Sozialistische Zeitung |
Zu Beginn des 21.Jahrhunderts scheint die Arbeiterbewegung in den USA mit mehr Energie und Engagement
gegen die Kräfte zu kämpfen, die sie so lange in die Defensive gedrängt haben. Der Eindruck rührt vielleicht von der
Tatsache, dass über eine Million Beschäftigte in den letzten zwei Jahren den Gewerkschaften beigetreten sind und die Zahl der
neuen Gewerkschaftsmitglieder die der Ausgetretenen um über eine Viertelmillion übersteigt. Vielleicht rührt er aber auch
von der für alle sichtbaren Erfahrung von Seattle und der Aussicht auf neue Bündnisse.
Mehrere Gewerkschaftsführer schienen in der letzten Zeit bereit, eine neue
Richtung einzuschlagen. Führende Vertreter der Stahlarbeitergewerkschaft veranstalteten Versammlungen mit studentischen Aktivisten.
UNITE unterstützte Anti-Sweatshop-Kampagnen auf dem Campus. Der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO revidierte seine Position zu
den Arbeitsmigranten und trat zum ersten Mal für eine Amnestie für illegal Eingewanderte ein. Und natürlich gab es die
Sache in Seattle.
Bei der AFL-CIO setzte sich dieser Trend auf der Sitzung des Exekutivrats im
Februar 2000 in New Orleans fort. Dieser trat ausdrücklich für die Unterstützung des National Labor Day of Action ein, den
Studierende gegen Sweatshops am 4.April organisierten, für das studentische Aktionsprojekt Arbeit und andere Initiativen der
Studierenden zu Fragen der Arbeitswelt.
Der Exekutivrat versprach auch, im Frühjahr zu einer Konferenz über
"Entwicklung und Arbeiterrechte" einzuladen, die im Wesentlichen das Bündnisspektrum von Seattle zusammenführen
sollte. Außerdem betrat die AFL-CIO Neuland, indem sie eine international orientierte Kampagne lancierte, die über
gewerkschaftliche Fragen hinausgehen und in einen "neuen Internationalismus" münden sollte.
Auf der Sitzung in New Orleans schlug AFL-CIO-Präsident John Sweeney
starke internationalistische Töne an. Unter dem Label "Kampagne für globale Fairness" skizzierte der Verband eine
Politik, die eine Abkehr von der hundertjährigen Unterstützung des US-Imperialismus bedeutete.
Sweeney hatte schon bei seinem Amtseintritt die krassesten Überbleibsel des
Kalten Krieges beiseite geschoben, aber das war nur eine partielle Wende, die kaum einen Einfluss auf die Mitglieder hatte und deren
Zielsetzung nicht offen angekündigt wurde.
Nun riefen Sweeney und die AFL-CIO-Führung offen zu einer Kampagne auf,
die u.a. Wert legte auf "breite Schulung" unter den Gewerkschaftsmitgliedern, "Arbeiterrechte in der internationalen
Ökonomie", den "Aufbau internationaler Solidarität" und Schuldenstreichung für die Dritte Welt.
Doch bevor die "Kampagne für globale Fairness" in New Orleans
lanciert werden konnte, brauten sich drei Wolken aus den alten Tagen des 20.Jahrhunderts über der Suche nach einem neuen
Internationalismus zusammen: Sozialpartnerschaft, politischer Pragmatismus und Protektionismus.
Drei dunkle Wolken
Die
Sozialpartnerschaft kam erneut auf einem Treffen der Gewerkschaftsspitzen mit führenden Wirtschaftsbossen im Februar in New York
zum Tragen, zu dem Sweeney eine Woche vor dem Exekutivrat der AFL-CIO eingeladen hatte. Dieses Treffen war Teil einer Reihe
"halbkonspirativer" Begegnungen zwischen Gewerkschaftern und Managementvertretern mit dem Ziel, eine gemeinsame Basis in
Fragen der Gewerkschafts-, Gesundheits- und Bildungspolitik zu finden. Führender Vertreter der Kapitalseite war dabei Jack Welsh von
General Electric, der nicht nur plant, das Unternehmen zunehmend nach Mexiko zu verlagern, sondern dies auch von den Zulieferfirmen verlangt
hat, andernfalls würden ihre Verträge gekündigt.
Worauf sich, wenn überhaupt, die beiden Seiten bei dem Treffen geeignet
haben, bleibt ihr Geheimnis. Klar ist, dass der Geist von Seattle bei diesem höflichen Austausch über die hohen Kosten
amerikanischer Unternehmen in der heutigen Wettbewerbswelt spürbar fehlte. Bei diesem Dialog zwischen Kapital und Arbeit sollte der
Handel das zentrale Thema sein; das entspricht Sweeneys Initiative aus der Zeit vor Seattle, das Großkapital in den Kampf für eine
"Reform" der WTO einzubeziehen.
Das erste Aktionsziel bei der "Kampagne für globale Fairness"
war nicht die internationale Solidarität, wie man gewöhnlich annehmen würde, oder die Konfrontation mit dem globalen
Kapital wie in Seattle, sondern das vertrautere Terrain der Lobbyarbeit zur Handelspolitik: Der mit China vereinbarte Status
"Ständige Normale Handelsbeziehungen" (PNTR) sollte aufgehoben werden.
In einem Brief forderte Sweeney die landesweiten und bundesstaatlichen
Gewerkschaftsverbände zu einer Demonstration am 12.April in Washington auf. Die Büros der Kongressabgeordneten sollten in
einem "massiven Lobbytag der Arbeit belagert" werden, TV-Spots mit der Botschaft "Kein Blankocheck für
China" ausgestrahlt werden.
