Sozialistische Zeitung |
Rund 120 blockierte Raffinerien und Treibstoffdepots im gesamten Land, 80% der Tankstellen ohne Benzin,
Straßenblockaden durch Lastwagen und Traktoren... Frankreich bot in der letzten Woche erneut ein Bild, das an die grossen
Streikbewegungen der Lkw-Fahrer und Transportarbeiter in den Jahren 1996 und 1997 erinnerte. Mit dem kleinen Unterschied freilich, dass es
dieses Mal die Unternehmerorganisationen und konservative berufsständische Gruppen waren, die das Land eine gute Woche lang im
Atem hielten.
Der Zorn, der sich letzte Woche frankreichweit Bahn brach, reifte bereits seit
Monaten heran. Hintergrund ist zunächst der Preisanstieg des Rohöls, für den Teile der Medien und die französische
Ölindustrie zurzeit die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) verantwortlich zu machen suchen.
Tatsächlich ist der Preis für den Barrel (159 Liter) Rohöl seit März 1999 von anfänglich 10 Dollar bis auf knapp
35 Dollar am Freitag voriger Woche geklettert. Es ist jedoch falsch, deswegen eine "Erpressung" des reichen Nordens durch die
OPEC-Länder zu wittern (siehe Artikel auf dieser Seite).
Der französische Wirtschaftsminister Laurent Fabius hatte bereits im
Frühjahr den Riesen der Ölindustrie einen, im staatlichen Umgang mit Industriebossen äußerst ungewohnten, scharfen
Rüffel erteilt. Diese sollten bitte schön nicht nur - wie sie sich anschickten - steigende, sondern auch sinkende Rohölpreise
an ihre Kunden weitergeben. In Wirklichkeit machen sich beim Verbraucher natürlich nur die Preiserhöhungen bemerkbar,
während die Senkungen allein die Gewinnspanne der Unternehmen nach oben treiben.
Die französische KP ihrerseits lancierte im Juli eine Kampagne unter dem
Titel "Baisse-moi" (Senk mich) - unter Anspielung an den Filmtitel "Baise-moi" (Fick mich). Auf mehr oder minder
populistische Weise suchte sie so an den Unmut der Autofahrer anzuknüpfen und die hohen Gewinne der Ölkonzerne anzuprangern,
auf die eine Sondersteuer erhoben werden solle, um eine Senkung der Verbraucherpreise zu finanzieren.
In den ersten Septembertagen waren es jedoch nicht die Kommunisten, die gegen die
steigenden Benzinpreise in militanter Form auf die Strasse gingen, sondern, im Gegenteil, die Unternehmer. Und zwar jener Branchen, die
direkt von den Öl- und Benzinpreisen betroffen sind: Lkw-Transporte, industrialisierte Landwirtschaft und - eher am Rande - die
Taxifahrer.
Im erstgenannten Fall waren es die drei Arbeitgeberorganisationen TLF, FNTR und
Unostra, die ab dem vorvergangenen Wochenende mit Blockaden von Autobahnen, Raffinerien und Zufahrten zu Treibstoffdepots begannen. Die
fünf verschiedenen Gewerkschaften der abhängig Beschäftigten in dieser sozial besonders rückschrittlichen Branche
riefen dagegen einmütig die Lohnabhängigen dazu auf, auf keinen Fall an den Aktionen teilzunehmen. Es gehe den Bossen
mitnichten darum, die Frage der Benzinpreise aus der Sicht der gesamten Verbraucherbevölkerung aufzuwerfen, sondern sie seien
lediglich auf die Verteidigung ihrer Verdienstspannen bedacht.
Die Landwirte führten einen "Tanz" durch die FNSEA durch, die
grosse konservative Lobbyorganisation der Landwirte, die vor allem als Sprachrohr einer intensiven und produktivistischen Agrarindustrie
auftritt und dafür regelmässig dem Staat Subventionen abzupressen versucht. In der Periode billiger Treibstoff-Preise hatte die
Agrarindustrie ihre Mechanisierung vorangetrieben; hierfür wird sie nunmehr durch höhere Benzin- und Dieselpreise bestraft.
Hingegen warnte die linke, umtriebige Bauernorganisation Confédération Paysanne ihre SympathisantInnen vor einer Teilnahme
an den Aktionen.
Die Regierung in Gestalt von Premier Lionel Jospin und KP-Transportminister Jean-
Claude Gayssot gab Mitte letzter Woche dem Druck der Transportunternehmer begrenzt nach. Für die Fuhrunternehmen wird die Steuer
um 35 Centimes je Liter Diesel im Jahr 2000, und 25 Centimes im Jahr 2001 gesenkt. Ferner sollen mögliche künftige
Preiserhöhungen durch steuerliche Maßnahmen ausgeglichen werden.
Die Kostensenkung kommt allerdings nur den Lkw ab einem Jahresverbrauch von
50000 Litern zugute. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 30000 Liter jährlich je Lkw profitieren damit nur die grösseren
Lkw vom Preisnachlass; ein guter Teil des Kleingewerbes ist davon ausgeschlossen.
Der Landwirtschaft sagte die Regierung 460 Millionen Francs zusätzlicher
Subventionen zu, ein Teil davon in Form von Fördermitteln für die Entwicklung von Biotreibstoff als Ölersatzstoff.
In der zweiten Wochenhälfte wurden die erheblichen Spannungen sichtbar, die
innerhalb des Unternehmerlagers herrschten. Nach der Ankündigung der Zugeständnisse der Regierung rief zunächst die TLF,
die vor allem die Großbetriebe der Branche vertritt (4500 von insgesamt 35000 Betrieben, die aber 250000 von insgesamt 370000 Lkw
im Einsatz haben), schon am Mittwoch zum Ende der Blockaden auf. Die FNTR und die Unostra hingegen - die vor allem die kleineren
Betriebe, oft Subunternehmen von TLF-Speditionen - repräsentieren, suchten den Druck aufrecht zu erhalten.
Am Freitag forderte auch die FNTR zur Beendigung der Blockaden auf, woraufhin
sich ein Teil ihrer Basis auf den Barrikaden dem Räumungsbeschluss handfest widersetzte und lautstark den Rücktritt von FNTR-
Chef René Petit verlangte. Frankreichs zentraler Arbeitgeberverband, der MEDEF, hat im Übrigen die Blockaden schon zu einem
frühen Zeitpunkt verurteilt, wohl um den abhängig Beschäftigten kein Vorbild im Hinblick auf Aktionsmethoden zu liefern.
Eine gesellschaftliche Kraft war von den Ergebnissen der Konflikte in der letzten
Woche gar nicht begeistert. Schwer verstimmt meldeten sich die Grünen zu Wort, die zunächst "die Möglichkeit einer
politischen Krise in der Regierungskoalition" - in der sie mit zwei Ministerposten vertreten sind - andeuteten, sich bald danach jedoch
leiser äußerten. In ihren Augen ist ein Preisnachlass für Treibstoff ein umweltpolitisches Unding. Denn er machte die
(ursprünglich vom Kabinett abgesegneten) Pläne der Umweltministerin zunichte, bis 2005 Jahr für Jahr die Dieselpreise - die
derzeit unter den Benzinpreisen liegen - schrittweise anzuheben, um durch die Verteuerung des Treibstoffs umweltschädliches Verhalten
zu bestrafen.
Anlässlich des Klimagipfels, der diese Woche in Lyon eröffnet wird,
werden von Premierminister Jospin unterdessen umweltpolitische Ankündigungen erwartet, diee die Ökopartei versöhnlich
stimmen sollen.
Bernhard Schmid (Paris)