesen hat sich die soziale Kluft sowohl zwischen den
Staaten als auch innerhalb der Gesellschaften verbreitert. Der Besitz der drei reichsten Männer der Welt übersteigt das Einkommen
der 582 Millionen Menschen in den 48 ärmsten Ländern, das 148 Milliarden Dollar beträgt.
Pierre Simonitsch, der in Genf zu den bestinformierten Kennern der Vereinten
Nationen gehört, erinnert daran, dass vor fünf Jahren auf dem UN-Sozialgipfel in Kopenhagen alle 188 Mitgliedstaaten der UNO
zehn Verpflichtungen eingingen - die allerdings nur Absichtserklärungen waren - in denen es um die "soziale Entwicklung in einer
globalen Welt" ging. Der Schwerpunkt lag auf drei Themen: Ausrottung der Armut, Vollbeschäftigung durch Schaffung produktiver
Arbeitsplätze und gesellschaftliche Integration.
Der Folgegipfel im vergangenen Juni in Genf sollte prüfen, was davon
erfüllt worden ist. Pierre Simonitsch stellte fest, dass die in den vergangenen fünf Jahren erzielten sozialen Fortschritte "zu
wenig Freude Anlass geben". Von den 188 Staaten, die in Kopenhagen gelobten, die Armut zu bekämpfen, haben nur 38 konkrete
Pläne vorgelegt. Nach wie vor müssen schätzungsweise 1,3 Milliarden Menschen mit weniger als einem Dollar pro Tag (2
DM) auskommen.
Die Zahl der extrem Armen sollte bis zum Jahr 2015 auf unter 700 Millionen halbiert
werden. Aber die Finanzkrise in Asien und die wachsende Arbeitslosigkeit weltweit machten einen Strich durch die Rechnung. "Die
Liberalisierung des Welthandels und die Deregulierung der Wirtschaft verschärften die sozialen Unterschiede. Obgleich es jetzt in den
USA und in Westeuropa mit der Wirtschaft wieder aufwärts geht, spürt die Dritte Welt bislang kaum etwas von einem Aufschwung.
Asien leidet immer noch an den sozialen Folgen der Finanzkrise, die nach den Schätzungen der UN durch ihre Kettenreaktion vier
Billionen Mark gekostet hat. Länder wie Indonesien wurden wirtschaftlich um 30 Jahre zurückgeworfen."
"Die Zahl der Erwerbslosen und Unterbeschäftigten wird von der
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) weltweit auf eine runde Milliarde geschätzt - ein Drittel aller Arbeitskräfte", lautet
die Bilanz von Simonitsch.
Wahlen allein reichen offensichtlich nicht aus, um Menschenrechte zu garantieren.
Dass die global operierenden Konzerne, die ein Viertel der Weltproduktion herstellen, sozial nicht in die Pflicht genommen werden, macht alle
Forderungen des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen nach einer Wirtschaftsordnung, die für soziale Gerechtigkeit sorgt, zu
Makulatur.
Che Guevara würde heute sagen: "Seattle ist die Zärtlichkeit der
Völker - zum Schutz der Armen und Benachteiligten." Oder auch: "Eins, zwei, drei Seattle…"