Sozialistische Zeitung |
Über zehn Tage haben in Mexiko ArbeiterInnen bei VW Puebla gestreikt. Sie forderten eine
Lohnerhöhung um 35%. Von staatlicher Seite wurde der Streik für illegal erklärt. Schließlich einigten sich
Gewerkschaft und Geschäftsführung auf eine Lohnerhöhung von insgesamt 21%. Am 30.August beendeten die ArbeiterInnen
den Streik.
Rund 12000 gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen hatten am 18.August die
Arbeit niedergelegt. Unter Führung der unabhängigen Gewerkschaft Sindicato Independiente de Trabajadores de la Industria
Automotriz Volkswagen de México (SITIAVW) wandten sie sich gegen die Reduzierung der Erholungstage und die Verpflichtung,
Überstunden zu leisten. Außerdem forderten sie eine Lohnerhöhungen um 35% in Anlehnung an die Produktivität, eine
verstärkte Anerkennung der Verhandlungsposition der Gewerkschaft sowie eine verbesserte Ausstattung der ArbeiterInnen mit
Arbeitsmaterial.
Nach dem Streik im Jahre 1987 ist dies der erste große Streik bei VW Puebla
um Lohn- und Arbeitsbedingungen. 1992 kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Geschäftsleitung, die jedoch in erster Linie auch
eine innergewerkschaftliche Auseinandersetzung war. Damals konnten sich die ArbeiterInnen trotz eines 37-tägigen Streiks, der sich vor
allem gegen die einseitig von der Gewerkschaftsführung unterzeichneten Verträge richtete, nicht gegen die individuelle
Neuaushandlung aller Arbeitsverträge wehren.
In den vergangen acht Jahren nun hat es seitens der Gewerkschaft verschiedene
Versuche gegeben, die Verträge neu und verbessert auszuhandeln. Gleichzeitig hat der weltweite Angriff auf Arbeitsbedingungen und
Entlohnung von Seiten des VW-Managements zu drastischen Veränderungen in der Arbeitsorganisation geführt. So wurden auch bei
VW die Gruppenarbeit eingeführt und die unter der Bezeichnung "Toyotismus" bekannten Arbeitskonzepte durchgesetzt.
Nach Aussagen der ArbeiterInnen kam es so zu einer enormen Arbeitsverdichtung in
den drei Schichten, mit denen die VW-Führung den Ausstoß der Fabrik in diesen Jahren extrem angekurbelt hatte. Vor allem durch
den Export der Modelle Jetta, Sedan, New Beetle und Golf Convertible wird in diesem Jahr mit einem Rekordergebnis in der Produktion der
Niederlassung gerechnet.
VW hatte in den letzten Jahren einen enormen Produktivitätszuwachs zu
verzeichnen, der sich einmal durch eine Reduzierung der Arbeitskräfte von ca. 20000 auf mittlerweile 12700 ergab und andererseits
durch die konsequente Umsetzung von Just-in-time-Produktionssystemen.
Der Streik bedeutete für VW Puebla einen täglichen Produktionsausfall
von 1500 Einheiten, was einem Verlust von 5 Millionen US-Dollar gleichkommt. Trotzdem wird erwartet, dass das Werk in diesem Jahr mit
einem Umsatz von 5 Milliarden Dollar bei einer Erhöhung der Ausfuhren um 32% abschließt.
Die Forderungen der Gewerkschaft, die von der Geschäftsführung in der
üblichen diffamierenden Weise als "absurd" deklariert wurden, basierten in erster Linie auf dem erhöhten Absatz, der
national um 30% und international um 40% gestiegen ist. Als Antwort auf die Gewerkschaftsforderung von 35% Lohnerhöhung bot die
Geschäftsführung 9,2% an und weigerte sich, Angebote außerhalb der Marge von 10-20% zu berücksichtigen.
Die Gewerkschaft wiederum gab am dritten Streiktag auf einer Pressekonferenz die
Reduzierung der Forderungen auf 25% bekannt und lag damit immer noch deutlich über dem Angebot der Geschäftsführung.
Über 10000 der ca. 12700 gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen hätten diese diskutiert und verabschiedet, und es sei jetzt
an der Geschäftsführung, die Verhandlungen mit besseren Angeboten voranzubringen.
Diese erklärte, dass sie solche "drastischen" Forderungen nicht
bezahlen könne, da sie ja schließlich Rücklagen für eventuelle Markteinbrüche machen müsse. Aufgrund
der in VW Puebla praktizierten Just-in-time-Produktion seien mittlerweile schon weitere 7000 Arbeiter aus der Zuliefererindustrie von
Produktionskürzungen betroffen, und für den dritten Streiktag hätten bereits sechs weitere Zulieferer Lohnkürzungen
aufgrund von Produktionsausfällen angekündigt.
Die Geschäftsführung und lokale Politiker befürchteten
darüber hinaus den Rückzug der von der deutschen VW-Zentrale angekündigten Investitionen von ca. 1650 Millionen Dollar,
durch die rund 6000 Arbeitsplätze entstehen sollen. Davon würden ca. 700 Mio. Dollar auf die Niederlassung in Puebla entfallen,
da mit 1500 Produktionseinheiten deren Kapazitäten erschöpft seien.
Am 21.August hat die Nationale Gewerkschaftsvereinigung Unión Nacional de
Trabajadores (UNT) ihre Unterstützung des Streiks der ArbeiterInnen bei VW Puebla bekanntgegeben. Die UNT hat 214
Mitgliedsgewerkschaften und insgesamt 4 Millionen Mitgliedern.
