Sozialistische Zeitung |
Am 23.September wird demonstriert. An diesem Wochenende ist es die Jahrestagung von IWF und Weltbank,
die den Protest in Prag herausfordern. Die Halbzeit der "rot-grünen" Bundesregierung, die eine alte Weisheit von Max
Liebermann unterstreicht, nach der es unmöglich ist so viel zu fressen, wie man kotzen müsste, verlangt nach Protesten in Berlin,
und was diese Regierung den Atomkonsens nennt, hat eine Demonstration längst überfällig gemacht.
Die Anti-AKW-Bewegung ruft daher seit einiger Zeit für den 23.September zur
Demonstration nach Gorleben auf. Es ist die erste größere Demonstration, nachdem Minister Trittin sich die ausdrückliche
Zustimmung des Parteitags der Grünen zu seiner Atompolitik geholt hat, nachdem Minister Fischer der Finanzhilfe für ein
chinesisches Atomkraftwerk zugestimmt hat und in Bezug auf die Lieferung der Hanauer Plutoniumfabrik nach Russland von "kreativen
Lösungen" sprach. Die Aktiven in der Anti-AKW-Bewegung wollen nicht warten, bis der erste Castor wieder gen Gorleben rollt,
sondern sich mit einer möglichst großen Demonstration in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückmelden.
Der sog. Atomkonsens sichert den Stromkonzernen einen "ungestörten
Betrieb" ihrer Anlagen zu. Verbindliche Ausstiegsfristen gibt es nicht, und eine Lösung für das Problem Atommüll ist
durch die langen Laufzeiten noch viel weniger in Sicht. Die 19 AKWs in der Bundesrepublik - über die Hälfte davon strahlen in
Bayern und Baden-Württemberg - werden nach den Plänen der Bundesregierung noch mehr als 5500 Tonnen radioaktiven Abfalls
produzieren, ehe sie vom Netz gehen.
Selbst alte Schrottmeiler, wie das AKW in Obrigheim, das seit 1968 am Netz ist,
sollen noch über Jahre Strom produzieren. Das der Betrieb von Obrigheim trotz der Versprödung des Reaktordruckbehälters
und völlig veralterter Kühlkreisläufe immer noch nicht eingestellt wurde, ist für sich genommen schon Skandal
genug.
Müllplätze
In den brisanten Teilen ist der Atomkonsens sehr vage formuliert. Dazu gehört vor allem
die Entsorgungsfrage. "Der Pfusch geht weiter", so das Resumee der Atomexpertin bei Greenpeace, Susanne Ochse. Dass die
Stromkonzerne weiterplanen, zeigt das Atomkraftwerk Lingen im Emsland: Die Betreiber VEW (75%), RWE (12,5%) und e-on (12,5%)
wollen Platz für 130 Castorbehälter schaffen, was bedeuten würde, dass für weitere 47 Jahre Laufzeit Platz für
Atommüll vorhanden wäre. Beim AKW Krümmel sind es sogar 60 Jahre für die der Lagerplatz geplant ist.
Die Aufbewahrung des Mülls soll in Castorbehältern erfolgen. An
diesen Behältern kritisierten Herr Trittin und seine Staatssekretärinnen, bevor sie in die Bundesregierung eintraten, dass sie
niemals praktischen Tests unterzogen waren. Gegen die großen Lagerhallen bildeten sich bereits örtliche Bürgerinitiativen.
Laut Greenpeace ist es in den Initiativen in Neckarwestheim und Philippsburg (Baden-Württemberg) allerdings so, dass nicht alle
Mitglieder der Initiative den Reaktor in ihrer Nachbarschaft abschalten wollen.
Die CSU unterstreicht die Stoßrichtung mit ihrem Protest gegen die Lagerung
bei den Atomkraftwerken: Sie will laut Greenpeace "keine Zwischenlager bauen, sondern den Atommüll lieber nach Gorleben
schicken und genießen, wie sich die rot-grüne Bundesregierung mit den Castor-Transporten herumärgert."
Die am Kompromiss beteiligten Parteien haben vereinbart, die weiteren
Erkundungen in Gorleben für mindestens drei, höchstens aber zehn Jahre auszusetzen. In dieser Zeit soll eine Expertenkomission
einen Katalog von Kriterien erstellen, die eine angehende Atommüllkippe erfüllen muss. Darüber hinaus heißt es aber
in der Konsensvereinbarung: Die "bisher gewonnenen geologischen Befunde stehen einer Eignungshöffigkeit des Salzstocks
Gorleben nicht entgegen." Zu gut deutsch bedeutet dies nichts anderes, als dass sich die Bundesregierung die Option Gorleben offen
hält und für die Einlagerung auf ruhigere Tage hofft.
Ukraine
Wolfgang Ehmke von der BI Lüchow-
Dannenberg weist allerdings noch auf eine andere Möglichkeit der Bundesregierung, den Strahlenmüll loszuwerden: "Im
Auftrag der Europäischen Kommission erstellten deutsche, englische und ukrainische Wissenschaftler eine ‚Machbarkeitsstudie
für die Atommüllendlagerung in der Ukraine. In ihrem Abschlussbericht, der 1999 vorgelegt wurde, schlägt das
Forscherteam ausgediente Erz- und Uranminen und auch das Salzbergwerk bei Artemowsk als potenzielle Endlagerstätten vor."
