Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.19 vom 14.09.2000, Seite 15

Georg Jungclas

Eine Erinnerung

Georg ("Schorsch") Jungclas, der vor 25 Jahren starb, wurde 1902 in Halberstadt geboren und wuchs in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf. 1904 zog die Familie nach Hamburg. Sein Vater verließ die SPD 1914 wegen ihres Kriegskurses und schloss sich später der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) an.
Die Hamburger SPD gehört zur reformistischen Hauptströmung der Partei, oppositionelle Strömungen finden sich vor allem unter der Parteijugend. Schorsch wird 1915 als Schüler Mitglied der proletarischen Freidenker, in deren Schulungskursen er sich die Grundlagen des Marxismus aneignet. 1919 tritt er, unmittelbar nach ihrer Gründung, der KPD bei.
Während der ultralinken "März-Aktion" der KPD von 1921 arbeitet Schorsch auf der Werft Blohm & Voß. "Wir kriegten den Auftrag, die Werft zu besetzen und Leute hereinzuschmuggeln; da habe ich einige Leute, drei bis vier, mit hereingeschmuggelt." Er gehört zu denen, die auf der Werft die rote Fahne hissen. Trotz seiner Teilnahme an den Aktionen kritisiert Schorsch den damaligen Kurs der KPD, der es mit ihrer ultimatistischen Strategie nicht gelingt, die mit ihren Führungen keineswegs zufriedenen SPD- und USPD-Arbeiter und die Belegschaften der Großbetriebe zu gewinnen.
Schorsch wird bei Blohm & Voß entlassen und betätigt sich bis 1922 als "Wanderlehrer" der KPD. 1923 tritt er dem militärischen Apparat der Partei bei und beteiligt sich am Hamburger Aufstand.
1926 unterstützt Georg Jungclas die "Erklärung der 700", die die sowjetische Opposition um Sinowjew und Trotzki gegen Stalin unterstützt und das Recht verlangt, die Argumente der Oppositionellen im Original zugänglich zu machen. Schorsch war zunächst Anhänger Sinowjews. "Das hindert mich heute nicht daran, diese Position als eine vorbereitende Etappe zur Machtübernahme der stalinistischen Führung zu betrachten", wie er rückblickend schrieb.
1930 schließt sich Schorsch der trotzkistischen Linken Opposition der KPD an, die sich bis 1933 für die Reformierung der KPD, ihre Rückkehr zu den Prinzipien der ersten vier Weltkongresse der III.Internationale, insbesondere für eine Politik der Einheitsfront von Kommunisten und Sozialdemokraten im Kampf gegen den Faschismus, einsetzt.
Schorschs gesamte politische Biografie von dieser Zeit an ist vom Wirken für die Linke Opposition und die 1938 aus ihr hervorgehenden IV.Internationale geprägt.
Nach der Machtergreifung der Nazis emigriert Schorsch auf Beschluss der Organisation nach Kopenhagen. Dort hält er sich mit Gelegenheitsarbeiten und mit Hilfe von Genossen über Wasser. Seine politische Tätigkeit besteht vor allem in der Organisierung einer trotzkistischen Gruppe in Dänemark.
Nach der Besetzung des Landes durch die Nazis spielen die dänischen Trotzkisten eine bedeutende Rolle bei der Organisierung von Fluchthilfeaktionen für verfolgte Juden nach Schweden sowie beim "Volksstreik" gegen die Besatzer im Juni/Juli 1944. Wenig später verhaftet die Gestapo führende Mitglieder der Gruppe, darunter auch Georg Jungclas.
Nach wochenlangen Verhören wird er ins Zuchthaus Fuhlsbüttel nach Hamburg und schließlich nach Bayreuth gebracht. In seinen Papieren steht: "Unverbesserlicher Kommunist - wertloser Knecht - Fesselung - bei Fluchtversuch zu erschießen." Der militärische Zusammenbruch des Naziregimes bewahrte Schorsch vor dem Todesurteil. Am 16.April 1945 wird das Bayreuther Zuchthaus von US-Truppen befreit.
In der Adenauer-Zeit war Schorsch, der mittlerweile in Köln wohnte, Kopf und Motor der deutschen Sektion der IV.Internationale, die 1953 unter Aufrechterhaltung ihrer eigenen Organisationsstruktur in der SPD eintritt.
Georg Jungclas beteiligt sich am Kampf gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und an der Solidaritätsarbeit mit der algerischen Revolution, was ihm Ansehen weit über die Reihen des kleinen marxistischen Kerns hinaus verschafft.
Ein wichtiger Teil seiner Tätigkeit bildet die marxistische Schulungsarbeit mit jungen Genossinnen und Genossen, insbesondere mit den Kölner "Falken". Nicht zuletzt seiner Fähigkeit, junge Menschen zu gewinnen, ist es zu verdanken, dass die Kontinuität des revolutionären Marxismus in Deutschland gewahrt blieb.
1961 wird Schorsch aus der SPD ausgeschlossen, als er sich mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) solidarisiert. Schorsch kritisierte frühzeitig die Mehrheit der deutschen Sektion der IV.Internationale, die zu lange - bis 1969 - in der SPD ausharrte, weil sie eine von der proletarischen Basis ausgehende Linksdifferenzierung erwartete und darum relativ wenig vom Aufbruch der späten 60er Jahre profitieren konnte.
1967 tritt Georg Jungclas als Sekretär der Organisation zurück, ab er ist weiter aktiv, seit 1969 in der offen als Sektion der IV.Internationale auftretenden Gruppe Internationale Marxisten (GIM), der Vorläuferorganisation der VSP und des Revolutionär-Sozialistischen Bundes (RSB). Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit beteiligt er sich bis zu seinem Tod 1975 an der Arbeit der GIM in Köln und auf nationaler Ebene.
Das Hauptvermächtnis, das Georg Jungclas der heutigen Generation revolutionärer Marxistinnen und Marxisten hinterlassen hat, hat Ernest Mandel in seinem Nachwort zu einer Dokumentation über Schorschs Leben und Wirken treffend zusammengefasst*:
"Großes wird in dieser Welt nie kurzfristig erreicht, nie auf Treibsand gebaut. Wer die proletarische Revolution nur als Ziel erfassen kann, wenn sie sich in den nächsten fünf Jahren verwirklichen lässt, bleibe lieber zu Hause, seine Ungeduld wird nichts Nützliches bewirken. Wer das Ergebnis seines Wirkens nur mit dem Maß des unmittelbar Verwirklichten misst, wird schnell über Bord gehen. Wirkliche Überzeugung, wirkliches proletarisches Klassenbewusstsein, wirkliches Verständnis für marxistische Theorie sind Verpflichtung für das ganze Leben, ungeachtet kurzfristiger Erfolge und Misserfolge. Sie sind Lebensaufgabe im Sinne eines das ganze Leben erhellenden und befruchtenden Ziels ... dieser Lebensinhalt eines wirklichen revolutionären Marxisten macht ihn, auch bei allen Enttäuschungen, paradoxerweise zu einem glücklicheren, fröhlicheren, gesunderen Menschen als die große Mehrheit unserer Zeitgenossen. In diesem Sinne war Georg Jungclas schon ein Stück ,neuer, sozialistischer Mensch‘, soweit es in dieser elenden Gesellschaft überhaupt möglich ist, das zu sein."
hgm

*Ernest Mandel: Nachwort. In: Georg Jungclas. 1902-1975. Eine politische Dokumentation, Hamburg (Junius) 1980, S. 286.


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