Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 14.09.2000, Seite 13

Sydney 2000

Was bei Olympia wirklich gefeiert wird

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat 230 Millionen Dollar für eine Anzeigenserie mit dem Motto "Die Menschheit feiern" ausgegeben. Diese "globale Werbeaktion" soll uns Mut machen, die Olympischen Spiele als ein Fest des Besten anzusehen, das die Menschheit zu bieten habe: Gesundheit, Völkerverständigung und Sport. Das IOC will uns glauben machen, dass die olympische Bewegung über der Politik steht, dass sie ein glücklicher Karneval für die "globale Familie" ist.
Weitaus realistischer beschrieb George Orwell einst den "ernsten Sport" wegen seiner Förderung von Gewalt, nationalem Hass und Eifersucht als "Krieg abzüglich der Schießerei".
Tatsächlich geht es bei den Olympischen Spielen um ernste Politik. Während das IOC die besten Athleten der Welt nach dem Motto "Höher, schneller und stärker" anstachelt, fördert es auch die Interessen der reichsten Länder und Unternehmen der Welt.
Die modernen Olympischen Spiele wurden von einem französischen Aristokraten gegründet, dem Baron de Coubertin. Er hatte sowohl eine innenpolitische (die Stärkung der Moral der französischen Jugend nach der Niederlage Frankreichs im Krieg gegen Preußen) als auch eine internationale Zielsetzung (die Entwicklung der Verbindungen zwischen den herrschenden Eliten Europas und der USA).
Das IOC wurde 1894 gegründet, und die ersten Spiele fanden 1896 in Athen statt. Das IOC beruhte auf dem Prinzip der Kooptierung seiner Mitglieder und der Mitgliedschaft auf Lebenszeit. Coubertin versammelte um sich eine Gruppe von Generälen, Aristokraten und politischen Figuren. Es dauerte 86 Jahre, bis zum ersten Mal eine Frau Zutritt zu dieser exklusiven "olympischen Familie" erhielt.
Bis heute hat das IOC seine undemokratische und unangreifbare Rolle als herrschendes Gremium der olympischen Bewegung bewahrt. In den 106 Jahren seiner Existenz hat es nur eine kleinere Reform gegeben, die nach dem Bestechungsskandal von Salt Lake City 1999 zugestanden wurde. Diese beschränkte die Amtszeit der IOC-Mitglieder auf acht Jahre und legte ein Höchstalter von 75 Jahren fest (diese Einschränkungen gelten nur für neue Mitglieder).
Das IOC hat stets behauptet, Sport und Politik nicht zu vermengen, aber in Wirklichkeit hat es oft eine tödliche Mischung von beiden gefördert.

Politik und Sport

Berlin war 1936 Gastgeber der XI.Olympischen Sommerspiele. Wegen der Nazidiktatur gab es einen starken Druck auf das IOC, die Spiele an einen anderen Ort zu verlegen. Doch der Präsident des IOC, Graf Henri de Baillet-Latour, beschloss - unterstützt vom damaligen Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees der USA, Avery Brundage -, Hitler zu beschwichtigen. Dies ist eine Position, die das IOC stets vertreten hat: egal wie schlimm es um die Menschenrechte in einem Veranstalterland bestellt ist, die Spiele müssen stattfinden.
Für die Nazis waren die Spiele von Berlin ein Propagandacoup. Hitler überwachte persönlich das ganze Projekt und nützte es zur Unterstützung seines Regimes.
Einer der Beiträge der Nazis zu dem Spektakel war der Staffellauf der Fackel mit dem olympischen Feuer. Die Fackel wurde in Griechenland angezündet und dann durch Europa nach Berlin getragen. Den Weg dorthin nutzten die Nazis, um für ihr Regime zu werben. In Österreich organisierten Hitlers Braunhemden eine Massendemonstration, die in Hochrufe auf den "Führer" ausbrach, als die Fackel in Sichtweite kam. An der Grenze der Tschechoslowakei versammelten sich 50000 Menschen, um zu sehen, wie das Feuer nach Deutschland getragen wurde.
Einer der Stars der Spiele von 1936 war der afroamerikanische Leichtathlet Jesse Owens. Nach Owens‘ Sieg im 100-Meter-Lauf weigerte sich Hitler, ihm zu gratulieren, mit den Worten: "Die Amerikaner sollten sich schämen, dass sie es zulassen, dass ein Neger für sie die Medaillen gewinnt. Ich werde diesem Neger nicht die Hand geben." Als die Spiele eröffnet wurden, befand sich nur eine halbe Stunde vom Stadion entfernt ein Konzentrationslager.
Das IOC behauptete öffentlich, dass die Spiele von Berlin ein "Erfolg" gewesen seien, der zum Geist der "Versöhnung" beigetragen hätte. Doch insgeheim waren sie nicht so naiv. Als Billet-Latour von der Gattin eines olympischen Würdenträgers zum "friedlichen Charakter der Spiele" beglückwunscht wurde, antwortete er: "Gott behüte Sie vor Ihren Illusionen, Madame! Wir werden in drei Jahren Krieg haben." Diejenigen IOC-Mitglieder, die es gewagt hatten, gegen die Spiele in Berlin zu opponieren, wurden stillschweigend aus dem Gremium entfernt.
Die Verbindungen des IOC mit dem Faschismus endeten nicht mit den Spielen in Berlin. Der gegenwärtige Kopf des IOC, Juan Antonio Samaranch, war vierzig Jahre lang ein Mitglied faschistischer Organisationen und ein Anhänger des brutalen Franco-Regimes in Spanien. Es gibt Aufnahmen, die ihn in voller militärischer Uniform beim Entbieten des faschistischen Grußes zeigen - Bilder, die allerdings für die Anzeigenkampagne der Spiele in Sydney nicht ausgewählt wurden.
Im Jahre 1964 zwangen internationale Proteste schließlich das IOC, Südafrika von der Teilnahme an den Spielen auszuschließen, nachdem der Apartheidstaat sich geweigert hatte, schwarze Sportler zu nominieren. Avery Brundage, der damalige IOC-Präsident, betrachtete den Ausschluss Südafrikas als seine persönliche Niederlage. Er versuchte diese Entscheidung 1968 rückgängig zu machen, musste aber klein beigeben, als vierzig Länder, angeführt von afrikanischen Staaten und dem Ostblock, mit einem Boykott der Spiele drohten.
Die Spiele von 1968 waren erneut umstritten, als die mexikanische Regierung 300 friedliche Demonstranten in Mexiko-Stadt massakrieren ließ - nur wenige Wochen vor der Eröffnung der Spiele in dieser Stadt. Trotz des Massakers erklärte das IOC: "Die Spiele müssen weitergehen."
Und sie gingen weiter: 1988 mit der brutalen Diktatur in Südkorea als Gastgeberin; 1992 ging die spanische Regierung gewaltsam gegen baskische Separatisten vor, und 1996 säuberte die US-Regierung in Atlanta die Straßen von Obdachlosen. Auch in Sydney werden die Spiele weitergehen, trotz des Rassismus der Regierung Howard.