Wenn dann nach dem 30.Juni 2005 keine Brennstäbe mehr zur
Wiederaufbereitung nach Großbritannien und Frankreich geschickt werden dürfen (Konsensvereinbarung) und der Widerstand in
der Bundesrepublik Deutschland immer noch stark genug ist, dass er nicht ohne weiteres übergangen werden kann, könnte es
für die Betreiber eng werden. Es wird daher die Möglichkeit erwogen, den Müll in der Ukraine endzulagern. Der Zynismus
einer solchen Lagerung in dem Land, das unter den Spätfolgen der Katastrophe von Tschernobyl bis heute zu leiden hat, ist kaum noch zu
überbieten. Vor allem auf dem Hintergrund, dass in den Salzminen noch heute Speisesalz abgebaut wird und in den Salzkavernen ein
Sanatorium eingerichtet ist.
Noch aber setzt die rot-grüne Regierung auf eben jene Zwischenlager, in der
die Industrie laut Konsenspapier bis zu 40 Jahren Atommüll lagern dürfte. Genau wie so das Atommüllproblem auf die lange
Bank geschoben wird und die Strahlungsbelastung weiter steigt, wartet die Bundesregierung ab und hofft, dass nichts passiert.
Die Stromkonzerne sorgen demgegenüber, dass sie an dieser Politik optimal
Gewinn machen. Bis die deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet sind, werden also noch viele Jahre vergehen. Den Abriss lassen sich die
Konzerne allerdings schon heute bezahlen. Je Kilowattstunde Atomstrom kassieren sie schon heute mehr als 3 Pfennig vom Verbraucher.
Entsorgungsrückstellung nennen sie diese "Spareinlagen".
Stilllegung und Abriss des Atommeilers Würgassen, die nicht weniger als 1
Milliarde DM verschlingen, wurden einfach hochgerechnet, und die Konzerne können diese erst in Zukunft anfallenden Kosten schon jetzt
- steuerfrei versteht sich - auf die Seite legen. Um die 70 Milliarden Mark haben sie so schon an Rückstellungen angehäuft. Allein
das RWE hat 20 Milliarden Mark an Rücklagen aus dieser Abzocke aufgetürmt.
Durch die Anlage dieser Gelder verdienen die großen Stromkonzerne bereits
jetzt Milliarden, die sie zur Zeit nutzen, um durch Dumpingpreise Konkurrenten vom Markt zu drängen. Ohne diese Rückstellungen
könnte die Tochter des Energiewerks Baden (EnBW), Yello, kaum mit Billigstrom auf Kundenfang gehen. Vor allem die kleinen Anbieter
von Strom aus erneuerbaren Energien und aus Kraft-Wärme-Kopplung haben das Nachsehen.
Nach Berechnungen des Wuppertal-Instituts wären 10 der 19 deutschen
Atomkraftwerke ohne das lukrative Geschäft mit den Rückstellungen unwirtschaftlich.
Auf die Straße
Dies
sind sicherlich nicht alle Gründe, die deutlich machen, wie wichtig es ist, gegen diese Politik zu demonstrieren. Allerdings ist auf der
anderen Seite nicht zu übersehen, dass die Anti-AKW-Bewegung viel von ihrer Kraft verloren hat. Die Kapitulation der Grünen,
die ja einmal aus dieser Bewegung kamen, hat vor allem durch ihre Geschwindigkeit mit der sie vollzogen wurde, viel Frustration verbreitet.
Der Widerstand gegen andere "Schweinereien" dieser Regierung hat gezeigt, wie geschwächt linke soziale und politische
Bewegungen in diesem Land sind.
Allerdings ergeben sich auch einige neue Bündnisse: Die
Eisenbahnbrücke vor Gorleben steht bekanntlich unter Denkmalschutz und ist für die schweren Castor-Transporte nicht ausgelegt.
Um die Peinlichkeit zu umgehen, hier wieder eine Sonderregelung zu treffen, hatte die Atomindustrie geplant in Zukunft eine Umleitung
über Sachsen-Anhalt zu nehmen. Der Kurort Bad Arendsee sollte zum neuen Umschlagbahnhof für die Castoren werden.
Wer vierzig Jahre DDR hinter sich hat, wird sich ja wohl über den ein oder
anderen Castor nicht beschweren, hatten sich die Zuständigen wohl gedacht. Der Unmut der Bevölkerung wurde hervorgerufen, als
das Bundesamt für Strahlenschutz im August bekannt gab, dass der Antrag für die Transporte über Sachsen-Anhalt abgelehnt
werden müsse, da diese Transporte "polizeilich nicht zu sichern" seien. Sicherlich werden auf der Demo am 23.9. mehr
Menschen aus der Altmark demonstrieren als bisher, doch das reicht nicht aus.
Daher ist eigentlich jeder Atomgegner, jede Atomgegnerin aufgefordert, aus dem
Sessel hochzukommen und in Gorleben zu demonstrieren. Die Vorbereitungsgruppe zur Demonstration hat sich alle Mühe gegeben, das
Rahmenprogramm für diese Demo so attraktiv wie möglich zu gestalten. So werden Thomas Ebermann und Rainer Trampert
auftreten, die seit Monaten mit einer Art politischem Kabarett durch die Lande ziehen. Jacob von Uexküll, der "Erfinder" des
alternativen Nobelpreises, wird ebenso reden wie der Schauspieler Rolf Becker. Zugesagt hat jetzt auch schon die Magdeburger Rock-Band
"Aufbruch" und sicherlich wird bis zur Demo noch einiges an Kultur dazukommen.
Tommy Schroedter
Informationen zur Demo gibt es bei der Bürgerinitiative Lüchow-Danneberg e.V. unter Fon (05841) 5684 und auf der Webseite der
Bürgerinitiative: http://www.bi-lüchow-dannenberg.de.