Es kamen 12000-15000 Gewerkschaftsmitglieder nach Washington - weniger als
halb so viel wie nach Seattle. Zwar machte die "Kampagne für globale Fairness" auch eine Verbeugung an die Adresse der
Jubilee-2000-Demonstration für eine Schuldenentlastung der Dritten Welt am 9.April, doch die für den 16.April
angekündigte Demonstration zum Jahrestreffen von IWF und Weltbank wurde anfänglich mit keinem Wort erwähnt.
Die meisten Organisationen, die Seattle zu einem sichtbaren Symbol eines neuen
Internationalismus und eines gegen die Konzerne, ja sogar gegen den Kapitalismus gerichteten Bewusstseins und zu einem glaubwürdigen
Beispiel der Wirksamkeit von Massenaktionen machten, hatten bereits zum 16.April aufgerufen - nunmehr als Bündnis
"Mobilisierung für globale Gerechtigkeit". Erst der Aufschrei einiger Organisationen und Gewerkschaftsgruppen führte
dazu, dass die AFL-CIO den "zugelassenen" Teil der Aktionen vom 16.April unterstützte.
In echter AFL-CIO-Tradition werfen die Wahlen vom November 2000 ihren langen
Schatten über alles: der Gewerkschaftsbund führt eine 40-Millionen-Dollar schwere Kampagne, um Al Gore ins Weiße Haus
und mehr Demokraten in den Kongress zu bringen. Kein Zweifel, der Hauptgrund für die AFL-CIO, die Gelegenheit zu einer Erneuerung
des Geistes von Seattle am 16.April verstreichen zu lassen, waren die Wahlen im November und die Diskussion über Chinas
Handelsstatus.
Alte Gewohnheiten
Wahrscheinlich haben die Industriegewerkschaften auf Sweeney Druck ausgeübt,
gegen den ständigen, normalen Handesstatus für China einzutreten. Das Magazin der Automobilarbeitergewerkschaft UAW,
Solidarity, bspw. drückte sich deutlicher aus als der Exekutivrat der AFL-CIO: es verwies direkt auf die Importe, die
Arbeitsplätze gefährdeten. Ähnlich das Stahlarbeiter-Magazin Steelabor.
Doch dieser Schritt zurück zu einem traditionelleren politischen Terrain, weg
von dem mehr basisorientierten Bündnis, das sich in Seattle gebildet hatte, verweist auf den starken Einfluss alter Gewohnheiten und
Ideen, einschließlich des Protektionismus und seiner tiefen Wurzeln im ökonomischen Nationalismus - dem dritten Schatten
über dem "neuen Internationalismus".
Nach Meinung des Autors ist es richtig, den ständigen normalen Handelsstatus
für China im Namen der Arbeiterinteressen abzulehnen, aber aus anderen Gründen als denen der AFL-CIO. Scheinbar wollte die
Gewerkschaftsführung die antiasiatischen Gefühle, die für ihre früheren Stellungnahmen gegen Importe oder Migranten
aus Asien so typisch waren, vermeiden. Doch bei der Kampagne gegen den Handelsstatus von China geht es in Wirklichkeit um die Furcht vor
der wachsenden, zunehmend billigeren Importkonkurrenz, nicht um Menschenrechte.
Die Direktinvestitionen der USA in China sind von 1992 bis 1997 um das Zehnfache
gestiegen. Im selben Zeitraum haben sich die Importe mehr als verdoppelt, was zu einem riesigen Handelsdefizit geführt hat. Die Importe
beschränken sich nicht mehr auf Spielzeug und Textilien. China hat in den letzten zehn Jahren seine Stahlerzeugungskapazitäten auf
124 Millionen Tonnen im Jahr verdoppelt und plant 25% seiner Produktion zu exportieren.
Das gewerkschaftsnahe Economic Policy Institute sagt voraus, dass in den
nächsten zehn Jahren etwa 600000 Arbeitsplätze verloren gehen werden, wenn China den ständigen normalen Handelsstatus
erhält.
Natürlich ist auch Chinas Bilanz in Bezug auf die Gewerkschafts- und
Menschenrechte katastrophal. Die nahezu totale Konzentration der AFL-CIO auf die Verhinderung des Handelsstatus für China ist somit
politisch nicht irrational - aber sie ist auch kein neuer Aufbruch zum Internationalismus und auch nicht der Typ von Aktion, der geeignet
wäre, das Bündnis und den Geist von Seattle zu erneuern.
Die Kampagne gegen den Handelsstatus und die WTO-Mitgliedschaft von China
konzentriert sich allein auf Chinas Menschenrechtspolitik und verschleiert damit die Rolle der Clinton-Regierung, die das Abkommen
ausgehandelt hat, das Voraussetzung für die WTO-Mitgliedschaft ist, wie auch die Rolle der US-Konzerne, die am meisten davon
profitieren.
Die Politik der AFL-CIO und die Richtung ihrer Bemühungen unterscheiden
sich insoweit von den Kämpfen gegen NAFTA und WTO, als die Macht der Konzerne und die von ihnen dominierten multilateralen
Handelsabkommen nicht, wie früher, in Frage gestellt wird. So wie die AFL-CIO die Kampagne führt, richtet sie sich lediglich
gegen den vollen Zugang einer Nation zum internationalen Handelssystem in der Hoffnung, die Importflut einzudämmen. Es ist auch mehr
als heuchlerisch, wenn die AFL-CIO auf die fehlenden Gewerkschaftsrechte in China verweist und dabei suggeriert, die Gewerkschaftsrechte
in den USA - oder in Mexiko oder in Südkorea - stellten so etwas wie ein Modell dar.
Kim Moody