Der Kommerz bestimmt

Von Beginn waren die Olympischen Spiele eng mit den Interessen großer Unternehmen verbunden. Die Spiele von 1900 und 1904 fanden im Rahmen von Handelsmessen statt: die beteiligten Regierungen sahen den Sport als eine Straße zum kommerziellen Erfolg an. Diese Tradition hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt; der Termin für das Weltwirtschaftsforum in Melbourne wurde so gelegt, dass es den Olympischen Spielen in Sydney unmittelbar vorangeht.
Heute ist das IOC selbst ein machtvoller Multi und zielt Millionen von Dollar an Sponsorengeldern von Seiten der größten Konzerne an. Die Fernsehrechte für die Berichterstattung aus Sydney sind allein 815 Millionen Dollar wert. Im Interesse der TV-Berichterstattung ist die Regierung von New South Wales dem IOC dadurch entgegengekommen, dass sie die Sommerzeit einen Monat früher einführen wird.
Das Sicherheitsbüro der Spiele von Sydney (Olympic Security Command Centre) hat die Polizei von New South Wales mit einem Handbuch ausgerüstet, das detailliert beschreibt, welches Verhalten im Olympiastadium zulässig ist. Auf der Verbotsliste stehen auch "Gegenstände mit kommerziellen Markenzeichen". Das heißt aber nicht, dass die Spiele eine kommerzfreie Zone sein werden, sondern es geht darum, dass die Sponsoren nicht von konkurrierenden Logos "verletzt" werden. Im Stadium wird man von Bildern von Holden, Coca-Cola, IBM, Westpac und anderen Olympia-Sponsoren bombardiert werden. Alle Zeichen oder Kleidungsstücke, die an prominenter Stelle konkurrierende Logos zur Schau stellen, können entfernt werden. Für diesen Zweck sind etwa fünfzig Jura-Studenten angeheuert worden, die schon jetzt scherzhaft als die "T-Shirt-Polizei" bezeichnet werden.
Das Organisationskomitee (SOCOG - Sydney Organising Committee of the Olympic Games) hat einen beeindruckenden Sicherheitsapparat aufgebaut, der verhindern soll, dass Protestaktionen auf die wirkliche Lage der Menschenrechte in Australien hinweisen. 30000 private Sicherheitsleute, 4000 Militärs und tausende von Polizeibeamten sollen dafür sorgen, dass Sydney "friedliche" Spiele erlebt.
Trotz dieser Einschüchterung haben sich Bewegungen der Aborigines und ihre Unterstützer zusammengeschlossen, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf den Kampf der Nachkommen der Ureinwohner Australiens um Gerechtigkeit zu lenken.
Die wirkliche Geschichte der Olympischen Spiele zeigt, dass sie nicht dazu beigetragen haben, "die Menschheit zu feiern". Sie werden von einem korrupten und undemokratisch organisierten Komitee geführt, das die Leidenschaft und den Enthusiasmus der Menschen für den Sport dazu missbraucht hat, Millionenprofite für die Reichen einzustecken und über die Menschenrechtsverletzungen in den Gastgeberländern hinwegzugehen.

Zanny Begg

Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.417, 23.8.2000.


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