Der Gewerkschaftsvorsitzende Francisco Hernández Juárez
verdeutlichte, dass zu den vom Dachverband organisierten Unterstützungsmaßnahmen nicht nur Demonstrationen und
Öffentlichkeitsarbeit gehörten, sondern auch Solidaritätsstreiks möglich wären. Darum wurde ein
Solidaritätsposten vor dem Ministerium für Arbeit und Soziales in Mexiko-Stadt aufgestellt. Dort wurden die Verhandlungen
zwischen Gewerkschaft und Geschäftsleitung geführt.
"Wir unterstützen einfach unsere Kollegen, und berücksichtigen
dabei, dass die Geschäftsleitung sich bisher geweigert hat mit der Gewerkschaft ein Verhandlungsergebnis zu erzielen", so
Juárez. Auch die Androhung, dass die angekündigten Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe ausbleiben könnten,
ließ ihn unberührt, denn: "Wenn wir der Geschäftsleitung alles glaubten, was sie sagt, müssten wir ihr sogar noch
Geld leihen."
Streikverbot
Die Geschäftsführung reagierte auf den Streik damit, dass sie bei der für
die Überwachung des Streiks und eventueller Unregelmäßigkeiten zuständigen staatlichen Stelle, der Junta Federal de
Conciliación y Arbitraje, beantragte, den Streik für ungültig zu erklären.
Die Gewerkschaften ihrerseits kündigten an, gegen eine eventuelle
Entscheidung der Behörde zugunsten der Geschäftsführung vorgehen zu wollen. José Luis Rodríguez, der
Vorsitzende der unabhängigen VW-Gewerkschaft bekräftigte, dass die 12700 ArbeiterInnen entschlossen seien, den Streik
fortzuführen, bis die Arbeitgeberseite "begreife, dass unsere Lohnforderung weder unflexibel noch unnachgiebig ist, sondern
angemessen ist, angesichts dessen, dass die Automobilfirma in den letzten Jahren Rekordabsätze erzielt hat und dass die Qualität
der geleisteten Arbeit mit der in Europa vergleichbar ist".
Am 22.August erklärte die Junta den Streik aufgrund der Nichteinhaltung
bestimmter arbeitsrechtlicher Vorschriften für ungültig. Die VW-ArbeiterInnen demonstrierten dagegen vor der Behörde.
In zusätzlich stattfindenden Versammlungen sprachen sich über 10000
ArbeiterInnen für die Weiterführung des Kampfes aus, um das Streikziel von mittlerweile 20% effektiver Lohnerhöhung
durchzusetzen. In Radiointerviews bekräftigte José Luis Rodríguez, der Gewerkschaftsvorsitzende der
unabhängigen Gewerkschaft bei VW, deren Entschlossenheit, mit juristischen Mitteln gegen das Streikverbot anzugehen.
Die Unzufriedenheit bestimmter Gewerkschaften über die staatliche
Entscheidung, den VW-Streik für illegal zu erklären, machte sich jetzt auch in Aktionen Luft. So demonstrierten am 29.August
insgesamt ca. 1000 Arbeiter von VW und anderen UNT-Gewerkschaften mehrere Stunden vor dem Regierungspalast.
Guillermo Rodríguez Mellado, Mitglied der UNT-
Gewerkschaftsfürhung hat darüber hinaus angekündigt, dass Arbeiter aus über 100 Firmen Solidaritätsstreiks
ausrichten werden, um die mexikanische Regierung unter Druck zu setzen. Obwohl die VW-Geschäftsleitung offensichtlich im letzten
Moment eine globale Lohnerhöhung auf 20% für die Arbeiter bei VW angeboten hat, wurde dieses Angebot von José Luis
Rodríguez, dem Gewerkschaftsvorsitzenden, zurückgewiesen.
Auch aus Deutschland kam eine Solidaritätserklärung. "Die
Löhne und Arbeitsbedingungen müssen nach oben angeglichen werden und nicht nach unten!", so einige Gewerkschafter von
VW in einem Brief an ihre Kollegen in Mexiko. Sie begrüßten den Streik in Mexiko und berichteten, dass auch in Deutschland das
Konzernmanagement versuche, die Tarifverträge zu seinen Gunsten zu verändern.
Die Gewerkschafter verwiesen auch auf Arbeitskämpfe in anderen
Ländern. "Bei VW Südafrika hat das Werksmanagement Anfang des Jahres bei einen Streik der Kollegen gegen die
Suspendierung ihrer demokratisch gewählten Gewerkschaftsvertreter mit einem Ultimatum reagiert." Wer nicht wieder zur Arbeit
gekommen sei, sei entlassen worden. "Seitdem kämpfen 1300 entlassene Kollegen für ihre Wiedereinstellung."
Auch der Beschluss der mexikanischen Behörden, dass der Streik illegal sei,
wurde von den Gewerkschaftern kritisiert. Die Arbeiter hätten das Recht zu streiken, um ihre "berechtigten Forderungen"
durchzusetzen.
Gegen 23 Uhr am 30.August wurde der dreizehntägige Arbeitskonflikt bei VW
Puebla schließlich beendet. Die 12700 ArbeiterInnen erhielten 13% direkte Lohnerhöhung, 5% Produktivitätszuschlag, 2%
sonstige Sozialleistungen, sowie 1% Beihilfe zu Schulmaterialien. Damit ist die von der unabhängigen Gewerkschaft aufgestellte
Forderung von über 20% zwar erfüllt, aber angesichts der ursprünglich geforderten 35% Prozent Lohnerhöhung ist das
Ergebnis nicht eben berauschend.
Lars Stubbe